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Neu auf dem Markt

Deferasirox, Dexrazoxan und eine Vakzine gegen HPV

31.10.2006  15:35 Uhr

Neu auf dem Markt

Deferasirox, Dexrazoxan und eine Vakzine gegen HPV

Von Conny Becker und Brigitte M. Gensthaler

 

Zwei Orphan drugs kamen Anfang Oktober auf den deutschen Markt: Deferasirox zur Behandlung einer Eisenüberladung bei Anämie-Patienten und Dexrazoxan zum Gewebeschutz nach Anthrazyklin-Extravasation. Der neue HPV-Impfstoff soll Frauen vor viral bedingten Zervixkarzinomen schützen.

 

Deferasirox

 

Ein neuer Eisenchelatbildner erleichtert die Therapie bei Patienten, die wegen häufiger Bluttransfusionen eine chronische Eisenüberladung erleiden. Während das bisherige Standardmedikament Deferoxamin subkutan über Nacht infundiert wird, kann der Neuling Deferasirox peroral gegeben werden (Exjade®, Novartis Pharma).

 

Das Medikament erhielt in der EU im März 2002 den Orphan-drug-Status und im August dieses Jahres die Zulassung in Europa. Im Handel sind Tabletten mit 125, 250 und 500 mg Wirkstoff. Zur Herstellung einer Suspension rührt man die Tabletten in ein Glas Wasser, Orangen- oder Apfelsaft ein (keine Milch oder kohlensäurehaltigen Getränke) und trinkt diese einmal täglich nüchtern, das heißt mindestens 30 Minuten vor einer Mahlzeit.

 

Deferasirox ist zugelassen zur Behandlung der chronischen Eisenüberladung bei Patienten ab sechs Jahren mit Beta-Thalassaemia major, die häufig Bluttransfusionen bekommen. Es kann auch bei Kindern ab zwei Jahren, bei Patienten mit anderen Anämien oder mit selteneren Transfusionen eingesetzt werden, wenn das Standardmedikament kontraindiziert ist. Der Chelatbildner ist peroral bioverfügbar und hoch selektiv für dreiwertiges Eisen und weist nur eine geringe Affinität zu Zink und Kupfer auf. Der Ligand bindet das Eisen-Ion im Verhältnis 2:1 und fördert dessen Ausscheidung vorwiegend über die Faeces. Als Initialdosis werden 20 mg/kg Körpergewicht empfohlen. Die Serumferritin-Spiegel sollen monatlich bestimmt und die Deferasirox-Dosis alle drei bis sechs Monate daran angepasst werden.

Gestörte Hämoglobin-Bildung

Die Beta-Thalassaemia major ist eine schwere Form der erblichen Beta-Thalassämie, bei der nicht genügend normales Hämoglobin gebildet wird. Die Patienten brauchen regelmäßig Bluttransfusionen. Als häufige Transfusionen gelten mindestens 7 ml Erythrozytenkonzentrat pro kg Körpergewicht pro Monat. Die roten Blutkörperchen bringen viel Eisen mit, das den Transferrin-Pool im Plasma bald übersättigt. Das überschüssige Metall reicht sich an und schädigt auf Dauer innere Organe wie Leber und Herz. Deferoxamin und Deferasirox bilden Chelate mit Eisen-Ionen, die über Urin oder Faeces ausgeschieden werden. Ziel der Therapie ist es, die transfundierte Eisenmenge zu eliminieren oder eine bestehende Eisenüberladung zu reduzieren. Man beginnt mit der Deferasirox-Behandlung, wenn der Patient etwa 100 ml Erythrozytenkonzentrat pro kg KG erhalten hat oder Anzeichen einer Eisenüberladung (Serumferritin über 1 mg/l) bestehen.

In Studien mit rund 700 erwachsenen Patienten und Kindern sanken die Eisenkonzentrationen in der Leber (LIC: liver iron concentration) und das Serumferritin während eines Jahres unter Deferasirox (täglich 20 bis 30 mg/kg) ab. In der Hauptstudie erhielten 586 Patienten ab zwei Jahren mit Beta-Thalassämie unverblindet entweder Deferasirox oder Deferoxamin. 53 Prozent sprachen ausreichend auf Deferasirox an im Vergleich zu 66 Prozent auf Deferoxamin. Bei Patienten mit besonders hohen LIC waren beide Medikamente gleich wirksam. Dies galt nicht für Patienten mit niedrigeren LIC (unter 7 mg Fe/g Trockengewicht der Biopsie), was auf eine nicht äquivalente Dosierung zurückgeführt wird. Beide Medikamente sind gleich effektiv, wenn Deferasirox etwa halb so hoch dosiert wird wie Deferoxamin.

 

Häufigste Nebenwirkungen des neuen Medikaments waren Verdauungsstörungen, über die ein Viertel der Patienten klagte, und Hautausschläge bei etwa 7 Prozent. Da Deferasirox die Serumkreatinin-Spiegel erhöhen kann, muss die Nierenfunktion der Patienten überwacht werden.

 

Dexrazoxan

 

Bereits seit den 1990er-Jahren wird Dexrazoxan bei Krebspatienten zur Vorbeugung und Minderung der kardiotoxischen Effekte von Anthrazyklinen eingesetzt (Zinecard®; nicht in Deutschland zugelassen). Seit Oktober ist der Wirkstoff für die Behandlung einer Extravasation durch Anthrazykline EU-weit zugelassen (Savene®, TopoTarget A/S, Kopenhagen). Das Orphan drug wird nur an krankenhausversorgende Apotheken abgegeben.

 

Von einer Extravasation (Paravasation) spricht man, wenn ein Zytostatikum, das normalerweise in die Vene injiziert wird, aus dem Blutgefäß austritt oder versehentlich in das Gewebe gespritzt wird. Dies ist besonders gefährlich bei Anthrazyklinen, die schwere Gewebeschäden mit Geschwüren und Nekrosen verursachen können. Da sich Nekrosen über längere Zeit hinweg weiter ausbreiten, muss man geschädigtes Gewebe radikal chirurgisch entfernen.

 

In zwei offenen Studien mit insgesamt 80 Patienten, bei denen eine Extravasation mit Anthrazyklinen (bei 56 Prozent Epirubicin) aufgetreten war, verhinderte die Dexrazoxan-Infusion die Ausbildung einer Nekrose, verringerte Folgekrankheiten und ermöglichte meistens eine Fortsetzung der Krebsbehandlung. Nahezu kein Patient musste sich operieren lassen. Dazu wird Dexrazoxan an drei Tagen intravenös infundiert (nicht an der betroffenen Extremität). Die erste Infusion mit 1000 mg/m² Körperoberfläche muss innerhalb der ersten sechs Stunden nach dem Vorfall beginnen. Die gleiche Menge wird am zweiten Tag und die halbe Dosis am dritten Tag gegeben.

 

Wie Dexrazoxan die Nekrosen verhindert, ist nicht völlig geklärt, obwohl zwei Wirkmechanismen der Substanz bereits bekannt sind. So binden vor allem die nach intrazellulärer Hydrolyse ringoffenen Metaboliten Eisen und reduzieren damit die Eisen-abhängige oxidative Belastung durch freie Radikale. Zudem wirkt der Arzneistoff antineoplastisch, da er die Topoisomerase II hemmt. In welchem Ausmaß diese Mechanismen zum Schutz des Gewebes beitragen, ist allerdings nicht bekannt.

 

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Übelkeit und Erbrechen, Schmerzen und Infektionen an der Injektionsstelle. Aufgrund einer Knochenmarksuppression kann es zu Neutro- und Thrombozytopenie kommen; außerdem können die Leberwerte steigen. Frauen sollen während der Behandlung zuverlässig verhüten und Männer bis zu drei Monate danach keine Kinder zeugen.

 

HPV-Impfstoff

 

Mit Gardasil® (Sanofi Pasteur MSD) ist vergangenen Monat ein tetravalenter Impfstoff gegen humane Papillomaviren (HPV) auf den Markt gekommen. Indiziert ist die Vakzine zur Prävention von hochgradigen Dysplasien der Zervix und der Vulva, von Zervixkarzinomen sowie äußeren Genitalwarzen, die von den HPV-Typen 6, 11, 16 und 18 verursacht werden. Die Typen 16 und 18 sind für einen Großteil der Erkrankungen an Gebärmutterhalskrebs, die Typen 6 und 11 für die meisten Genitalwarzen verantwortlich. Die Viren werden sexuell übertragen.

 

Geimpft werden können erwachsene Frauen und Mädchen ab einem Alter von neun Jahren. Die Fertigspritzen (0,5 ml Adsorbatimpfstoff) beinhalten eine Suspension, die vor dem Schütteln (obligatorisch!) als klare Flüssigkeit mit weißem Niederschlag vorliegen kann.

 

Der rekombinant hergestellte Impfstoff basiert auf Virus-ähnlichen Partikeln des Hauptkapsidproteins L1 der HPV-Typen 6, 11, 16 und 18. Diese machen den Großteil des Virus aus, enthalten keine DNA, sind also nicht pathogen, rufen aber eine Antikörperantwort hervor. Für eine Grundimmunisierung ist die intramuskuläre Injektion von drei Einzeldosen erforderlich, wobei zu den Zeitpunkten 0, 2 und 6 Monate geimpft werden sollte. Die Abstände müssen mindestens einen beziehungsweise drei Monate betragen; alle drei Dosen sind innerhalb eines Jahres zu verabreichen. Derzeit ist unklar, ob eine Auffrischimpfung erfolgen sollte. Bislang konnte gezeigt werden, dass der Schutz fünf Jahre anhält; die Beobachtungsstudien laufen weiter.

 

Sicherheit und Wirksamkeit wurden in vier placebokontrollierten randomisierten Doppelblindstudien mit rund 20.500 Frauen im Alter von 16 bis 26 Jahren untersucht. Als primäre Endpunkte galten HPV 6-, 11-, 16- oder 18-assoziierte Läsionen der Vulva und Vagina, zervikale intraepitheliale Neoplasien (CIN) unterschiedlicher Schweregrade sowie persistierende HPV-Infektionen.

 

Zunächst wurde nachgewiesen, dass die Impfung seronegative Frauen schützt. So verhinderte die Vakzine in den vier Studien zu 100 Prozent das Auftreten von HPV-16- oder HPV-18-assoziierten CIN vom Schweregrad 2/3, während in der Kontrollgruppe 53 von 8460 Frauen nach zwei Jahren solche Neoplasien aufwiesen. Vor HPV 6/11/16/18-assoziierten Genitalwarzen schützte die Impfung zu mindestens 98 Prozent: Von jeweils knapp 7900 geimpften Frauen erkrankte nur eine aus der Verumgruppe gegenüber 91 Frauen aus der Placebogruppe. Persistierende Infektionen über mehr als ein Jahr konnten ebenfalls zu mehr als 93 Prozent verhindert werden.

 

Frauen mit bestehender oder vorangegangener Infektion bewahrte die Impfung vor einer Erkrankung durch einen anderen der vier Subtypen. In dieser Gruppe betrug die Wirksamkeit 46 Prozent bezogen auf die Entwicklung von CIN-Neoplasien (122 versus 201 Fälle bei jeweils rund 9800 Probandinnen). Dysplasien der Vulva vom Grad 2/3 sowie Genitalwarzen durch die vier HPV-Subtypen waren verglichen mit Placebo auf etwa ein Drittel gesenkt.

 

Die Wirksamkeit von Gardasil wurde bei 9- bis 15-Jährigen zwar nicht in Studien getestet, kann aber aufgrund einer vergleichbaren Immunogenität angenommen werden. In zwei klinischen Studien wurden dazu die anti-HPV-Immunantworten bei rund 1800 Mädchen und Jungen ermittelt und mit denen der 16- bis 26-jährigen Frauen verglichen. Die Antikörperkonzentrationen waren im Monat 7 bei den Jugendlichen höher und zeigten eine Abhängigkeit vom Alter: Sie lagen bei unter 12-Jährigen signifikant höher als bei den älteren Probanden.

 

Als Nebenwirkungen traten sehr häufig, das heißt bei jedem Zehnten Fieber sowie Schmerzen oder Erytheme an der Injektionsstelle auf. Abgesehen davon wurde die Vakzine gut vertragen. Sie eignet sich nicht zur Therapie von Zervixkarzinomen und -dysplasien oder Genitalwarzen. Außerdem ersetzt sie keinesfalls die Vorsorgeuntersuchung auf Gebärmutterhalskrebs.

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