Erst das Dach dichten, dann einrichten |
07.12.2010 17:09 Uhr |
Von Werner Kurzlechner, Berlin / Gesundheitsminister Rösler rechtfertigte bei den forschenden Arzneimittelherstellern seine Politik und weckte Erwartungen fürs kommende Jahr. Außerdem erklärt er, warum Gesundheitspolitik genauso funktioniert wie Häuslebauen.
Ein Phantom hatte sich eingeschlichen auf der öffentlichen Mitgliederversammlung des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (VFA) vergangene Woche in Berlin – rot gesinnt und mit Vornamen Ulla. Jedenfalls meinte der Verbandsvorsitzende Dr. Wolfgang Plischke angesichts von Zwangsrabatten und zentralen Preisverhandlungen bei der Einführung neuer Arzneimittel sei die langjährige SPD-Bundesgesundheitsministerin noch präsent im gesundheitspolitischen Raum.
Zu Gast war dieses Mal aber ihr liberaler Nachfolger, Dr. Philipp Rösler (FDP), und der wies Parallelen zu seiner Amtsvorgängerin Ulla Schmidt weit von sich. Der Minister rechtfertigte stattdessen humorvoll, warum sein erstes Amtsjahr wie die Arbeit vieler seiner Vorgänger von Schritten zur Kostendämpfung geprägt war: »Ich bin jung – und die Versicherten brauchten das Geld«, sagte Rösler. Für die kommenden Monate und Jahre hat der Minister ja bereits strukturelle Reformen angekündigt, an denen er sich wird messen lassen müssen.
Stimmung gut, Kritik obligatorisch
Trotz des Vergleichs des Gastes mit seiner Vorgängerin war die Stimmung auf der Versammlung entspannt bis gut gelaunt. Das zu Ende gehende Jahr war von schwierigen Auseinandersetzungen der Bundesregierung auch mit der Pharmaindustrie geprägt, aber für apokalyptische Sorgen gibt es doch wenig Anlass. VFA-Hauptgeschäftsführerin Cornelia Yzer erinnerte zwar daran, dass die Hersteller in diesem Jahr 20 neue Therapien zum Wohle der Patienten auf den Markt gebracht hätten und doch durch Reformgesetze belastet würden. Das seit August geltende GKV-Änderungsgesetz koste die Branche jährlich 1,2 Milliarden Euro, das ArzneimittelmarktNeuordnungsgesetz (ANMOG) ab Jahreswechsel weitere 2 Milliarden Euro.
Bei aller Kritik an den aus ihrer Sicht falschen Ansätzen räumte Yzer jedoch ein, dass die Perspektive der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) – wenngleich alleine nicht ausreichend – doch wichtig sei. »Den Dialog möchten wir fortsetzen«, wandte sich die Hauptgeschäftsführerin am Ende versöhnlich an Rösler und formulierte noch eine konkrete Erwartung an den Minister. Es sei essenziell, dass die industriepolitischen Belange der Branche stärker als bisher berücksichtigt würden.
Da konnte Rösler durchaus Hoffnung machen. Auf den kritischen Teil von Yzers Ausführungen entgegnete er, dass die Ansprüche an die Politik oft hundertprozentig seien und bei einer Erfüllung zu 80 oder 90 Prozent gemeinhin die Freude aus- bleibe.
Er verglich seine Aufgabe mit dem Einzug in ein neues Haus. Zuerst dichte man das löchrige Dach ab – und stopfe das Milliardendefizit in der GKV. Erst dann gehe es ans Einrichten des Wohnzimmer – und um Leistungsgerechtigkeit, Transparenz und dergleichen. Gesundheitswirtschaftlich strebe die Bundesregierung einen Paradigmenwechsel an, sagte Rösler. Weg von der Produkt-, hin zur Prozessinnovation solle es gehen.
Die Unzufriedenheit der Hersteller, dass sie Erstattungsverhandlungen über innovative Arzneimittel mit dem GKV-Spitzenverband statt mit einzelnen Krankenkassen führen müssen, kann Rösler nachvollziehen. »Der Koalitionspartner hat Wert darauf gelegt, an dieser Stelle konnten wir uns nicht durchsetzen«, bekannte der Minister.
Politik setzt Wirtschaft den Rahmen
Ansonsten blieb auch noch Zeit für ein paar grundsätzliche Überlegungen, schließlich hatte der VFA als Motto die allgemeine Rollenverteilung zwischen Politik und Wirtschaft ausgegeben. Rösler formulierte dazu knapp klassische liberale Positionen. In Deutschland sei zu viel politisch vorgegeben, nötig seien größere Freiräume und mehr Effizienz. Sein Credo in dieser Frage: »Die Politik setzt den Rahmen, in dem die Wirtschaft sich zu bewegen hat.«
Entsprechend reserviert blieb der Minister, als Plischke am Ende der Diskussion besondere Nähe suchte. Ob es nach einem »nicht unbedingt glücklichen Start« nicht Möglichkeiten einer engeren Zusammenarbeit gebe, fragte der VFA-Vorsitzende. Rösler verwies kühl auf sein Credo. Außerdem: Wenn sowieso feststehe, dass jede Entscheidung massive Kritik ernte, genieße einer alle Freiheit, so zu handeln, wie er es für richtig halte. /