Pharmazeutische Zeitung online
Gewichtsreduktion

Süßstoff als Helfer oder Hindernis?

11.10.2017  09:31 Uhr

Von Annette Mende / Speisen und Getränke, die statt Zucker Süßstoff enthalten, sind kalorienärmer. Doch sind solche Light-Produkte Übergewichtigen beim Abnehmen wirklich eine Hilfe? Ja, sagt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Studien­lage ist allerdings nicht eindeutig.

»Süße ohne Kalorien«, »100 Prozent ­Geschmack ganz ohne Zucker«: Mit solchen Slogans wirbt die Lebensmittel­industrie für Produkte, in denen Zucker durch kalorienfreie Süßungsmittel ­ersetzt ist (siehe Kasten). Viele Menschen, die in der adipogenen Umgebung der westlichen Welt ihr Gewicht halten oder reduzieren wollen, greifen regelmäßig zu solchen Light-Produkten. Der gewünschte Effekt auf das Körpergewicht tritt jedoch nicht immer ein – und so mancher nimmt sogar zu statt ab. Immer wieder ist daher von einer möglichen gewichtssteigernden Wirkung der Süßstoffe die Rede.

 

Sinnvolle Hilfsmittel

Diese ist jedoch laut DGE wissenschaftlich nicht belegt. Im Gegenteil: ­Süßstoffe können im Rahmen von ­Gewichtsreduktionsprogrammen sinnvolle Hilfsmittel zur Reduktion der Energieaufnahme darstellen, heißt es in einer Veröffentlichung der DGE aus dem Jahr 2007. Zehn Jahre später hat sich an dieser Einschätzung nichts ­geändert. »Süßstoffe können insbesondere zu Beginn einer Gewichtsabnahme helfen, Energie zu sparen«, erklärt Isabelle C. Keller von der DGE auf Nachfrage der PZ. Andererseits könnten jedoch Lebensmittel mit Süßstoffen, zum Beispiel Light-Getränke, die Gewöhnung an den süßen Geschmack fördern und seien nicht als dauerhafte Alternative zu sehen, so die Ökotrophologin. Daher könne es sinnvoll sein, »im weiteren Verlauf der Gewichtsabnahme den Geschmack in Richtung ›weniger süß‹ umzugewöhnen«.

 

Ihren Ruf als verkappte Dickmacher haben Süßstoffe, seit ihnen Ende der 1980er-Jahre in Versuchen mit gesüßtem Wasser und Joghurt eine appetitanregende Wirkung nachgewiesen wurde (»The Lancet« 1986, DOI: 10.1016/S0140-6736(86)91352-8, »Physiology & Behavior« 1989, DOI: 10.1016/0031-9384(89)90093-0). Mit Süßstoff gesüßte Nahrung macht nicht so satt wie zuckerhaltige, weshalb die eingesparten Kalorien durch eine höhere Energieaufnahme bei nächster Gelegenheit überkompensiert werden, so die Hypothese. Laut DGE konnten diese Ergebnisse jedoch von anderen Arbeitsgruppen nicht repliziert werden.

 

Selbst wenn Süßstoffe den Appetit also nicht anregen, ist ihr Potenzial zur Gewichtsreduktion neueren Untersuchungen zufolge allenfalls gering. Das geht aus einer kürzlich im Fachjournal »CMAJ« erschienenen Metaanalyse von randomisierten kontrollierten Studien (RCT) und prospektiven Kohortenstu­dien hervor. Demnach hatten Süßstoffe in den RCT keinen signifikanten Einfluss auf das Körpergewicht der Teilnehmer. In den Kohortenstudien war der regelmäßige Konsum von Süßstoffen dagegen sogar mit einer moderaten Zunahme des Gewichts und dem damit verbundenen kardiovaskulären Risiko assoziiert (DOI: 10.1503/cmaj.161390).

 

Eine weitere Hypothese betrifft den Einfluss von Süßstoffen auf den Blut­zuckerspiegel. Dieser wird von den Verbindungen selbst zwar nicht beeinflusst, ihr süßer Geschmack regt aber der Hypothese zufolge die Ausschüttung von Insulin an. Man spricht in diesem Fall von einer kephalischen Insulinsekretion. Das Resultat sei ein steiler Abfall des Blutzuckerspiegels, der wiederum zu Hunger führt. Diese Effekte konnten jedoch laut DGE in Experimenten nicht bestätigt werden.

 

Wirkung über GLP-1

 

Neue Daten zeigen nun allerdings, dass Süßstoffe den Blutzucker über einen anderen Mechanismus indirekt steigen lassen. Sie wurden Anfang September beim Kongress der Europäischen Diabetesgesellschaft EASD in Lissabon von einer Gruppe um Dr. Richard Young von der Universität Adelaide in Australien präsentiert (Abstract 193). Die Forscher ließen 33 stoffwechselgesunde Freiwillige zunächst zwei Wochen lang dreimal täglich vor den Mahlzeiten eine Kapsel mit Süßstoff oder Placebo schlucken. Die Menge des Süßungsmittels entsprach derjenigen, die in 1,5 Liter Light-Getränk enthalten ist.

 

Nach zwei Wochen infundierten die Forscher über eine Sonde Glucose direkt in den Zwölffingerdarm der nüchternen Probanden und maßen die Reaktionen darauf. Es stellte sich heraus, dass bei denjenigen, die Süßstoff-Kapseln geschluckt hatten, der Blutglucose-Spiegel signifikant um 24 Prozent mehr anstieg als bei den Teilnehmern in der Placebogruppe. Als Grund für diese Differenz machten die Wissenschaftler Veränderungen im Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) aus. Dieses Peptidhormon, das von neuroendokrinen L-Zellen in unteren Dünndarmabschnitten und im Dickdarm produziert wird, verstärkt die Glucose-abhängige Freisetzung von Insulin und sorgt so für eine Begrenzung des Blutzuckeranstiegs nach der Nahrungsaufnahme.

 

»Bei den Teilnehmern, die Süßstoff-Supplemente erhalten hatten, war die GLP-1-Freisetzung als Reaktion auf die enteral zugeführte Glucose um 34 Prozent abgeschwächt«, sagte Young dem medizinischen Nachrichtenportal »Medscape«. Er sieht die Ursache für die verstärkte Zuckerresorption darin, dass die L-Zellen zuvor zwei Wochen lang aufgrund der Süßstoff-Einnahme kaum mit Glucose in Kontakt kamen und deshalb weniger GLP-1 produzierten. Eine Erklärung, die der Endokrinologe Professor Dr. Helmut Schatz in seinem Blog auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie als plausibel einschätzt. Sein Rat an die Leser: Statt Light-Getränken lieber Wasser oder ungesüßten Tee trinken. »Das ist gesünder – und billiger.« /

Süßstoffe und

In der EU sind derzeit elf Süßstoffe zugelassen: Acesulfam K (E 950), Aspartam (E 951), Cyclohexansulfamidsäure (Cyclamat, E 952), Saccharin (E 954), ­Sucralose (E 955), Thaumatin (E 957), Neohesperidin DC (E 959), Steviol­glycoside (E 960), Neotam (E 961), ­Aspartam-Acesulfamsalz (E 962) und Advantam (E 969). Sie sind meist synthetisch hergestellte Verbindungen mit einer sehr viel höheren Süßkraft als Saccharose. Zuckeraustauschstoffe sind dagegen Zuckeralkohole (Polyole), die in der Regel etwas weniger süß schmecken als der entsprechende Zucker. In der EU zugelassen sind Sorbit (E 420), Mannit (E 421), Isomalt (E 953), Polyglycitolsirup (E 964), Maltit (E 965), Lactit (E 966), Xylit (E 967) und Erythrit (E 968). Die Unterscheidung in Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe ist eine deutsche Besonderheit. Die EU spricht einheitlich von »Süßungsmitteln«.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa