Bittersüße Wahrheit |
10.10.2017 15:46 Uhr |
Süß gleich gut: Das lernt der Mensch gleich nach seiner Geburt mit dem ersten Schluck Muttermilch. Diese Prägung hat lange Bestand, und Kinder lassen sich meist nur widerstrebend davon überzeugen, dass auch weniger Süßes, Salat zum Beispiel, gegessen werden sollte. Gut, wenn Eltern diese mühevolle Überzeugungsarbeit leisten, denn eine ungebremste Vorliebe für Süßes führt auf Dauer fast zwangsläufig zu Übergewicht, Lipidstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus. Die Kalibrierung des Geschmacks auf ein Normalmaß an Süße fällt jedoch schwer, wenn sehr viele Nahrungsmittel süßer schmecken, als sie eigentlich sollten.
Der hohe Zuckergehalt vieler Lebensmittel ist zweifelsohne ein Grund dafür, dass die Bewohner der westlichen Welt immer dicker werden. Die physiologischen Zusammenhänge erklären wir in diesem Schwerpunktheft in dem Beitrag Zuckerkonsum: Wie Fructose den Stoffwechsel stört. Den Zucker einfach durch einen Süßstoff zu ersetzen, löst das Problem allerdings nicht, denn ob die kalorienfreien Süßungsmittel tatsächlich beim Abnehmen helfen, ist umstritten (Lesen Sie dazu auch Gewichtsreduktion: Süßstoff als Helfer oder Hindernis?). Mit den Folgen jahrelanger Fehlernährung haben sich Apotheker häufig auseinanderzusetzen, nämlich immer dann, wenn sie Typ-2-Diabetiker zu ihrer Medikation beraten (Lesen Sie dazu auch Diabetes-Medikamente: Große Auswahl an Wirkstoffen).
Ein hoher Zuckerverbrauch ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor, der zur Entwicklung von Übergewicht beiträgt. Die Bundesregierung hat deshalb einen Entwurf einer Nationalen Strategie für die Reduktion von Zucker, Fetten und Salz in Fertigprodukten entwickelt (Lesen Sie dazu auch Zuckerreduktion: Süßes bekommt Saures). Dieser ist jedoch umstritten – den einen geht er nicht weit genug, weil er keine Sanktionen vorsieht, andere bemängeln eine ungerechtfertigte Verteufelung einzelner Nahrungsbestandteile. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es bei diesem komplexen Thema keine einfachen Antworten gibt. Ob die individuelle Energiebilanz positiv ausfällt, hängt schließlich nicht nur von der Ernährung, sondern auch von der Bewegung ab. Wer sich grundsätzlich ausgewogen ernährt und viel bewegt, kann sich auch ab und zu einen Ausrutscher erlauben. Die bittersüße Wahrheit ist jedoch, dass dieses Konzept für viele Menschen zu unbequem, zu komplex oder sogar beides ist.
Annette Mende
Redakteurin Pharmazie