Alphastrahler gegen Knochenmetastasen |
17.12.2013 13:43 Uhr |
Von Sven Siebenand, Berlin / Etwa neun von zehn Männern mit metastasiertem Prostatakarzinom leiden an Knochenmetastasen. Diese sind für den Patienten nicht nur mit starken Schmerzen und stark eingeschränkter Lebensqualität verbunden, sondern auch mit einer schlechten Prognose. Mit Radium-223-dichlorid (Xofigo®) steht nun erstmals eine Radiotherapie zur Verfügung, die gegen Knochenmetastasen wirkt und das Überleben verlängert.
Bei Männern mit fortgeschrittenem Prostatakrebs sind Knochenmetastasen deutlich häufiger als Viszeralmetastasen in Lunge, Leber oder Pleura. Darauf machten die Referenten bei einer von Hersteller Bayer ausgerichteten Pressekonferenz vergangene Woche in Berlin aufmerksam. Professor Dr. Winfried Brenner von der Berliner Charité sprach von einem Teufelskreis: Zunächst reichern sich Tumorzellen im Knochenmark an und setzen Wachstumsfaktoren frei, die sowohl Osteoklasten als auch Osteoblasten aktivieren. Das führt zur ständigen Neubildung von Knochengewebe im Umfeld von Tumorzellverbänden. »Dieses Gewebe weist aber nur eine geringe Stabilität auf«, so Brenner. Das bedeute eine erhöhte Gefahr für Knochenbrüche. Der Nuklearmediziner informierte, dass die Osteoklasten und -blasten ihrerseits wiederum Wachstumsfaktoren freisetzen und damit das Tumorzellwachstum unterstützen, was den Circulus vitiosus schließt.
Radium statt Calcium
Radium kann analog zu Calcium in die Kristallstruktur des Hydroxylapatits, des anorganischen Hauptbestandteils des Knochens, eingebaut werden. Das trifft auch auf Radium-223-dichlorid zu, ein radioaktives Isotop des Erdalkalimetalls. Brenner zufolge wird es vorwiegend in neu gebildetes Knochengewebe innerhalb von Knochenmetastasen und deren Randzonen eingebaut, denn dort ist der Knochenstoffwechsel maximal erhöht.
1898 entdeckten Marie und Pierre Curie das Erdalkalimetall Radium. In den 1920er-Jahren wusste man schon von den gesundheitsschädlichen Wirkungen des Elements. Dennoch wurden immer noch radiumhaltige Kosmetika beworben und verkauft, zum Beispiel Tho-Radia-Antifaltencreme, die zusätzlich auch Thorium enthielt. Heute kommt Radium-223 bei Prostatakrebs mit Knochenmetastasen zum Einsatz.
Foto: picture-alliance/maxppp
Das Radioisotop zerfällt über eine mehrstufige Kaskade und emittiert dabei hauptsächlich α-Partikel. Am Ende der Reaktionskette entsteht Blei. Auf dem Weg dorthin haben sich aus Radium-223 und seinen Tochternukliden insgesamt viermal Heliumkerne mit vier Kernbausteinen abgespalten.
Vorteile gegenüber Betastrahlern
Alphastrahlung zeichnet sich durch eine hohe Energieübertragung auf minimaler Wegstrecke aus. Daraus ergeben sich zwei Vorteile: Wie Brenner erklärte, verursacht Alphastrahlung durch den hohen linearen Energietransfer meistens irreparable DNA-Doppelstrangbrüche und wirkt zelltötend. Im Gegensatz dazu führe Betastrahlung oft nur zu reparablen Einzelstrangbrüchen. Aufgrund der geringen Reichweite der Alphastrahlung von zwei bis zehn Zelldurchmessern (maximal 100 µm) sei das Knochenmark im Vergleich zu einer Behandlung mit Betastrahlern nur gering belastet. Als Beispiel nannte Brenner den Betastrahler Strontium-89- chlorid, der zu einem Abfall der Blutplättchen um etwa die Hälfte führt. »Bis sich das Knochenmark davon wieder erholt, dauert es zudem drei bis sechs Monate«, sagte Brenner. Andere knochenaffine Radiopharmaka sind die Betastrahler Samarium-153-EDTMP und Rhenium-186-HEDP.
Betastrahler führen infolge ihrer größeren Reichweite aber nicht nur zu einer Belastung des Knochenmarks. Brenner zufolge haben sie in Studien bisher auch keinen Überlebensvorteil gebracht. Das ist bei Radium-223-dichlorid anders. Es ist das erste Radionuklid mit signifikantem Überlebensvorteil bei Patienten mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom und symptomatischen Knochenmetastasen ohne bekannte viszerale Metastasen.
Positives Studienergebnis
Die Zulassung in dieser Indikation beruht auf den Ergebnissen der Phase-III-Studie Alsympca mit mehr als 900 Patienten. Beim primären Endpunkt, dem medianen Gesamtüberleben, ergab sich für die Behandlung mit dem Radioisotop plus best supportive care (BSC) ein signifikanter Vorteil gegenüber Placebo plus BSC von 3,6 Monaten (14,9 versus 11,3 Monate). Professor Dr. Kurt Miller von der Berliner Charité fügte hinzu, dass sich auch hinsichtlich Symptomatik, Lebensqualität und Schmerzreduktion Vorteile gezeigt hätten und Radium-223-dichlorid ein relativ unproblematischer Wirkstoff mit einem günstigen Sicherheitsprofil sei.
Für die Therapie mit Radium-223-dichlorid ist eine Umgangsgenehmigung erforderlich. Patienten erhalten bisher sechs intravenöse Injektionen im Abstand von jeweils vier Wochen. Pro Kilogramm Körpergewicht ist eine Aktivität von 50 Kilobecquerel (kBq) empfohlen. Geliefert wird Radium-223-dichlorid als gebrauchsfertige Injektionslösung. Die radioaktive Konzentration beträgt 1000 kBq/mL zum Referenzdatum. Wird das Präparat an einem anderen Tag appliziert, ist die Aktivität eine andere. Daher muss für die Berechnung des zu injizierenden Volumens auch ein Zerfallsfaktor zur Korrektur der Radioaktivitäts-Konzentration berücksichtigt werden.
Arbeiten an Erweiterung des Einsatzgebietes
Bayer will die Anwendung von Xofigo beim Prostatakarzinom weiterentwickeln. So prüft das Unternehmen die Anwendung einer höheren Dosis, eine längere Therapiedauer und die Kombination mit dem ebenfalls bei Prostatakrebs zugelassenen Wirkstoff Abirateron. Auch der Einsatz bei anderen Tumoren, etwa Brustkrebs mit Knochenmetastasen und Osteosarkomen, wird untersucht. /