Deutlicher Dissens mit der Politik |
12.10.2010 18:11 Uhr |
Nachdem in den ersten Arbeitskreisen Apotheker untereinander und mit den anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesens diskutiert hatten, waren zum dritten Arbeitskreis zur patientenorientierten Arzneimittelversorgung Vertreter der Parteien geladen. Einen Konsens fanden sie nicht. Immerhin gab es eine leichte Annäherung.
In der Diskussion um die Großhandelsvergütung liegen Apotheker und Bundesregierung noch weit auseinander. Im dritten Arbeitskreis des Apothekertages bekräftigten die Koalitionspolitiker Jens Spahn (CDU) und Ulrike Flach (FDP) in einer von Dr. Albrecht Kloepfer moderierten Diskussionsrunde ihren Willen, im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) an der umstrittenen Umstellung der Großhandelsvergütung festzuhalten. Diese soll in Zukunft pro Packung 60 Cent plus 1,7 Prozent betragen. Damit wollte die Bundesregierung ursprünglich 400 Millionen Euro einsparen, 85 Prozent davon für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Nach Berechnungen der ABDA kämen auf diesem Weg aber 630 Millionen Euro für die GKV zusammen.
Zahlen müssten dies ausschließlich die Apotheker. Nach dem Gesetz ist der Großhandel ebenfalls im Fokus der Sparbemühungen, doch der hat mehrfach angekündigt, wegen kollektiver Armut die Belastung über eine Kürzung der Rabatte vollständig an die Apotheker durchzureichen. Die Vertreter der Apothekerschaft, ABDA-Vizepräsident Friedemann Schmidt und der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes, Fritz Becker, wiesen die Politiker auf die fatalen Folgen einer solchen Umstellung hin.
Spahn und Flach reagierten ziemlich verhalten auf die nachdrückliche Forderung, das AMNOG an dieser Stelle zu ändern. Der GKV drohe im kommenden Jahr ein Fehlbetrag von 9 Milliarden Euro. Deshalb müsse gespart werden, sagte Spahn. Die Bundesregierung habe die Belastung auf Versicherte, Arbeitgeber, pharmazeutische Industrie, Ärzte, Apotheker, Großhandel und Krankenkassen verteilt. Deshalb werde die Regierung die Umstellung der Großhandelsvergütung nicht zurücknehmen. Immerhin gab es Konsens darüber, dass die Apotheker entgegen der medialen Darstellung erheblich vom AMNOG betroffen seien. Das bestätigten auch die Gesundheitspolitiker der Opposition, Birgitt Bender (Grüne) und Marlies Volkmer (SPD).
Fritz Becker
Mit der Einschätzung, die Beteiligten im Gesundheitswesen seien von den Einsparungen gleichermaßen betroffen, standen Flach und Spahn dagegen ziemlich allein da. DAV-Vorsitzender Becker fragte die Politik, warum die Apotheker als einzige Leistungserbringer reale Einbußen hätten, während die Ärzte lediglich »weniger vom Mehr« hätten. Im Gegensatz zu den Ärzten, die in den vergangenen Jahren regelmäßig höhere Honorare bekamen, stagniert die Vergütung der Apotheker laut Becker seit 2004. Lediglich 2009 sei das Apothekenhonorar wegen der Senkung des Apothekenabschlags gestiegen.
Auch Volkmer sieht die Ärzte verschont. Vor allem sei es falsch gewesen, den Ärzten für das kommende Jahr einen Honorarzuwachs von rund 1 Milliarde Euro in Aussicht zu stellen.
Auch wenn die grundsätzliche Betroffenheit der Apotheker von allen akzeptiert wird, gab es in der Diskussionsrunde doch erhebliche Unterschiede über die Dramatik der Auswirkungen. Spahn hält es für naheliegend, dass die Bundesregierung bei der Suche nach Effizienzreserven auf die Großhandelsrabatte der Apotheker stößt. Diese hätten mit dem Versorgungsauftrag nichts zu tun. Dabei geht Spahn ganz offensichtlich davon aus, dass die Vergütung der Apotheken für eine hochwertige flächendeckende Versorgung ausreicht und Einkaufsrabatte deshalb keine Berechtigung haben. ABDA-Vizepräsident Schmidt machte jedoch deutlich, dass dies nicht so ist. »Wenn das AMNOG mit den falsch berechneten Zahlen so kommt, ist mein Betrieb auf Sicht ruiniert.« Bei der Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung 2004 seien die Rabatte in die Berechnung einbezogen worden.
Ganz aufgeben müssen die Apotheker ihre Hoffnung auf Änderungen am AMNOG noch nicht. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Regierung noch diskussionsbereit ist. Spahn bot den Apothekern sogar einen Alternativvorschlag zur Großhandelsvergütung an. Anstatt die 400 Millionen Euro allein über die Spannenkürzung beim Großhandel abzuschöpfen, könnte die Bundesregierung die Vergütung auf 70 Cent plus 3,4 Prozent festsetzen. Dann läge die Belastung nur noch bei 200 Millionen. Hinzu käme dann jedoch eine Erhöhung der GKV-Rabatte um insgesamt 200 Millionen Euro. Die geplante Einsparung wäre dieselbe, die Berechnung aber »transparenter und nachvollziehbarer«, sagte Spahn. Die Apotheker reagierten auf diesen Vorschlag abwartend, denn noch ist offen, ob die Berechnungen dieses Mal fehlerfrei sind. Spahn kritisierte die zurückhaltende Reaktion. Die Apotheker sollten sich freuen, wenn die Bundesregierung ihnen einen Vorschlag unterbreite, bei dem die Belastung um 230 Millionen niedriger sei als von ihnen befürchtet.
Generell scheinen die Berechnungen der Abschlagshöhe ziemlich kompliziert zu sein, denn die Zahlen der ABDA und die des Bundesgesundheitsministeriums unterscheiden sich deutlich. Während die ABDA eine Belastung von 630 Millionen errechnet hat, geht Spahn auf der Basis der Zahlen aus dem Bundesgesundheitsministerium von 400 Millionen Euro Mehrbelastung aus. Ein Grund dafür ist die wenig nachvollziehbare Entscheidung des BMG, die Einsparung für 2011 auf die Zahlen von 2009 zu beziehen. Die ABDA hat dagegen die Einsparung berechnet, in dem sie die prognostizierten Ausgaben von 2011 mit und ohne AMNOG miteinander verglichen hat.
Natürlich zweifelten die Politiker auch an, dass die Umstellung der Großhandelsspanne die Apotheker existenziell belaste. Diese gelten eben immerhin noch als vergleichweise wohlhabend, was auch mit der an sich positiven Arbeitsplatzentwicklung begründet wurde. Flach überraschte mit einer Statistik, wonach die Zahl der in Apotheken beschäftigten PTA in den vergangenen zehn Jahren um rund 50 000 gewachsen sei.
Friedemann Schmidt
Die Apotheker mochten dies nicht so stehen lassen. »Auch wenn ich diese Zahl sehr stark bezweifle, ist klar, worauf eine gestiegene Beschäftigtenzahl zurückzuführen ist«, sagte Schmidt. Die Rabattverträge führten zu einem starken Erklärungsbedarf, der schließlich nur über das Personal aufgefangen werde könne. Drei von zehn Patienten würden die Abgabe eines rabattierten Präparates nicht akzeptieren und dem Apotheker in der Folge misstrauen. »Die Rabattverträge zerstören das Vertrauen der Patienten in unsere Arbeit«, so Schmidt. »Und das Vertrauen ist das wichtigste Kapital, das wir Apotheker haben.« Anschließend stellte ABDA-Geschäftsführerin Dr. Christiane Eckert-Lill klar, dass die Zahl der PTA in den vergangenen Jahren nur um rund 13 000 gestiegen sei.
Spahn ließ sich davon nicht beeindrucken. »Wir halten an den Rabattverträgen fest, weil wir darüber enorme Einsparungen erzielen«, sagte er. Auch Flach, Bender und Volkmer waren sich einig: Die Arzneimittelrabattverträge bleiben. Becker brachte an dieser Stelle das Garantiepreismodell ins Gespräch. »Wir haben nichts gegen die Einsparungen, die sie erzielen wollen, nur gegen das Instrument, das sie dafür wählen«, sagte er. Beim Zielpreismodell habe der Patient die Möglichkeit, ein seinen individuellen Bedürfnissen entsprechendes Präparat zu bekommen. »Und das Einsparvolumen wird trotzdem erzielt.«
Für die Zukunft sieht Spahn neue Aufgaben auf die Apotheker zukommen. »Die Zahl der Ärzte ist rückläufig, Apotheker werden künftig noch häufiger die ersten Ansprechpartner in Gesundheitsfragen sein«, sagte er. Das gelte natürlich besonders für die Versorgung im ländlichen Raum. Auch über spezielle Versorgungsverträge, etwa für chronisch Kranke oder HIV-Patienten, müsse verstärkt diskutiert werden. »Da gibt es ein großes Potenzial.« Bender forderte die Apotheker auf, sich noch stärker als Teil eines Netzwerks im Gesundheitsbereich aufzustellen. »Damit ist auch die Übernahme von Managementaufgaben verbunden«, sagte sie. Becker begrüßte diese Aussage grundsätzlich. »Ich kann mir gut vorstellen, ins Versorgungsmanagement einzusteigen«, sagte er. Allerdings habe bei Verhandlungen mit der Politik in der Vergangenheit immer das Geld im Vordergrund gestanden. »Der Patient muss an dieser Stelle wieder in den Mittelpunkt gerückt werden.« Dass die intensive Kooperation zwischen Arzt und Apotheker ein wesentlicher Bestandteil der zukünftigen Arzneimittelversorgung ist, darin waren sich alle Diskutanten einig. Schmidt verwies auf das gemeinsame Modell von ABDA und KBV. »Eine so große Übereinstimmung der Ziele zwischen den beiden großen Heilberufen hat es noch nie gegeben«, sagte er. »Diese Chance darf die Politik nicht verstreichen lassen.«
In der anschließenden Diskussion machten viel Apotheker ihrem Ärger über das AMNOG Luft. Der Diskurs machte deutlich, wie groß die Betroffenheit der Apotheker ist. Erfreulicherweise blieb die Diskussion aber bis auf eine Ausnahme fair. Eine echte Annäherung gab es zumindest beim Großhandelsabschlag nicht. Aber auch den Vertretern der Regierungsparteien war anzumerken, dass sie an einer Eskalation des Konfliktes nicht interessiert sind. /
Spätestens seit Sommer wissen wir, dass der Begriff »Einsparungen« Interpretationen zulässt. Bis dahin hatten wir geglaubt, Einsparungen fänden nur dann statt, wenn ein Mensch oder ein Unternehmen oder die Gesetzliche Krankenversicherung weniger Geld ausgibt als zuvor. Doch das ist zu schlicht gedacht. Politiker sprechen auch dann von Einsparungen, wenn mehr ausgegeben wird. Es reicht, wenn die Teuerung langsamer steigt als im Vorjahr. Oder mathematisch ausgedrückt, wenn die zweite Ableitung negativ ist. So ist das zum Beispiel mit den Arzthonoraren. Die steigen 2011, dennoch erkennt die Bundesregierung darin einen Sparbeitrag. Es soll dabei gar nicht darum gehen, ob die Ärzte den Honorarzuwachs verdient haben. Entscheidend ist vielmehr, dass es unverhältnismäßig ist, wenn die meisten Berufsgruppen im Gesundheitswesen Zuwächse verzeichnen dürfen, und das seit Jahren, während eine einzige deutliche Einbußen hinnehmen muss. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung aufhört, mit zweierlei Maß zu messen. Augenmaß wäre besser.
Daniel Rücker, Chefredakteur