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Naturstoff-Forschung

Polyphenole wirken – aber wie?

Datum 14.10.2014  16:31 Uhr

Von Daniela Biermann, Guimarães / Polyphenole kommen als sekundäre Inhaltsstoffe in den meisten Pflanzen vor. Zahlreiche positive Effekte für den Menschen sind belegt, aber wie kommt die Wirkung zustande, und was lässt sich daraus für unsere Ernährung ableiten? Helfen neue Analysemethoden weiter? Darüber sprachen Naturstoff-Forscher bei einem Kongress in Portugal.

Polyphenole zählen wohl zu den am weitesten verbreiteten Sekundärstoffen im Pflanzenreich. Mindestens 2 g der Pflanzenstoffe nimmt jeder Mensch nach Schätzungen täglich auf, erklärte Professor Dr. Francisco A. Tomás-Barberán von der Universität von Murcia, Spanien, beim 62. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Arzneipflanzen- und Naturstoff-Forschung, der Anfang September im portugiesischen Guimarães stattfand. Rund 650 Naturstoff-Forscher tauschten sich dort über neue Leitsubstanzen, Techniken und Studiendaten aus. Gleich mehrere Plenarvorträge beschäftigten sich mit den Polyphenolen.

 

Mittlerweile gibt es mehr als 30.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen zu den aromatischen Verbindungen mit den vielen Hydroxygruppen, berichtete Tomás-Barberán. Im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts hätten viele epidemiologische Studien gezeigt, dass eine hohe Einnahme von Polyphenolen, zum Beispiel in Form von Obst, Gemüse, Tee, Kakao oder auch Rotwein, mit einem geringeren Risiko für viele Erkrankungen wie Krebs, Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen korreliert. In vitro wiesen Wissenschaftler zahlreiche für den Menschen positive Eigenschaften nach, allen voran die antioxidative Wirkung. »In den Jahren 2000 bis 2010 zeigte sich jedoch, dass der Wirkmechanismus der Polyphenole komplizierter ist als gedacht«, so Tomás-Barberán. Die relativ großen Moleküle können nämlich im Darm kaum resorbiert werden. Nun fokussieren sich die Wissenschaftler daher auf die Abbauprodukte der Polyphenole, die unsere Darmbakterien herstellen. Die kleineren Moleküle gelangen zwar etwas besser ins Blut, doch auch hier misst man bislang nur Konzentrationen im nanomolaren Bereich.

 

Futter für Darmbakterien

 

Aus der Sicht von Tomás-Barberán sind es gar nicht die Polyphenole selbst, die uns gut tun. Vielmehr bilden sie als Präbiotika das optimale Futter für wichtige, vorteilhafte Darmmikroben wie Bifido-Bakterien und Laktobazillen. Sie prägen damit unsere Darmflora. Die Bakterien, die die Polyphenole zerlegen können, sind dabei doppelt im Vorteil: Sie können aus den Molekülen Zucker als Nährstoffe gewinnen und schützen sich vor der ansonsten antibakteriellen Wirkung der Substanzen.

 

Tomás-Barberán und sein Team erforschen derzeit, welche Bakterien welche Polyphenole wie Lignane, Isoflavone, Resveratrol oder Ellagsäure verarbeiten. Nach seiner These profitieren nur Bevölkerungsgruppen mit einer bestimmten Darmflora von vielen positiven Effekten der Polyphenole beziehungsweise ihrer Metabolite. Diese Kenntnisse könnten bei der Entwicklung von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel könnten bestimmte Bakterien als Probiotika mit den passenden bioaktiven Naturstoffen als Präbiotika gemeinsam verabreicht werden – ein Schritt hin zu einer personalisierten Ernährung, um individuelle Krankheitsrisiken zu senken.

 

Um den evidenzbasierten Einsatz von Flavanolen, einer Untergruppe der Polyphenole, ging es im Vortrag von Professor Dr. Cesar G. Fraga von der Universität Buenos Aires in Argentinien. Er bemängelte, dass es trotz zahlreicher Untersuchungen immer noch keine offiziellen Verzehrmengen-Empfehlungen für Polyphenole gibt. Zudem müssten die einzelnen Untergruppen der Flavonoide oder auch einzelne Moleküle auf ihren Nutzen für den Menschen besser untersucht werden. Wie schon sein Vorredner gab Fraga zu bedenken, dass Flavonoide in vitro zwar sehr gut freie Radikale einfangen, aber kaum bioverfügbar sind. Trotzdem zeigten epidemiologische Studien, dass die Stoffe aus Rotwein, Tee und Kakao einen Effekt haben, zum Beispiel Epigallocatechingallat (EGCG) aus grünem Tee. Auch wenn der Wirkmechanismus noch unklar sei, könne man heute jedem Menschen bereits empfehlen, fünfmal am Tag Flavonoid-reiche Lebensmittel wie Obst und Gemüse zu essen und grünen Tee zu trinken. Dies sei eine kosteneffektive Maßnahme, um das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, einige Krebsarten sowie viele entzündliche Erkrankungen zu senken.

 

Insbesondere der positive Effekt auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen lege einen Zusammenhang mit der Produktion von Stickstoffmonoxid (NO) nahe. Das führte Professor Dr. João Laranjinha von der Universität Coimbra in Portugal näher aus. Seiner Meinung nach beeinflussen auch die noch nicht metabolisierten Strukturen der Polyphenole als Redoxkomponenten den Nitrat-Nitrit-NO-Signalweg im Magen-Darm-Trakt. Demnach entsteht nach Konsum von Polyphenolen NO, das als universeller Botenstoff eine Vielzahl von Effekten im Körper hat, zum Beispiel die Regulation des Tonus der Blutgefäße oder die Schleimbildung im Magen.

 

Tramadol in Pflanzen

Das pflanzliche Metabolom ist auch Forschungsgegenstand von Professor Dr. Jean-Luc Wolfender von der School of Pharmaceutical Sciences in Genf und Lausanne. Zur Identifizierung wirksamer Substanzen kombiniert seine Forschungsgruppe Massenspektometrie und Kernspinresonanz (NMR). Bei 10.000 und mehr Substanzen einer Art sei es wie bei der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Da heutzutage jedoch große Datenmengen verarbeitet werden können, könne man mittlerweile einen metabolischen Fingerabdruck einzelner Pflanzen erstellen. Dieser kann zum Beispiel über den geografischen Ursprung eines Phytopharmakons geben, bei der Qualitätskontrolle helfen oder wirksame Komponenten identifizieren.

 

So hatte im vergangenen Jahr ein Forscherteam, an dem auch Wolfender beteiligt war, bei einer Metabolom-Analyse der afrikanischen Heilpflanze Nauclea latifolia das vollsynthetisch hergestellte Opioid Tramadol entdeckt. Es galt als erster Fund eines klassisch-synthetischen Arzneistoffs in der Natur. Die Pflanze aus der Familie der Rubiaceae wird traditionell bei Fieber, Schmerzen und Malaria eingesetzt.

 

Jetzt stellte jedoch ein unabhängiges Forscherteam fest, dass die Pflanze das Schmerzmittel wohl nicht selbst produziert, sondern aus dem Boden aufgenommen hat. Afrikanische Bauern hatten ihre Rinder illegalerweise mit dem Analgetikum behandelt, was zu einer Kontamination von Wasser und Boden geführt hat, schreibt die Gruppe um Professor Dr. Michael Spiteller von der Technischen Universität Dortmund im Fachjournal »Angewandte Chemie« (doi: 10.1002/anie.201406639). Sie fanden neben der Ursprungssubstanz auch drei typische Säugetier-Metabolite. Das kuriose Beispiel zeigt zum einen die vielseitige Anwendung der Metabolomics, aber verdeutlicht auch, dass die Technologie beziehungsweise ihre Interpretation noch in den Kinderschuhen steckt. /

Potenzial im Meer

Bislang stammen so gut wie alle natürlichen Arzneistoffe vom Land, doch die Ozeane rücken langsam in den Fokus der Forscher. »Wir brauchen zum Beispiel dringend neuartige Antibiotika«, sagte die Pharmazieprofessorin Dr. Gabriele König von der Uni Bonn. Es gebe vermutlich noch Millionen unbekannte Spezies im Meer. Von den bislang rund 31.000 erfassten Sekundärstoffen dieser Organismen hätten etwa 70 Prozent eine chemische Struktur, wie man sie bislang von Landorganismen nicht kenne. Dabei können manchmal verwandte Lebewesen, die in verschiedenen Spezies entweder an Land oder im Wasser leben, verblüffend verschiedene Substanzen produzieren, so König.

 

Nachdem sich ihre Arbeitsgruppe zuvor mit terrestrischen Myxobakterien befasst hatte, die Antibiotika produzieren, fokussiert sich das Bonner Team nun auf ihre entfernten, marinen Verwandten – und ist bereits fündig geworden: Aus Nannocystis pusilla, gewonnen aus Wasserproben bei Kreta, isolierten die Wissenschaftler eine neue Substanzklasse von Polyketiden, die sie Phenylnannolone nannten. Die Substanzen haben Potenzial in der Krebstherapie: Gegen herkömmliche Zytostatika resistente Krebszellen machten sie wieder angreifbar, ohne selbst zytostatisch zu wirken. Ein anderes Molekül namens Salimabromid mit neuartiger Struktur und antibakterieller Wirkung in vitro isolierten sie aus der Mikrobe Enhygromyxa salina aus der Ostsee. Derzeit sei die Forschung an marinen Organismen jedoch noch schwierig. Oft fehlt laut König die Technik zur Anzüchtung, die Ausbeute an Sekundärstoffen ist gering oder Gene lassen sich nicht exprimieren. Es könnte sich jedoch lohnen, weiter in das Gebiet einzutauchen. 

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