Kassen erstatten nicht alle Verfahren |
03.12.2013 18:47 Uhr |
Von Yuki Schubert / In Deutschland werden immer häufiger psychische Erkrankungen diagnostiziert. Doch wenn Betroffene einen Therapieplatz suchen, müssen sie oftmals lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Darüber hinaus übernehmen die Krankenkassen die Kosten nur für bestimmte Verfahren.
Zwischen 1997 und 2012 ist die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen um 165 Prozent gewachsen. Das geht aus dem DAK-Gesundheitsreport 2013 hervor. Grund für diesen Anstieg ist zwar vermutlich nicht allein die tatsächliche Zunahme der Erkrankungszahl. Schließlich wächst auch die gesellschaftliche Akzeptanz, weshalb psychische Störungen häufiger wahrgenommen und diagnostiziert werden. Doch offenbar belasten psychische Krankheiten die Deutschen zunehmend. So lagen seelische Probleme im ersten Halbjahr 2013 auf Platz drei der Krankheiten, die zu den meisten Fehltagen am Arbeitsplatz führen, wie eine weitere Studie der DAK Gesundheit zeigt. Ein Grund dafür ist der Kasse zufolge die vergleichsweise lange Erkrankungsdauer von 33,5 Tagen im Schnitt.
Auge in Auge mit dem Feind: Bei einer Verhaltenstherapie werden die Patienten gezielt mit ihrer Angst konfrontiert.
Foto: picture-alliance/ZB-Fotoreport
Wer sich entschließt, eine ambulante Psychotherapie zu beginnen, muss auf einiges achten. So ist die Wahl des Psychotherapeuten entscheidend. Deshalb ist es dem Patienten freigestellt, mehrere Schnuppersitzungen beim selben Therapeuten zu machen oder aber verschiedene Therapeuten zu vergleichen. Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) übernimmt die Kosten für fünf bis acht Treffen. Nach diesen ersten Gesprächen und vor Behandlungsbeginn muss der Patient einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Psychotherapie bei der Krankenkasse stellen. Innerhalb von maximal vier Wochen werde dann der Antrag geprüft und darüber entschieden, heißt es beim GKV-Spitzenverband. Wichtig sei dabei, dass mit dem Antrag bereits eine Diagnose vorliege.
Grundsätzlich übernehmen Krankenkassen eine Psychotherapie nur bei Therapeuten, die eine Zulassung von einer Kassenärztlichen Vereinigung haben. Darüber hinaus werden bislang nur die sogenannten Richtlinienverfahren erstattet. Dazu zählt neben der analytischen und der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie auch die Verhaltenstherapie. Nur in Einzelfällen übernehmen die Kassen auch Sitzungen bei Therapeuten ohne Kassenzulassung. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Patient bereits verschiedene Psychotherapeuten vergeblich um einen Behandlungsplatz gebeten hat und dringend eine Therapie benötigt.
Aus Sicht von Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, gibt es deutlich zu wenig Therapeuten mit Kassenzulassung, »weshalb Patienten häufig monatelang auf einen Behandlungsplatz warten müssen«, sagte er. Im Zuge dessen seien in den letzten zehn Jahren die Ausgaben der GKV für Therapiestunden bei Therapeuten ohne Kassenzulassung um das Achtfache gestiegen, so Richter. Er fordert zudem, dass die Kassen die Kosten auch für andere wissenschaftlich anerkannte Verfahren übernehmen.
Richter verweist dabei auf den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie, der die Wirksamkeit verschiedener Therapieformen überprüft. Das Gremium, das von Bundesärzte-, und Bundespsychotherapeutenkammer gemeinsam getragen wird, hält neben den drei Richtlinienverfahren zwei weitere Therapieformen für wissenschaftlich anerkannt: die systemische Therapie und die Gesprächspsychotherapie. Im Folgenden werden die fünf unterschiedlichen Therapieverfahren vorgestellt:
Analytische Psychotherapie
Ansatz: Das Verfahren geht auf die klassische Psychoanalyse von Sigmund Freud zurück. Es wird davon ausgegangen, dass die Ursachen und Lösungen von derzeitigen Problemen im Unbewussten und in der Vergangenheit des Patienten zu suchen sind. Ziel der Therapie ist daher, sich verdrängte Erinnerungen und Gefühle wieder ins Gedächtnis zu rufen. Dadurch sollen im Laufe der Therapie Konflikte von besonders prägenden Entwicklungsphasen wieder durchlebt werden, damit sie verarbeitet werden können. Im Zuge dessen ist es möglich, ein vertieftes Verständnis für sich selbst und den eigenen Umgang mit anderen Menschen zu gewinnen. Häufig werden die freie Assoziation oder Traumdeutung verwendet.
Vorgehen: Der Psychotherapeut verhält sich meistens neutral und versucht, Blickkontakt mit dem Patienten zu vermeiden, damit dieser in seinen Gedanken und Gefühlen freier ist. Der Patient soll sich seiner eigenen inneren Welt zuwenden. Deshalb ist die Bereitschaft zur Selbstanalyse notwendig, um erfolgreich zu sein. Die analytische Psychotherapie ist eine Langzeittherapie und dauert mindestens zwei Jahre. In der Regel werden zwei bis drei Therapiesitzungen pro Woche à 50 Minuten mit dem Psychotherapeuten vereinbart.
Erstattung: Auf Antrag erstatten die Krankenkassen in der Regel die Kosten für 160 Einzelsitzungsstunden bei Erwachsenen. Die Höchstgrenze liegt bei 300 Stunden. Für Kinder, Jugendliche und Gruppentherapien gelten andere Erstattungssätze.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Ansatz: Diese Therapieform geht ähnlich wie die analytische Psychotherapie davon aus, dass Menschen ihr Leben nicht nur durch ihren Willen formen. Vielmehr hängt das, was gefühlt, gedacht und entschieden wird, auch von unbewussten psychischen Einflüssen ab. Das Verfahren ist allerdings stärker auf ein konkretes Ziel und aktuelle Probleme des Patienten gerichtet als die analytische Psychotherapie. Dabei wird angenommen, dass die seelischen Leiden ihren Ursprung vor allem in frühkindlichen zwischenmenschlichen Konflikten, problemgeladenen Beziehungen und Schockerlebnissen haben. In der Therapie geht es vor allem darum, den sogenannten zentralen Konflikt zu bearbeiten, um damit aktuelle Fragen zu lösen.
Vorgehen: Therapeut und Patient sitzen sich bei der Therapie gegenüber. Dabei verhält sich der Therapeut insgesamt aktiver als bei der analytischen Psychotherapie und greift mitunter in das Gespräch ein. Bei der Behandlung ist es möglich, auch auf kreative Methoden wie Kunst-, Musik- oder Körpertherapie zurückzugreifen. Eine Therapiestunde wird pro Woche meistens ein- bis zweimal à 50 Minuten angesetzt. Die Gesamtdauer der Therapie kann zwischen drei Monaten und zwei Jahren liegen.
Erstattung: Die GKV übernimmt die Kosten meistens für 25 bis 50 Einzelsitzungen. Die Höchstdauer beträgt 100 Stunden. Wieder gibt es für Kinder, Jugendliche und Gruppen andere Erstattungssätze.
Verhaltenstherapie
Bei einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie können auch kreative Methoden wie die Tanztherapie zum Einsatz kommen.
Foto: imago/epd
Ansatz: Im Zentrum steht die Annahme, dass sich Menschen ihr Verhalten und Erleben durch die gemachten Erfahrungen aneignen. Eine psychische Krankheit entsteht, wenn diese erlernten Muster zu Problemen führen oder unangemessen sind. Im Falle einer Essstörung erkennen Patienten schlanke Menschen als anzustrebendes Ideal an. Aus Angst vor einer Gewichtszunahme können sich Krankheiten wie Anorexie oder Bulimie entwickeln. Psychotherapeuten unterstützen dabei, Verhaltensmuster besser zu verstehen und so eine Änderung herbeizuführen.
Vorgehen: Die Therapieform ist besonders für Patienten geeignet, die an konkreten Aufgaben arbeiten möchten. Es werden unter anderem Übungen durchgeführt, in denen der Patient mit seinen Ängsten konfrontiert wird. So ist denkbar, dass Psychotherapeut und Patient einen für den Betroffenen besonders beängstigenden Ort aufsuchen. Verhaltenstherapie kann als Einzel-und Gruppenbehandlung oder als Kombination aus beiden Behandlungsarten erfolgen. Die Anzahl und Häufigkeit der Therapiesitzungen werden je nach Art der Störung zwischen Patient und Psychotherapeut vereinbart. Die Behandlung dauert in der Regel ein halbes bis ganzes Jahr, möglicherweise aber auch länger.
Erstattung: Auf Antrag erstattet die GKV für 25 (Kurztherapie) oder 45 Einzelsitzungen die Kosten. Die Höchstdauer beträgt 80 Einzelsitzungen à 50 Minuten. Für Gruppen, Kinder und Jugendliche gibt es auch hier gesonderte Erstattungsregeln.
Systemische Therapie
Ansatz: Der Mensch wird nicht nur für sich gesehen, sondern als Teil eines sozialen Systems. Deshalb steht im Zentrum der Therapie der soziale Kontext, in welchem eine seelische Störung entsteht, wie zum Beispiel die Familie.
Vorgehen: Bezugspersonen werden in die Therapie integriert, damit der Psychotherapeut erfährt, wie sich die Beziehungen untereinander gestalten. Dabei versucht der Therapeut herauszufinden, warum ein Patient psychisch erkrankt ist, welche Rolle hierfür die unterschiedlichen Beziehungen spielen, aber auch welche Familiendynamik durch die psychische Störung entsteht. Anschließend arbeitet der Psychotherapeut mit dem Patienten an Lösungsmöglichkeiten und macht dem Betroffenen seine Stärken klar. Bei dieser Therapieform wird davon ausgegangen, dass entscheidende Veränderungen zwischen den Sitzungen erfolgen, daher können die Abstände zwischen den Terminen größer sein. Die gesamte Therapie dauert meistens nicht länger als 25 Therapiesitzungen, wobei Langzeittherapien auch möglich sind.
Erstattung: Obwohl der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie die Wirksamkeit der Behandlungsform als wissenschaftlich belegt anerkennt, erstatten die Kassen die Kosten für dieses Verfahren nicht.
Gesprächspsychotherapie
Teil eines Systems: Die Beziehungen des Patienten zu seinem sozialen Umfeld spielen in der systemischen Therapie ein wesentliche Rolle.
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Ansatz: Diese Therapie wird auch personenzentrierte oder klientenzentrierte Psychotherapie genannt. Es wird davon ausgegangen, dass jeder Mensch nach Selbstverwirklichung strebt und deshalb natürlicherweise den Ansporn in sich trägt, an seinen Problemen zu arbeiten. Aufgrund dessen ist jeder Mensch bei psychischen Erkrankungen selbst am besten in der Lage, die persönliche Situation zu analysieren. Seelische Nöte kommen aus Sicht eines Gesprächstherapeuten auf, wenn sich ein Mensch – meist unbewusst – verbietet, gewisse Erfahrungen und Gefühle zu akzeptieren, da sie dem Selbstbild widersprechen.
Vorgehen: Der Psychotherapeut versucht, sich in den Patienten einzufühlen, ohne diesen zu bewerten. Hürden sollen dadurch aufgebrochen werden, dass sich die beiden Gesprächspartner auf Augenhöhe begegnen. Diese besondere Gesprächssituation soll den Heilungs- und Entwicklungsprozess anregen, denn die in der Therapie erworbenen Fähigkeiten sollen für weitere Schwierigkeiten wappnen. Im weiteren Verlauf der Gesprächstherapie werden die emotionalen Erfahrungen des Patienten betont. Hierdurch soll der Patient lernen, sich selbst besser anzunehmen und zu verstehen. Die Behandlung dauert meistens ein halbes bis ein Jahr mit einer Therapiesitzung pro Woche.
Erstattung: Es gibt keine Kostenübernahme, trotz einer positiven Bewertung durch den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie.
Ausblick
Ob die Krankenkassen in Zukunft auch die Kosten für systemische und Gesprächspsychotherapie erstatten, bleibt abzuwarten. Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet darüber, welche Therapieformen in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen werden. Im Frühjahr 2013 hat das Gremium die systemische Therapie bei Erwachsenen in das Beratungsverfahren aufgenommen, das Ergebnis dieser Überprüfung liegt bislang allerdings noch nicht vor. /