Zurückhaltung am Lebensende |
28.09.2016 09:08 Uhr |
Von Annette Mende / Im Rahmen der Initiative »Klug entscheiden« hat jetzt die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) ihre Positiv- und Negativ- Empfehlungen vorgelegt. Sie sieht das Hauptproblem in der Überversorgung von Krebspatienten und will die Liste als Votum für eine sprechende Medizin verstanden wissen.
Krebs ist, trotz aller Fortschritte in der Therapie, noch immer eine oft tödliche Krankheit. Die Hälfte aller Krebspatienten stirbt daran. Wenn die therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, kann es Patienten und ihren Angehörigen, aber auch den behandelnden Ärzten schwerfallen, das zu akzeptieren. Sie müssen einen Perspektivwechsel vollziehen weg von einer – aussichtslosen und den Patienten belastenden – tumorspezifischen Therapie hin zu einer symptomorientierten Versorgung, die dem Patienten eine möglichst angenehme verbleibende Lebenszeit gewährt. »Dieser Perspektivwechsel kann für Ärzte und Patienten eine große Herausforderung darstellen und erfordert Zeit für die notwendigen Gespräche«, so die DGHO (Dtsch Arztebl 2016; 113(38): A-1650 / B-1391 / C-1367).
Angehörigen von Krebspatienten und auch Ärzten fällt es oft schwer zu akzeptieren, dass alle Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Aussichtslose und belastende Therapien sollten aber vermieden werden.
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Aus Sicht der Fachgesellschaft soll eine spezifische Therapie bei Patienten mit soliden Tumoren nicht durchgeführt werden, wenn der Patient in einem schlechten Allgemeinzustand ist, auf vorherige Therapien nicht angesprochen hat und von weiteren Therapien ein klinischer Nutzen mit harter Evidenz nicht zu erwarten ist. In dieser Situation sei »mit großer Sicherheit zu erwarten, dass Patienten objektiv nicht von einer weiteren systemischen Tumortherapie profitieren werden«. Auch wenn nur eines oder zwei der genannten Kriterien vorliegen, sei die Indikation für eine weitere Therapie kritisch zu prüfen. Aufgrund von unrealistischen Hoffnungen des Patienten und/oder des Arztes werde aber oft gegen diese Regel verstoßen.
Zu häufig werden aus Sicht der DGHO auch bildgebende Verfahren eingesetzt. Bei aggressivem Non-Hodgkin-Lymphom seien computertomografische (CT) und positronenemissionstomografische Routinechecks bei asymptomatischen Patienten in der Nachsorge verzichtbar, weil sie nur selten zur Diagnose eines Rezidivs führen. Dieses mache sich viel häufiger durch Symptome zwischen den Nachsorgeterminen bemerkbar. Asymptomatische Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL), die unter aktiver Beobachtung des Arztes stehen, sollen ebenfalls nicht routinemäßig per CT untersucht werden. Klinische Symptome oder aber eine Verschlechterung des Blutbilds sind aussagekräftiger hinsichtlich einer Indikation für die Therapieeinleitung.
Zielgerichtete Therapien brauchen ein Ziel
Eine ausreichende Antiemese gehört heute zu jeder zytostatischen Therapie dazu. NK1-Rezeptor-Antagonisten wie Aprepitant, Fosaprepitant und Netupitant, die gegen verzögertes Erbrechen wirken, sollen aber nur dann eingesetzt werden, wenn das auch wirklich erforderlich ist, etwa bei hoch emetogener Therapie mit Carboplatin. Bei moderat und niedrig emetogener Chemotherapie bringen sie Patienten keinen zusätzlichen Nutzen, verursachen aber Kosten und möglicherweise Nebenwirkungen, sodass sie in diesen Fällen nicht verordnet werden sollen. Zurückhaltender eingesetzt werden sollen aus Sicht der DGHO auch Präparate mit Granulozyten-Kolonie-stimulierendem Faktor. Die Fachgesellschaft führt Situationen ohne belegten klinischen Nutzen auf, in denen der Einsatz unterbleiben soll.
Auf die zielgerichtete Tumortherapie beziehen sich gleich zwei Empfehlungen, eine positive und eine negative. Die Positivempfehlung lautet: »Eine molekulare Tumordiagnostik soll bei allen Patienten durchgeführt werden, bei denen diese eine relevante therapeutische Konsequenz hat.« Sie zielt somit darauf ab, Patienten den Zugang zu zielgerichteten Krebstherapeutika durch entsprechende Diagnostik zu ermöglichen. Die Negativempfehlung sollte aus pharmakologischer Sicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein: »Eine gezielte Tumortherapie soll nur gegeben werden, wenn die Tumorzellen des Patienten den spezifischen Biomarker aufweisen, der ein Ansprechen auf diese Substanz mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt.« Keine zielgerichtete Therapie ohne Ziel also.
Schmerzen nach WHO-Schema behandeln
Tumorschmerzen sollen konsequent nach dem Stufenschema der Weltgesundheitsorganisation behandelt werden. Mit der Aufnahme dieser Forderung in ihre Positivliste unterstreicht die DGHO, wie wichtig es ist, dass Krebsmediziner nicht nur den Tumor ihres Patienten im Blick haben, sondern auch dessen Lebensqualität. Zu einer optimalen Versorgung von Patienten mit Tumorschmerzen gehören Schmerzanamnese, individuell titrierte Dauertherapie, Bedarfsmedikation und die Behandlung Opiat-induzierter Nebenwirkungen. Wo Onkologen die Schmerzen ihrer Patienten nicht in den Griff bekommen, sollen sie spezialisierte Schmerz- oder Palliativmediziner hinzuziehen.
Die Diagnose Krebs weckt bei Patienten sehr häufig Ängste und Depressivität, gegen die eine psychoonkologische Betreuung helfen kann. Der Bedarf für eine solche Betreuung ist bei Patienten mit malignen Erkrankungen frühzeitig nach Diagnosestellung und dann wiederholt während des Krankheitsverlaufs mittels validierter Screeninginstrumente zu ermitteln, so die DGHO. Auch mit dieser Empfehlung zeigt die Fachgesellschaft, wie wichtig es ihr ist, den Patienten mit all seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt zu stellen.
»Die Chancen und Risiken der Therapie müssen dem Patienten verständlich gemacht werden. Die Therapiestrategie soll unter Berücksichtigung der individuellen Präferenzen festgelegt werden.« Dieser Punkt ist womöglich der wichtigste auf der Liste, aber unter Umständen auch der schwierigste, wie die DGHO selbst schreibt: »In der Praxis ist dies nicht immer einfach umzusetzen, weil unterschiedliche Wertvorstellungen und Erwartungen von Arzt und Patient sowie Zeitknappheit der Ärzte den Entscheidungsprozess erschweren können.« Dennoch sei es immens wichtig, etwa um – passend zur ersten Negativempfehlung – Therapien zu vermeiden, die aus einer unrealistischen Hoffnung heraus begonnen oder fortgeführt werden. /
»Klug entscheiden« ist eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Sie listet ärztliche Leistungen auf, die entweder sinnvoll wären, aber zu selten gemacht werden, oder umgekehrt trotz fehlender Nutzenbelege zu oft angewandt werden. Die DGIM hatte dazu ihre elf internistischen Schwerpunktgesellschaften aufgefordert, je fünf Positiv- und Negativempfehlungen zusammenzustellen. Diese werden nun nach und nach veröffentlicht.