Wohin mit den Taschentüchern? |
19.10.2015 13:41 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek / Inge Wolff ist Vorsitzende des Arbeitskreises Umgangsformen International (AUI) und Spezialistin für gutes Benehmen. Ihre Tipps für die Schnupfenzeit erleichtern nicht nur den Umgang mit erkälteten Kollegen im Büro, sondern helfen auch, sich selber nicht anzustecken.
PZ: Sagt man heute noch »Gesundheit«, wenn jemand niest?
Wolff: Nicht in jedem Fall. Der AUI empfiehlt, situationsgemäß zu entscheiden. Ältere Menschen, die noch gelernt haben »Gesundheit« zu sagen, wären brüskiert, wenn man es wegließe. In einer großen Runde ist es aber immer unpassend.
Vorsicht Viren: Benutzte Taschentücher nicht im Papierkorb entsorgen.
Foto: Fotolia/lenets_tan
Stellen Sie sich ein Meeting mit zwölf Personen vor. Fünf davon sind erkältet und niesen. Hier jedes Mal »Gesundheit« zu sagen, würde das Meeting sprengen.
Es soll ja so gewesen sein, dass während der Pest, die mit grippeähnlichen Symptomen begann, die Menschen nicht den Erkrankten Gesundheit gewünscht haben, sondern sich selbst. Dann wäre es nie ein guter Wunsch für den anderen gewesen.
Wenn überhaupt, sagt man es, wenn man zum Beispiel mit einem Kollegen im selben Raum sitzt. Auf keinen Fall ruft man über den Flur, wenn im Nachbarbüro jemand niest. Grundsätzlich gibt es seit Jahrzehnten eine unausgesprochene Empfehlung für Umgangsformen bei sogenannten unfreiwilligen Körpergeräuschen: nichts sagen oder kommentieren. Man kann das »Gesundheit-Sagen« sogar als unhöflich ansehen, weil man den Niesenden damit auf etwas Unangenehmes wie eine Erkrankung hinweist. Beim Husten oder Magengrummeln sagen wir ja auch nichts.
Immer noch verbreitet ist es auch, sich nach dem Niesen zu entschuldigen. Warum? Man kann ja nichts dafür. Angebracht ist das nur, wenn dadurch zum Beispiel ein Gespräch unterbrochen wird, auch am Telefon.
PZ: In Deutschland gibt man sich zur Begrüßung die Hand. Eine ausgestreckte Hand nicht zu ergreifen, ist extrem unhöflich – auch, wenn man erkältet ist.
Wolff: Ein freundlicher Satz beugt hier Missverständnissen vor. Ich habe mir angewöhnt, schon von Weitem eine abwehrende Geste zu machen und zu sagen: Nicht böse sein, aber ich bin erkältet. Die Ansteckungsgefahr zu verringern, ist ein Höflichkeitsgebot. Das Anliegen des AUI ist es: Empfehlungen zu geben für wertschätzendes, rücksichtsvolles Verhalten anderen Menschen gegenüber.
PZ: Husten, Niesen, Naseputzen – wie viel Erkältung ist den Kollegen zuzumuten?
Wolff: Wer sich lautstark die Nase putzen muss und einem Kollegen gegenübersitzt, sollte den Raum kurz verlassen. Das gilt zum Beispiel auch im Restaurant. Sich am Tisch nur zur Seite zu drehen und zum Nachbarn hin zu schnäuzen: Das geht gar nicht. Und auch, wenn eine alte Umgangsformen-Empfehlung besagt, dass der komplett ausgestattete Mensch stets ein sauberes Stofftaschentuch bei sich haben sollte: Es bei grippalen Infekten zum Naseputzen zu gebrauchen widerspricht sämtlichen Hygiene-Anforderungen der Fachleute. Bei Erkältungen immer ein Einmaltaschentuch aus Papier verwenden und nach Gebrauch unbedingt in einem geschlossenen Mülleimer oder zu Hause entsorgen. Auf keinen Fall achtlos in den Papierkorb unterm Schreibtisch schmeißen.Das vermindert die Ansteckungsgefahr für andere und sich selbst.
Wenn der Niesreiz aber sehr plötzlich kommt: Ärzte und auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfehlenja schon seit Längerem, nicht die Hand sondern die Ellenbeuge zum Auffangen der Keime zu benutzen. Aus gutem Grund, denn die Hand ist ein Virentransporteur erster Güte und infiziert Türklinken ebenso wie Tastaturen oder Lichtschalter. Bekanntlich lässt sich durch simples Händewaschen das Ansteckungsrisiko deutlich minimieren.
Kinder lernen heute ganz selbstverständlich schon im Kindergarten, in die Armbeuge zu niesen. Ältere Menschen tun sich aber schwer damit. Die haben noch gelernt, die linke Hand dafür zu nehmen, weil man sich mit der rechten in der Regel begrüßt. Ich selber musste mich in den letzten Jahren mühsam umstellen. Aus Sicht des AUI bleibt das Papiertaschentuch aber das Mittel der Wahl und die Armbeuge die Notlösung. Besonders hygienisch ist es nämlich auch nicht, auf den Pullover-Ärmel zu niesen. Manchmal geht es aber nicht anders.
PZ: Ärgerlich sind hustende Menschen in Kino, Oper und Theater. Wie sieht rücksichtvolles Verhalten bei Erkältung hier aus?
Wolff: Niemand kann erwarten, dass ich bei einer leichten Erkältung eine teure Opernkarte in den Papierkorb werfe. In dem Fall muss man sich mit Arzneimitteln entsprechend versorgen, um nicht zu husten und den Kunstgenuss zu stören. Es hat ja schon Dirigenten gegeben, die bei knisterndem Hustenbonbonpapier wütend die Bühne verlassen haben. Auch bei zwingender Teilnahme an einer beruflichen Veranstaltung muss man die Symptome medikamentös so gut wie es geht unterdrücken und notfalls bei einem akuten Anfall den Raum verlassen. Ansonsten gilt: Frei wählbare Termine so lange verschieben, bis es einem besser geht. Ich bin selber gerade erkältet und habe meine Physiotherapie bis auf Weiteres abgesagt. /
Der Arbeitskreis Umgangsformen International (AUI) ist das älteste in Deutschland tätige Sachverständigen-Gremium zu den Themen Verhalten, Kommunikation, moderne Umgangsformen, im allgemeinen Sprachgebrauch gern auch als sogenanntes Knigge-Gremium bezeichnet.
Aber längst nicht alles, was unter seinem Namen passiert, würde Adolph Freiherrn Knigge erfreuen, wenn er es erlebte. Die meisten Menschen wissen nicht, worum es ihm wirklich ging, und dass er keineswegs ein »Regelbuch der Etikette« geschrieben hat. Er wollte eine Hilfe dazu geben, sinnlose Konflikte zu vermeiden und schrieb vorrangig über die Grundsätzlichkeiten des guten Umgangs mit Menschen. Seine Grundsätze sind die Basis für die Empfehlungen des AUI. Drückt ein Verhalten Wertschätzung anderen Menschen gegenüber aus? Ist es rücksichtsvoll? Zeigt es Hilfsbereitschaft und Toleranz? Das ehrenamtlich tätige Gremium entscheidet auch, welche Empfehlungen in der heutigen Zeit noch praktikabel und sinnvoll sind. Mail- und SMS-Knigge haben ebenso Eingang in die Tipps des AUI gefunden wie Hinweise zum Umgang mit Nahrungsmittelallergien bei Essenseinladungen oder Weiterbildungen zum sogenannten Business-Knigge-Coach.
Quelle: www.aui-umgangsformen.com