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Niereninsuffizienz

Angaben in Fachinfo vereinheitlichen

21.10.2015  10:05 Uhr

Von Michael Dörks / Der Fachinformation kommt hinsichtlich der richtigen Dosierung von Arzneistoffen eine bedeutende Rolle zu. Dies gilt insbesondere für Patienten mit Niereninsuffizienz, da bei ihnen die nierenfunktionsabhängige Dosierung von Arzneimitteln sehr stark varriert. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass sich in einzelnen Fachinformationen noch Diskrepanzen finden.

»Weniger ist manchmal mehr.« Diese Volksweisheit gilt in besonderem Maße auch für die Arzneimitteltherapie niereninsuffizienter Patienten. Denn bei diesen Patienten ist mit abnehmender glomerulärer Filtrationsrate (GFR) eine Dosisanpassung aufgrund der potenziellen Kumulation von renal eliminierten Wirkstoffen oder der entsprechenden Metaboliten besonders wichtig. Zudem variiert je nach Grad der Funktionseinschränkung die nierenfunktionsabhängige Dosierung von Arzneimitteln sehr stark. Hinzu kommt, dass mehr als die Hälfte aller Arzneistoffe renal eliminiert werden, und insofern das Risiko einer inadäquaten Pharmakotherapie bei fehlender oder fehlerhafter Dosisanpassung in dieser Patientengruppe erheblich steigt.

 

Im Rahmen der Arzneimittel­therapie­sicherheit (AMTS) als integralem Bestandteil von Medizin und Pharmazie wird eine optimale Organisation der gesamten Arzneimitteltherapie angestrebt, um unerwünschte Arzneimittelereignisse durch Medikationsfehler zu vermeiden. Insofern ist eine schnelle Orientierung hinsichtlich der richtigen Arzneimitteldosierung bei Niereninsuffizienz unerlässlich. Von großem Nutzen ist hier eine einheitliche, verlässliche und praktikable Informationsquelle. Den behördlich autorisierten Fachinformationen kommt als offizielle Informationsgrundlage für Fachkreise zu einem Arzneimittel eine besondere Rolle zu.

 

Arzneimittelbehörden geben Inhalte vor

Als Teil der Arzneimittelzulassung, die durch die europäische Arzneimittelagentur EMA beziehungsweise die beiden nationalen Arzneimittel-Zulassungsbehörden Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Paul-Ehrlich Institut (PEI) erfolgt, sind die Inhalte in § 11 beziehungsweise § 11a des Arzneimittelgesetzes (AMG) geregelt. Sowohl die EMA als auch die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA geben vor, in welchem Umfang und an welcher Stelle in der Fachinformation Hinweise in Bezug auf spezielle Patientengruppen, wie Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion zu nennen sind.

 

Eine in Pflegeheimen durchgeführte Studie untersuchte, wie groß der Anteil Pflegeheimbewohner mit Niereninsuffizienz ist und wie häufig Medikamente gegebenenfalls nicht an die Nierenfunktion angepasst sind. Die Fachinformation diente neben weiteren Quellen als Referenz. Es zeigte sich, dass Fachinformationen wirkstoff- und wirkstoffmengengleicher Arzneimittel voneinander abwichen. So differierten zum Beispiel die Angaben zur Anwendung des selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers Fluoxetin bei niereninsuffizienten Patienten. Die Fachinformation einer festen oralen Darreichungsform enthält zwar Daten zur renalen Pharmakokinetik von Fluoxetin, aber keine Hinweise darauf, dass eine Dosisanpassung vorgenommen werden sollte. Demgegenüber ist in der Fachinformation einer oral anzuwendenden Lösung der Hinweis auf eine Reduktion der zu verabreichenden Dosis gegeben: »Bei Patienten mit Einschränkung der Nierenfunktion (GFR zwischen 10 und 50 ml/min) ist die Dosis zu reduzieren beziehungsweise ist Fluoxetin jeden 2. Tag als 20-mg-Einzelgabe zu verordnen«. Darüber hinaus ist eine schwere Nierenfunktionsstörung (GFR unter 10 ml/min) als Gegenanzeige aufgeführt. Neben solchen unterschiedlichen Angaben in den Fachinformationen wirkstoffgleicher Arzneimittel können auch unterschiedlich gewählte Formulierungen den Leser verunsichern oder ihn Warnhinweise individuell interpretieren lassen: »Opipramol soll nicht angewendet werden bei manifesten Leber- und Nierenerkrankungen« und »Opipramol darf nur mit besonderer Vorsicht bei Leber- und Nierenerkrankungen angewendet werden«.

 

Fachinformationen weisen Diskrepanzen auf

 

Auch für den Calciumkanalblocker Felodipin findet man zum Teil unterschiedliche Angaben. So führt eine Fachinformation den Hinweis auf, dass bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion keine Dosisanpassung erforderlich wird und der Einsatz bei schwerer Niereninsuffizienz mit einer GFR ≤ 30 ml/Min kontraindiziert ist. Schlägt man in weiteren Fachinformationen nach, findet man zwar ebenfalls den Hinweis, dass bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion keine Dosisanpassung erforderlich ist, jedoch ist die ausgewiesene Kontraindikation in einigen Fachinformationen nicht enthalten.

 

Ebenfalls fanden sich Diskrepanzen in den Fachinformationen Metformin-haltiger Präparate. Im Dezember 2014 wurde der Einsatz von Metformin bei Niereninsuffizienz neu bewertet und die Fachinformation des Originalpräparats angepasst. Demnach ist der vormals kontraindizierte Einsatz bei Patienten mit mäßig eingeschränkter Nierenfunktion im Stadium 3a (GFR von 45 bis 59 ml/min) gemäß der Fachinformation nun möglich. Voraussetzung ist das Fehlen anderer Faktoren, die das Risiko für eine Laktatazidose erhöhen können sowie eine Reduzierung der Dosis. Es ist anzunehmen, dass demnächst auch die Fachinformationen von Generika entsprechend geändert werden.

 

Eine Studie der Universität Heidelberg aus dem Jahr 2004 zeigte bereits, dass die Angaben in den Fachinformationen nur bedingt für eine Dosisindividualisierung im Behandlungsalltag verwendbar sind. Das BfArM hat schrittweise begonnen, die Fachinformationen, bei denen Inkonsistenzen hinsichtlich der Dosierungsangaben bei Anwendung durch Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion bestehen, zu optimieren. Um eine Vereinheitlichung von Begriffen zu erreichen, werden strukturierte Thesauri gebraucht. Inkonsistenzen in den Fachinformationen sollen automatisiert von dafür entwickelter Software aufgedeckt werden. In der Praxis werden ergänzend zur Fachinformation neben den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften nephrologische Standardwerke und wissenschaftliche Datenbanken wie Medline oder Embase zur Literaturrecherche genutzt. Weitere wichtige Informationsgrundlagen sind auch Datenquellen von Expertennetzwerken wie das Programm zur Dosierungsinformationen bei Niereninsuffizienz der Universität Heidelberg (www.dosing.de).

 

Fazit

 

Ärzte und Apotheker sind im Versorgungsalltag in vielen Behandlungsfällen auf eine schnelle Orientierung und praktikable Quellen hinsichtlich der richtigen Arzneimitteldosierung bei Niereninsuffizienz angewiesen. Als Bestandteil des Zulassungsdossiers besitzt die Fachinformation einen offiziellen regulatorischen Charakter und sollte als Hauptinformationsquelle zu Nutzen und Risiken von Arzneimitteln dienen. Auch verbreitete Apothekensoftware greift in diesem Zusammenhang unter anderem auf die Angaben in den Fachinformationen zurück. Im Zuge des alltäglichen Austauschs von Originalpräparaten und Generika sind homogene Fachinformationen wirkstoff- und wirkstoffmengengleicher Arzneimittel wünschenswert. Die begonnenen Optimierungen sollten weiter vorangetrieben werden, um Verunsicherungen zu vermeiden und die AMTS im Versorgungsalltag zu verbessern. /

 

Literatur bei Verfassern

 

Kontakt

Dr. Michael Dörks

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Department für Versorgungsforschung

26111 Oldenburg

E-Mail: michael.doerks@uni-oldenburg.de

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