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Wochenendworkshop

Pharmazie erlebbar machen

27.10.2006  13:11 Uhr

Wochenendworkshop

Pharmazie erlebbar machen

Von Sven Siebenand, Trier

 

Porta Nigra, Basilika und die älteste Apotheke Deutschlands: Die Zeichen der Geschichte sind in Trier zwar allgegenwärtig, mit dem Wochenendworkshop »Patient und Pharmazeutische Betreuung« stand die Stadt am vergangenen Wochenende jedoch ganz im Zeichen der Moderne. Rund 300 Teilnehmer nutzten die Chance, sich in spannenden Vorträgen und Seminaren fortzubilden.

 

»Die geplante Gesundheitsreform trägt nicht dazu bei, den Heilberuf des Apothekers zu festigen, sie schwächt ihn vielmehr«, sagte Dr. Hartmut Schmall, Präsident der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz in seiner Begrüßungsrede. »Wir müssen Pharmazie für den Patienten erlebbar machen«, so Schmall weiter. Gegenüber der Politik sei zudem eine konstruktive Haltung notwendig. Das Gesundheitswesen verlange immer mehr ökonomische Verantwortung der Akteure, der sich die Apotheker nicht entziehen sollten.

 

Neue Trends in der ADHS-Therapie

 

»Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und Hyperaktivität sind die drei Kernsymptome von ADHS«, sagte Privatdozent Dr. Michael Huss von der Charité Berlin. Der Mediziner erklärte, dass für die Diagnose von Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) jedoch noch zwei weitere Kriterien erfüllt sein müssen: Die Symptome müssen über einen längeren Zeitraum und in verschiedenen Situationen auftreten. Im Erwachsenenalter bleibe die Aufmerksamkeitsstörung meist erhalten, Impulsivität und Unruhe lassen jedoch nach.

 

Die Ursachen für ADHS seien häufig im psychosozialen Umfeld zu suchen. Allerdings scheinen auch genetische Faktoren und etwa Rauchen in der Schwangerschaft einen Einfluss zu besitzen. Polymorphismen, die das dopaminerge System betreffen, seien bereits entdeckt worden.

 

»Das Interview des erfahrenen Klinikers ist das beste Werkzeug zur Diagnosestellung«, so der Kinder- und Jugendpsychiater. Dabei sei vor allem wichtig, sowohl Eltern und Lehrer als auch das Kind selbst zu befragen. Erst wenn sich der Verdacht auf ADHS hierbei erhärtet, solle aufwendigere Diagnostik, zum Beispiel mit Doppler-Radar, betrieben werden.

 

Die Behandlung sollte multimodal erfolgen, das heißt neben psychoedukativen Maßnahmen sind verhaltenstherapeutische Interventionen und in manchen Fällen auch eine Pharmakotherapie erforderlich. Nur Tabletten zu geben, reiche nicht aus. Allerdings könne die medikamentöse Behandlung Bedingungen schaffen, unter denen man therapeutisch viel besser arbeiten kann, so Huss. Mittel der ersten Wahl sei nach wie vor das Stimulans Methylphenidat. Der Chemiker Leandro Panizzon synthetisierte die Substanz im Jahre 1944. Der Handelsname Ritalin geht auf den Vornamen von Panizzons Frau Rita zurück, die im Selbstversuch eine belebende Wirkung der Substanz festgestellt hatte. Das Krankheitsbild, das das Mittel später berühmt machte, war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht beschrieben.

 

Neben der nicht retardierten Arzneiform, die etwa drei Stunden wirkt, stehen heute lang wirksame Formulierungen von Methylphenidat zur Verfügung. Zu ihren Vorteilen zählen laut Huss bessere Compliance und weniger Stigmatisierung.

 

Mit der Zulassung von Atomoxetin liegt ein Arzneistoff vor, der sich eines anderen Wirkprinzips bedient. Während die Stimulantien in das dopaminerge System eingreifen, indem sie die Wiederaufnahme von Dopamin hemmen und/oder dessen Ausschüttung begünstigen, beeinflusst Atomoxetin als selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer die Dopamin-Aktivität im präfrontalen Cortex. Verglichen mit den Stimulantien sei die Effektstärke von Atomoxetin allerdings niedriger, so der Mediziner. Vorteile biete der Wirkstoff vor allem dann, wenn neben den ADHS-Kernsymptomen zum Beispiel Angststörungen oder Depressionen auftreten.

 

Eine ADHS-Therapie sollte mindestens ein halbes Jahr durchgeführt werden, informierte Huss. Gegebenfalls könne diese dann jahrelang, im Durchschnitt seien es drei bis vier Jahre, fortgeführt werden. Da die Verteilung von Methylphenidat und Cocain im ZNS sehr ähnlich ist, sei es nachvollziehbar, dass man sich Gedanken über das Suchtpotential des Wirkstoffs macht. Die meisten Studien mit Methylphenidat hätten aber genau das Gegenteil gezeigt. »Die Neigung zu Drogenkonsum im Erwachsenalter wird durch Methylphenidat eher verringert als erhöht«, so der Mediziner.

 

Zukunft sichern durch Exzellenz

 

Die Zukunftssicherung für das bewährte System der Arzneimittelversorgung in Deutschland bedarf eines ständigen Leistungsnachweises gegenüber der Gesellschaft. Der Patient muss die Qualität durch Gewinn an Lebensqualität spüren. »Ein Qualitätsmanagementsystem ist hier Mittel zum Zweck und kann helfen, die Zukunft der Apotheke zu sichern«, sagte Dr. Andreas Kiefer. Der Vizepräsident der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz machte deutlich, was unter Qualität, Management und System zu verstehen ist.

 

Er betonte, dass die Qualität der Arzneimittelversorgung nicht nur in den Arzneibüchern und der Apothekenbetriebsordnung und damit letztlich durch den Gesetzgeber definiert ist. Durch die Leitlinien der Bundesapothekerkammer und die Manuale zur Pharmazeutischen Betreuung arbeitet der Berufsstand selbst an der Entwicklung der Qualitätsnormen mit. Diese Normen unterliegen einem ständigen Revisionsprozess. »Apothekenteams, die diese Leitlinien in der Praxis umsetzen, arbeiten nach dem state of the art«, so Kiefer.

 

Um gute Qualität produzieren zu können, benötigt jeder Betrieb, unabhängig von seiner Größe, ein Management. Management im Zusammenhang mit Qualitätsmanagement meint Führung im Team. Alle Mitarbeiter müssen an einem Strang ziehen, um so eine möglichst gute Qualität sicherzustellen. Fragen wie »Ist unsere Medikationsdatei gepflegt?« und »Darf man in unserem Team Fehler eingestehen?« eignen sich, um die Güte des Managements zu hinterfragen.

 

Kiefer machte deutlich, dass das Management einem System folgen muss. »Die Leistung, die die Apotheke erbringt, ist nicht die Leistung eines Einzelnen, sondern die des gesamten Teams«, so der Apotheker. Die Arzneimittelversorgung und damit die Dienstleistung am Patienten ist das Ergebnis von Handlungsprozessen, die die ständige Kommunikation aller Beteiligten voraussetzen. Dabei sollte immer der Patient im Mittelpunkt stehen. Jeder, der am Prozess beteiligt ist, muss die ihm zugedachte Aufgabe zunächst einmal verstanden haben und im Folgenden dann auch ausführen. Das System muss erkennen, wie aufgetretene Fehler zukünftig vermieden und wie von ihnen gelernt werden kann. Nur so kann sichergestellt werden, dass Prozesse zu vorbestimmten und nicht zu zufälligen Ergebnissen führen. Kiefer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Technik (Software) nur so gut wie ein Mitarbeiter ist, das heißt im Sinne der Fehlerbetrachtung gleichzusetzen ist.

 

Im Rahmen einer Teamfortbildung der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz haben pharmazeutisches und nicht pharmazeutisches Personal gemeinsam ein Ablaufschema für die Arzneimittelversorgung aufgrund ärztlicher Verordnung erarbeitet. Dabei konnten alle Berufsgruppen voneinander lernen. Wichtig sei, so Kiefer, dass die Interessen des Patienten bei allen Prozessen im Mittelpunkt stehen.

 

Motivation bringt Therapieerfolg

Das Image von Arzneimitteln ist äußerst schlecht in der Gesellschaft. Sie gelten als gefährlich, machen Angst und niemand wendet sie gerne an. »Der heilende Charakter von Arzneimitteln wird dagegen leider nur unzureichend wahrgenommen«, sagte Dr. Hiltrud von der Gathen, Apothekerin und Kommunikationstrainerin aus Castrop-Rauxel. Aufgabe des Apothekers ist es, den Patient zu einer besseren Compliance zu motivieren. Dazu zählt, die physiologische Wirkung eines Arzneimittels in der Sprache des Patienten auszudrücken und einen klaren Nutzen zu formulieren. So kann zum Beispiel die Wirkung eines Antibiotikums als »wirksame Beseitigung der krank machenden Erreger« patientengerecht erläutert werden. Durch den Einsatz von Adjektiven wie »zuverlässig«, »spürbar« oder »dauerhaft« kann das Gesagte noch verstärkt werden. Redewendungen wie »Damit erreichen Sie...« führen automatisch zu einer Nutzenformulierung. Begriffe wie Qualität, langjährige Bewährung, Sicherheit und Erhöhung der Lebensqualität wecken das Gefühl beim Patienten, dass er etwas verpasst, wenn er das Arzneimittel nicht einnimmt.

 

Einen weiteren Schlüssel zum Therapieerfolg stellen Angaben zum verspürten Wirkungseintritt dar. »Viele Patienten haben die Vorstellung, dass ein Arzneimittel bereits während des Schluckvorgangs oder zumindest kurze Zeit danach wirkt«, so die Kommunikationstrainerin. Deshalb sollte der Apotheker den Patienten informieren, dass zum Beispiel ein imidazolinhaltiges Nasenspray sein Wirkoptimum erst nach zehn Minuten erreicht und eine spürbare Wirkung von Triptanen erst 30 bis 45 Minuten nach Einnahme erfolgt. Scopolamin-Pflaster gegen Reiseübelkeit wirken frühestens sechs Stunden nach dem Aufkleben, die Wirkung von Cromoglicinsäure setzt nach vier Tagen und die eines CSE-Hemmers nach sechs Wochen spürbar ein.

 

Von der Gathen gab ferner Tipps im Umgang mit der Angst vor Nebenwirkungen: Sinnvoll sei es, auszudrücken, wie viele Patienten die Nebenwirkung nicht bekommen. Zudem sei es ratsam, dem Patienten von Beginn an Perspektiven aufzuzeigen. Kaugummis oder Bonbons wirken zum Beispiel der Mundtrockenheit durch Anticholinergika, Clonidin oder Diuretika entgegen.

Bei relevanten Interaktionen eingreifen

Nur ein kleiner Teil der unerwünschten Arzneimittelwirkungen wird durch Interaktionen verursacht. Da diese aber häufig vorhersagbar und damit vermeidbar sind, sind sie von besonderer Bedeutung für die Apothekenpraxis. »Durch die Patientendatei und Einschreibung des Patienten in die Hausapotheke hat die Apotheke die Möglichkeit, einen Interaktions-Check zwischen der bereits bestehenden und der neu abzugebenden Medikation durchzuführen und so zur Arzneimittelsicherheit beizutragen«, erklärte Dr. Nina Griese vom Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA. Ein wichtiges Hilfsmittel in der Offizin stellt das Interaktionsmodul der ABDA-Datenbank dar, die wichtige Interaktionen zusammenfasst und bewertet.

 

Generell ist zwischen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Interaktionen zu unterscheiden. Während erste häufig klassenspezifisch sind (zum Beispiel interagieren alle ACE-Hemmer mit Spironolacton), sind pharmakokinetische Interaktionen häufig kein Klassenphänomen. So interagieren zum Beispiel die beiden CSE-Hemmer Lovastatin und Simvastatin mit Ketoconazol, Fluvastatin dagegen nicht, da es nicht über CYP 3A4, sondern über CYP 2C9 metabolisiert wird.

 

Durch Anwendungsbeobachtungen des Augsburger Qualitätszirkels und die Aktionswoche arzneimittelbezogene Probleme sind die für Apotheken wichtigsten und häufigsten Interaktionen bekannt. Kann die Kombination für den Patienten lebensbedrohend sein oder können bleibende Schäden entstehen, so wird die Interaktion als schwerwiegend eingestuft. Die Arzneimittel sollten daher in der Regel nicht gleichzeitig eingenommen werden. Eine mittelschwere Interaktion führt häufig zu therapeutischen Schwierigkeiten. Bei sorgfältiger Überwachung des Patienten kann die Kombination aber verabreicht werden.

 

Griese erläuterte, dass polyvalente Kationen besonders häufig als Interaktionspartner fungieren. Sie bilden zum Beispiel mit Schilddrüsenhormonen, Tetrazyklinen, Bisphosphonaten und Gyrasehemmern schwer resorbierbare Komplexe. Patienten sollten Mineralstofftabletten und Milchprodukte daher nie zusammen mit Wirkstoffen dieser Gruppen einnehmen. »Vor allem bei Bisphosphonaten ist es wichtig, dass sie mit Leitungswasser eingenommen werden, da Mineralwässer oft erhebliche Mengen an Calcium-Ionen enthalten«, betonte Griese. Frühestens zwei Stunden nach Arzneistoffapplikation dürfen Calcium-, Eisen- beziehungsweise Aluminiumsalze sowie calciumhaltige Nahrungsmittel eingenommen werden.

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