Placebo-Effekt wird immer stärker |
13.10.2015 15:04 Uhr |
Von Annette Mende / Arzneistoffe gegen neuropathische Schmerzen schneiden in den vergangenen Jahren in randomisierten, placebokontrollierten Studien immer schlechter ab. Das liegt aber nicht an einer nachlassenden Wirkung der Analgetika, sondern an einer Zunahme des Placebo-Effekts, wie kanadische Wissenschaftler jetzt belegen konnten.
Die Autoren um Alexander H. Tuttle und Sarasa Tohyama von der McGill University Montreal hatten die Beobachtung gemacht, dass der Placebo- Effekt in Studien mit Antidepressiva und Antipsychotika über die Jahre stetig wuchs. Da die Intensität chronischer neuropathischer Schmerzen ebenso wie die depressiver oder psychotischer Symptome einer subjektiven Einschätzung des Patienten unterliegt, vermuteten sie auch hier einen Anstieg des Placebo-Effekts.
Arzneimittel-Werbung in den USA
Die Auswertung von 84 Studien mit 92 verschiedenen Arzneimitteln, publiziert in den Jahren 1990 bis 2013, bestätigte diese Vermutung: Der Placebo-Effekt stieg in diesem Zeitraum signifikant an. Die Effektstärke der Analgetika blieb jedoch stabil bei etwa 35 Prozent und so schrumpfte der Unterschied zwischen beiden von gut 27 Prozent im Jahr 1996 auf nur noch knapp 9 Prozent dreizehn Jahre später. Das berichten die Autoren im Fachjournal »Pain« (DOI: 10.1097/j.pain.0000000000000333).
Bemerkenswerterweise waren hiervon ausschließlich US-amerikanische Studien betroffen und keine Untersuchungen in anderen Ländern. Die Forscher stellen fest, dass die Studien in den USA – und nur dort – immer länger dauerten und immer mehr Teilnehmer rekrutierten. Diese Veränderungen korrelieren mit der Zunahme des Placebo-Effekts.
Dr. Jeffrey S. Mogil, Leiter der Arbeitsgruppe und Seniorautor der Publikation, stellte gegenüber dem Nachrichtenportal »Nature News« Mutmaßungen über die Gründe dieses Phänomens an. Er glaubt, dass die immer größer, länger und teurer werdenden Studien die Erwartung der Probanden hinsichtlich der Wirksamkeit der getesteten Mittel erhöhen. Auch direkt an Patienten gerichtete Arzneimittelwerbung, die nur in den USA und Neuseeland erlaubt ist, könnte dabei eine Rolle spielen.
Erwartung ist eine wichtige Komponente des Placebo-Effekts. Das hat der Neurowissenschaftler Fabrizio Benedetti, der seit Jahren an der Universität Turin über die Wirkung der Scheinmedikamente forscht, schon mehrfach gezeigt. Er macht den jetzt gezeigten Anstieg der Placebo-Wirkung dafür verantwortlich, dass es Pharmafirmen zunehmend schwerfällt, die Wirkung neuer Schmerzmittel in Studien zu belegen. In den vergangenen zehn Jahren seien mehr als 90 Prozent der Arzneistoffkandidaten zur Behandlung von neuropathischen oder krebsbedingten Schmerzen in fortgeschrittenen Phasen der klinischen Prüfung durchgefallen, sagte er »Nature News«.
»Viele Schmerzforscher glauben, dass die getesteten Substanzen eigentlich funktionieren, die Studien das aber nicht zeigen können«, bestätigt Mogil. Er führt noch eine weitere mögliche Erklärung für die verbesserte Placebo-Wirkung an: Patienten werden im Rahmen großer klinischer Studien mit entsprechender personeller Ausstattung meist besser betreut als bei kleineren Untersuchungen, wie sie früher an der Tagesordnung waren. »Unsere Daten belegen: Je größer die Studie, desto größer ist auch der Placebo-Effekt.«
Die Hersteller entsprechender Mittel befinden sich also in einem Wettbewerb mit einem stärker werdenden Gegner, den sie durch das Design ihrer Studien selbst stark gemacht haben. Wie lässt sich dieser Wettstreit zugunsten der Analgetika entscheiden? Benedettis Lösungsvorschlag ist so simpel wie schwierig: »Die Firmen müssen einfach wirksamere Arzneistoffe entwickeln.«
Reizverarbeitung im Gehirn verändert sich
Er glaubt nicht, dass mehr Studien erfolgreich wären, wenn es gelänge, den Placebo-Effekt zu senken. Denn dieser wird zwar durch psychische Faktoren ausgelöst. Die Schmerzlinderung an sich beruht dann jedoch auf einer Veränderung der Reizverarbeitung im Gehirn, die objektiv messbar ist. Das bestätigt die jetzt vorgelegte Studie, in der die Wirkung von Placebos ebenso wie die der Vera über acht bis zwölf Wochen anhielt. In keinem Fall kam es zu einem Abfall der Placebo-Wirkung, die man jedoch erwarten würde, wenn diese lediglich auf einer Konditionierung beruhen würde. /