Autophagie-Booster gegen SARS-CoV-2 |
Sven Siebenand |
07.05.2020 17:00 Uhr |
Der Müll muss raus: Damit die Reinigungsprozesse in der Zelle wieder besser arbeiten, könnten Autophagie-induzierende Substanzen auch bei SARS-CoV-2-Infizierten einen Nutzen bringen. / Foto: Adobe Stock/Akima.Futura
Als Autophagie bezeichnet man einen Prozess, den Zellen nutzen, um beschädigtes Material und Abfallprodukte abzubauen. Auch Bestandteile von Krankheitserregern wie Viren werden dabei als Abfallprodukte erkannt und entsorgt. Schon vor einiger Zeit konnten Forscher zeigen, dass der Autophagie-Prozess bei Zellen gestört sein kann, wenn sie mit einem Coronavirus infiziert sind. Damals handelte es sich um das MERS-Virus.
Nun hat das Forscherteam um Dr. Nils C. Gassen von der Universität Bonn nachgelegt. Auf einem Preprint-Server veröffentlichte es Daten zum aktuellen Coronavirus SARS-CoV-2. Auch der mittlerweile allseits bekannte Virologe Professor Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité ist Mitautor der Publikation. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Autophagie auch in SARS-CoV-2-infizierten Zellen herunterreguliert ist.
Die Forscher nennen zwei Mechanismen, mit denen das Virus dies erreicht. Zum einen sorgt es dafür, dass das Enzym Spermidin-Synthase gehemmt wird und damit weniger der körpereigenen Autophagie-induzierenden Substanz Spermidin vorhanden ist. Zum anderen kommt es zur virusinduzierten Proteinkinase-B-abhängigen Aktivierung des Enzyms S-Phase-Kinase-assoziiertes Protein 2 (SKP2), was letztlich zu weniger Beclin-1, einem wichtigen Protein für die Autophagie-Initiierung, führt. Klingt kompliziert und ist es auch.
Letztlich lassen sich aus diesen Wirkmechanismen aber mögliche Therapieoptionen gegen das neue Coronavirus ableiten: erstens Spermidin von außen zuführen, zweitens einen Proteinkniase-B-Hemmer verabreichen und drittens einen SKP2-Hemmer geben. Alle drei Varianten haben Gassen und Kollegen in Versuchen mit Nierenzellen von Meerkatzen ausgetestet. Sie infizierten die Zellen zunächst mit SARS-CoV-2 und gaben dann Spermidin, den Proteinkinase-B-Hemmer MK-2206 (noch nicht zugelassen und als Krebsmittel geplant) oder als SKP2-Hemmer das seit Jahrzehnten bekannte Bandwurmmittel Niclosamid hinzu – mit Erfolg. Die Virusvermehrung ließ sich um 85, 88 und mehr als 99 Prozent reduzieren.
In einem weiteren Versuch behandelten sie die Zellen zunächst mit Spermidin oder Niclosamid und infizierten sie nach 24 Stunden mit dem neuen Coronavirus. Auch dies war erfolgreich. Das Viruswachstum wurde in beiden Fällen um 70 Prozent reduziert.
Noch ist es viel zu früh, um über eine Behandlung oder Prophylaxe mit Spermidin oder Niclosamid nachzudenken, aber uninteressant ist dieser Ansatz nicht. In der Apotheke könnte unter Umständen die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln mit Spermidin steigen. Aus den bisherigen Untersuchungen kann man aber noch keine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 ableiten. Eine noch zu klärende Frage ist zum Beispiel, ob sich überhaupt ausreichend hohe Plasmaspiegel für eine Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 erzielen lassen.
Niclosamid ist vielen Jahrzehnten im Einsatz gegen Bandwürmer im Darm. / Foto: Adobe Stock/Juan Gärtner
Niclosamid (Yomesan®) hat vorerst nur die Indikation als Bandwurmmittel in der Tasche. Es kommt bei Infektionen mit Taenia saginata (Rinderbandwurm), Taenia solium (Schweinebandwurm), Diphyllobothrium latum (Fischbandwurm) und Hymenolepis nana (Zwergbandwurm) zum Einsatz. Niclosamid führt zum Absterben von Skolex und anschließenden Gliedern. Der Skolex stellt das Vorderende des Bandwurms dar und dient der Anheftung an die Darmwand des Wirts. Durch das Absterben des Skolex löst sich dieser von der Darmwand, die Gliederkette verliert ihren Halt und geht mit den Stuhlentleerungen im Ganzen oder in einzelnen kleineren Teilen ab.
Nach Chloroquin ist Niclosamid der zweite »Uralt-Wirkstoff« aus dem Hause Bayer, der bei SARS-CoV-2 untersucht wird. Im Vergleich zu Chloroquin punktet das Wurmmittel mit einer relativ guten Verträglichkeit und macht hinsichtlich Wechselwirkungen wenig Probleme. In der Fachinformation wird darüber informiert, dass Niclosamid in Alkohol löslich ist, was zu einer verstärkten Resorption führen kann. Sollte es eines Tages zu klinischen Studien mit Niclosamid bei Covid-19 kommen, heißt das aber noch nicht, dass die Einnahme zusammen mit einem alkoholischen Getränk erfolgen würde. Viel hilft nicht immer viel.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.