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Wearables

EKG aus dem T-Shirt

22.11.2017  10:45 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi, Düsseldorf / Bei Wearables denken die meisten Menschen an Fitness-Armbänder. Doch der Markt ist schon deutlich weiter. Im medizinischen Bereich bieten Wearables enormes Potenzial, wie auf der Medizintechnik- Fachmesse Medica in Düsseldorf deutlich wurde.

T-Shirts schreiben inzwischen nicht nur Echtzeit-EKGs, sie messen auch die Körpertemperatur, die Bewegung, analysieren den Schweiß und zeichnen die Atmung auf. Smarte Textilien dieser Art, die ausgestattet mit Sensoren Vitalparameter des Körpers überwachen können, sind mittlerweile Realität. Einige Beispiele präsentierten Hersteller bei einer Wearable-Technology-Show auf der Medica.

»Die Sensoren in Textilien müssen vor allem bequem und waschbar sein und zuverlässige Daten liefern«, erklärte Dr. Yan Chang Ming von Ming Young Biomedical. Das Unternehmen mit Sitz in Taiwan hat neben den T-Shirts unter anderem Säuglings-Schlafanzüge im Programm, die die Körpertemperatur messen, Socken zur Ganganalyse und einen BH, der die Atembewegungen misst.

 

An smarten Textilien arbeitet auch das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen. »Idealerweise sind die Sensoren zur Bestimmung der Vitalparameter schon im Stoff integriert«, sagte Christian Hofmann vom Fraunhofer-IIS. Dieses Prinzip der textilen Elektroden haben die Forscher in ihrem FitnessSHIRT verwirklicht. Darin sind mittels Tunneltechnologie leitende Stoffe über der Brust eingearbeitet, die am Körper das EKG aufnehmen. Zudem ist ein elastisches Band eingelassen, das sich bei Heben und Senken des Brustkorbs dehnt beziehungsweise gestaucht wird, womit die Atmung überwacht wird, erklärte Hofmann. Die abgeleiteten Signale werden in einer kleinen Elektronikeinheit lokal gespeichert, die sich mit Druckknöpfen am T-Shirt befestigen lässt. Zum Waschen kann sie abgenommen werden. Die Elektronikeinheit kann die Daten mittels Funktechnologie an Rechner oder Smartphones übertragen.

 

Das FitnessSHIRT eigne sich etwa für die Leistungsdiagnostik bei Sportlern oder die Überwachung der Vitalparameter von Berufsgruppen, die Gefahren ausgesetzt sind, zum Beispiel Feuerwehrmänner. Auch die Überwachung von Probanden in klinischen Studien sei ein mögliches Einsatzgebiet, so Hofmann. Das Produkt ist schon auf dem Markt, die kommerzielle Variante des Vermarktungspartners Ambiotex ist CE zertifiziert.

 

Smarte Textilien

 

Für medizinische Zwecke hat das Fraunhofer-IIS aufbauend auf dieser Technologie ein Kleidungsstück speziell zur Überwachung der Herzfunktion entwickelt. Das CardioSHIRT hat ebenfalls eingearbeitete Elektroden, die das EKG mit bis zu neun Messkanälen erfassen. Es liefert somit Messdaten in medizinischer Qualität; aus den Rohdaten werden zudem die Herzfrequenz und die Herzratenvariabilität berechnet. »Im Vergleich dazu kann man Fitness-Uhren als Schätzeisen bezeichnen«, so Hofmann. Das CardioSHIRT eigne sich unter anderem zur Aufnahme eines Langzeit-EKG; statt der Klebeelektroden, Kabel und dem Rekorder müsse der Patient dann lediglich ein T-Shirt tragen.

Als Nächstes will das Team um Hofmann einen Schweiß-Analysator entwickeln. Der Sensor funktioniere bereits, die Proof-of-Concept-Studie sei abgeschlossen. Jetzt müsse die Technologie noch in eine anwenderfreundliche Form gebracht und in Textilien integriert werden. Eine Schweißanalyse eigne sich zum Beispiel zur Leistungsdiagnostik für Spitzensportler oder auch zur Beobachtung von Patienten mit Hepatitis oder Herzfehlern.

 

Neben smarten Textilien ist aber auch eine Reihe von intelligenten Pflastern zu verschiedenen Indikationen in der Entwicklung und zum Teil schon auf dem Markt. So zum Beispiel das Pflaster RootiRx des Unternehmens RootiCare. Es besteht aus einer Mini-Sensoreinheit, die mithilfe eines Pflasters auf die Brust geklebt wird, wo sie das EKG aufnimmt. Über WiFi werden die Daten direkt auf ein Smartphone übertragen, berichtete Sue Chuang von RootiCare. Neben der Herzfunktion werden auch die Aktivität und der Schlaf des Trägers aufgezeichnet. Das Pflaster samt Sensoreinheit wiegt etwa 14 Gramm und erlaubt eine Aufzeichnung der Daten für sieben Tage, dann muss es wieder aufgeladen werden. Das 2000 Euro teure Produkt ist bereits auf dem Markt und hat eine Zulassung der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA, so Chuang.

 

Wearables zum Aufkleben

 

Speziell für Asthmatiker ist das Pflaster Adamm bestimmt, das die Firma Health Care Originals auf der Medica präsentierte. Das Wearable wird ebenfalls auf die Brust aufgeklebt, wo es die Atemparameter wie Atemgeräusche im Kontext mit Herzfrequenz, Aktivitätslevel und Temperatur erfasst. Es kann auch Alarm geben, wenn die Daten auf eine Gefährdung hinweisen. Für Diabetiker gibt es zudem ein Pflaster, das den Blutzuckerspiegel misst, für Patienten mit Wunden eines, das den Heilungsprozess überwacht.

 

Zur Messung von Vitalparametern ist auch das Wearable Everion vom Unternehmen Biovotion entwickelt worden. Bei diesem Produkt wird eine elektronische Einheit mit einem optischen Sensor an einer Manschette am Oberarm getragen. Der Sensor misst durch die Haut den Blutfluss und kann darüber unter anderem Herz- und Atemfrequenz sowie die Sauerstoffsättigung im Blut bestimmen. Zudem werden die Hauttemperatur und die Aktivität aufgezeichnet. Das Besondere an Everion ist, dass mithilfe eines Lern-Algorithmus für jeden Patienten eine individuelle Baseline bestimmt wird, berichtete Anika Uhde von Biovotion. Zu starke Abweichungen von dieser Baseline lösen dann einen Alarm aus. Auf diese Weise könnten Krankenhauseinweisungen und Notfallbehandlungen durch frühzeitige medizinische Interventionen vermieden werden, wie eine erste Anwenderstudie mit Herzinsuffizienz-Patienten zeige.

 

Wearables könnten in Zukunft die alten Technologien wie Fieberthermometer, Blutdruckmessgerät und Stethoskop ablösen, zeigten sich die Experten auf der Medica überzeugt. Eine Herausforderung wird es sein, die Unmengen an Daten sinnvoll zu nutzen, die einzelnen Geräte untereinander beziehungsweise mit dem Internet zu vernetzen und die Daten zu schützen. /

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