In schweren Zeiten gemeinsam stark |
11.10.2011 18:57 Uhr |
Ein Staatssekretär aus Nordrhein-Westfalen stellte stolz fest, dass die Expopharm bereits zum 16. Mal in seinem Bundesland stattfindet. Vertreter von Großhandel und Industrie sprachen in ihren Grußworten die schwierige Situation der Arzneimittelbranche an und machten deutlich, dass sich einige Probleme nur gemeinsam lösen lassen.
Die Expopharm fand in diesem Jahr zum zwölften Mal in Düsseldorf und zum 16. Mal in Nordrhein-Westfalen statt. Grund genug für Dr. Günther Horzetzky, Staatssekretär im Wirtschaftministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, in seinem Grußwort ausdrücklich darauf hinzuweisen: »In keinem Bundesland war die Expopharm so oft.« Die Bedeutung der pharmazeutischen Leitmesse werde nicht zuletzt durch steigende Besucherzahlen bestätigt.
Dr. Thomas Trümper
Staatssekretär Horzetzky beschrieb die wachsende Bedeutung der Gesundheitswirtschaft. Sie sei ein Wachstumsmarkt, und die pharmazeutische Industrie spiele dabei eine wichtige Rolle. Die Vorschläge des Vorsitzenden des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Fritz Becker, zu einer besseren Apothekervergütung und dem Ende der Belastungen durch das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) erschienen dem Staatssekretär »zum Teil widersprüchlich und überdenkenswert«. Er bot Becker dazu ein Gespräch an.
Zu Beginn der Eröffnungsfeier verwandelte ein Künstler im Narrenkostüm halb befüllte Wassergläser in ein wundersames Musikinstrument. Dr. Thomas Trümper, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands des pharmazeutischen Großhandels (Phagro), interpretierte den Auftritt als »Symbol des täglichen Bemühens unserer Branche, aus fast leeren Gläsern ein hervorragendes Konzert zu machen«. Er bedauerte, dass niemand vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zugegen war, um das symbolträchtige Schauspiel zu verfolgen und zu verinnerlichen, dass »ein Narr vorträgt«.
Dr. Günther Horzetzky
Trümper wies auf die AMNOG-Folgen für den pharmazeutischen Großhandel hin. Die Quartalsberichte der Großhändler zeigten, dass es sich nicht mehr um das ewige Gejammere handele, sondern um die Realität: »Der Großhandel in Deutschland verdient kein Geld mehr.«
Er habe nichts mehr, was er verteilen könne, und müsse seine Finanzen konsolidieren. »Die Zeiten, in denen für die Apotheker ein finanzieller Ausgleich über Rabatte des Großhandels möglich war, sind vorbei«, sagte der Phagro-Chef.
Trümper betonte die Notwendigkeit für alle Marktpartner, sich gemeinsam für eine ausreichende Vergütung auf allen Handelsstufen einzusetzen. »Das erfordert mehr Transparenz und Verlässlichkeit als bisher.«
Wolfgang Späth
Wolfgang Späth, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands Pro Generika, kann in dem gemeinsamen Modell von ABDA und KBV für mehr Arzneimitteltherapiesicherheit keine »revolutionäre Neuausrichtung« erkennen. Entsprechende Überlegungen zu einer verbesserten Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern gebe es bereits, sagte er. Das ABDA-KBV-Modell sieht vor, dass der Arzt einen Wirkstoff auswählt, Dosierung und gegebenenfalls Teilbarkeit des Arzneimittels festlegt. Die Basis dafür ist ein Medikationskatalog. Der Apotheker wählt anschließend das richtige Präparat aus. Späth stellte das in dem Konzept anvisierte Sparpotenzial von insgesamt 2,8 Milliarden Euro infrage. So seien etwa Einsparungen bei der Wirkstoffverordnung zweifelhaft. »Selbst wenn Wirkstoffe verordnet werden, die Rabattverträge als dominantes Element bleiben.«
Im kommenden Jahr befürchtet Späth negative Schlagzeilen. Dann wird die Großhandelsvergütung umgestellt, von einer prozentualen Marge auf eine Logistikpauschale von 70 Cent plus 3,15 Prozent auf den Herstellerabgabepreis. Bei vergleichsweise niedrigpreisigen Generika wird die Pauschale zwangsweise zu einer Erhöhung der Apothekenverkaufspreise führen. »Die Generikaanbieter haben dabei weder bessere Margen noch irgendeine Schuld«, sagte Späth. Kritiker würden sich dafür jedoch wenig interessieren und kommentieren, »dass sich eine raffgierige Industrie wieder einmal selbst bedient«.
Professor Dr. Michael Habs
Auch der Vize-Vorstandsvorsitzende beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie, Professor Dr. Michael Habs, fand für das ABDA-KBV-Modell nur verhaltene Worte. »Ich kann durchaus verstehen, dass Sie als Apotheker ein gesteigertes Interesse an diesem Modell haben«, sagte er. Erstaunlich sei jedoch, dass die Ärzte bereit seien, die therapeutische Freiheit abzugeben, »um sich dem Damoklesschwert Wirtschaftlichkeitsprüfung zu entziehen«. Ein Medikationskatalog führe zudem keineswegs zu einer besseren Versorgung, denn auch dieser »denkt wieder mal in Listen und in einer Standardisierung von Medizin«, so Habs. Gut sei daher, dass die Politik plant, das Konzept zunächst nur in einem Modellversuch zu testen. Habs warnte außerdem vor einem wachsenden Konkurrenzkampf mit Lebensmittelherstellern, die ihre Produkte, wie etwa spezielle Joghurts, als besonders gesundheitsfördernd bewerben. »Hier brauchen wir eine klare, deutliche Abgrenzung: Was ist ein Arzneimittel und was ist schlicht und ergreifend ein Lebensmittel und nicht mehr«, so Habs. Apotheker und Hersteller sollten sich hierfür gemeinsam engagieren.
Dr. Heinz Riederer, Vorstandsmitglied im Verband forschender Arzneimittelhersteller, appellierte an die Politik, die Auswirkungen des AMNOG genau zu beobachten, »um drohende Fehlentwicklungen rasch korrigieren zu können«. So zeigten erste Erfahrungen mit der frühen Nutzenbewertung, dass diese zu Problemen und »unterwünschten Nebenwirkungen« führt.
Für mehr Versorgungssicherheit hat die schwarz-gelbe Koalition das Versorgungsstrukturgesetz auf den Weg gebracht, das 2012 in Kraft treten soll. Mit dem Gesetz will die Bundesregierung unter anderem die ärztliche Versorgung auf dem Land und in Problemvierteln von Städten sicherstellen. Riederer lobte das Gesetz, forderte aber ähnliche Bemühungen auch für die Arzneimittelversorgung. »Die Politik sollte ein Auge darauf haben, dass es nicht in einiger Zeit Landstriche gibt, wo meilenweit keine Apotheke mehr anzutreffen ist.« Der Patient benötige in erreichbarer Nähe ebenso einen Arzt wie einen Apotheker. Als Beispiel für das erfolgreiche Zusammenwirken von Apotheken, Großhandel und Pharma-Unternehmen lobte Riederer das Projekt Securpharm. Dabei haben sich alle Marktpartner zusammengetan, um gemeinsam ein Konzept gegen Arzneimittelfälschungen zu entwickeln. »Das Modell ist inhaltlich überzeugend und findet verdientermaßen ein positives Interesse in Politik und Öffentlichkeit.« /
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Die Expopharm ist die pharmazeutische Leitmesse der Gesundheitsbranche in Deutschland. Sie findet parallel zum Deutschen Apothekertag statt und ihre Eröffnung bietet den Apothekern die Möglichkeit, unter erhöhter öffentlicher Aufmerksamkeit ihre Forderungen vorzutragen. Fritz Becker, der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), nutzte das Forum und warb einmal mehr für das Zukunftskonzept von ABDA und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV). Allerdings stößt das Konzept, dem die Regierungsfraktionen Union und FDP per Änderungsantrag eine Chance im GKV-Versorgungsstrukturgesetz einräumen wollen, bei der Industrie auf starke Vorbehalte. Die Reden der Verbandsvertreter ließen daran keinen Zweifel. Ob forschende Pharmariesen, Generikabranche oder die vor allem mittelständischen Produzenten frei verkäuflicher Arzneimittel zur Selbstmedikation, die Ablehnung des ABDA/KBV-Konzepts war einhellig.
Die Apotheker sollten sich diese Kritik zu Herzen nehmen und noch mehr Energie in die Erläuterung ihrer Vorschläge stecken. Es ist schon ein großer Erfolg, dass Ärzte und Apotheker sich für das Konzept zusammengetan haben. Die an Zahl und Einfluss mächtigere Ärzteschaft ist der geeignete Partner, um die heilberufliche Kompetenz der Apotheker stärker herauszuheben als bisher. Wenn das mit wirtschaftlichen Einsparungen einhergeht, umso besser – an diesem Argument vor allem wird es gelegen haben, dass sich die Regierungsfraktionen für den Änderungsantrag erwärmen ließen. Das Projekt ist auf einem guten Weg. Es sollte nicht gefährdet werden durch die Ablehnung der Industrie. Sie hat möglicherweise das Potenzial des ABDA/KBV-Konzepts noch nicht ausreichend verstanden.
Uta Grossmann, Ressortleitung Wirtschaft