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Sprache

Was Menschen und Tiere unterscheidet

28.09.2016  09:22 Uhr

Von Annette Mende, Dresden / Worte, Mimik, Gesten: All das gehört zur Sprache. Als elementares Ausdrucksmittel umgibt sie den Menschen von klein auf. Sprache ist intim und öffentlich, bewusst und unbewusst, Ausdruck von Macht und Kreativität – und momentan Thema einer Ausstellung in Dresden.

Wenn das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden eine Sonderausstellung macht, scheint vielleicht ein Thema wie die Kulturgeschichte des Toiletten­papiers erst einmal nahliegender als eine Beschäftigung mit der Sprache. Doch das Museum hat zuletzt schon öfter anthropologische Themenstellungen in den Fokus genommen, etwa Glück, Freundschaft oder Leidenschaften. »Alle diese Themen haben eine grundsätzliche Dimension, sie fragen nach den Bedingungen des Menschseins«, erklärte Museumsdirektor Professor Klaus Vogel in Dresden. Außerdem habe Sprache auch etwas mit dem menschlichen Körper zu tun, und genau das ist in der Ausstellung der Einstieg ins Thema.

»Homo loquens«, die lateinische Bezeichnung für den sprechenden Menschen, ist der Überbegriff des ersten von vier Ausstellungsräumen. Das klingt wie ein wissenschaftlicher Fachbegriff und diese Assoziation ist gewollt, denn hier geht es um die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Sprechen und der Sprache als bio­logisches und kulturelles Phänomen. In dem abgedunkelten Raum sind dazu separate Bereiche hell erleuchtet, in denen Aspekte wie die Anatomie des Sprechapparats, die Erforschung von Gesten und Gebärden, Sprachmythen in verschiedenen Kulturen und die Betei­ligung der Gene am Spracherwerb behandelt werden. Erklärt werden die einzelnen Exponate mit deutschem und englischem Text sowie auf kleinen Bildschirmen in deutscher Gebärdensprache und über Kopfhörer in gesprochenem und leichtem Deutsch.

 

Einblicke in die Anatomie

 

Dass der Mensch nahezu jeden Laut bilden und nachahmen kann, ist eine Fähigkeit, die ihn gegenüber allen anderen bekannten Lebewesen auszeichnet. Wie das Ganze anatomisch funktioniert, zeigen Filmaufnahmen, die der Ausstellungsbesucher an einem Touchscreen auswählen kann. So machte etwa Georges Demenÿ 1891 auf Anregung des Direktors des Pariser Taubstummeninstituts Porträtfotos eines Mannes bei der Artikulation von Lauten. Diese »sprechenden Porträts« wurden später zu einer kurzen Filmsequenz zusammengesetzt. Aus dem Jahr 1937 stammt ein Film mit Röntgenaufnahmen vom Kopf einer sprechenden Person – um die Strahlenbelastung machte man sich damals offensichtlich noch keine Gedanken. Da beim Röntgen Weichteile nicht dargestellt werden, sieht der auf- und zuklappende Kiefer mit der dazu ertönenden leicht schrillen Stimme allerdings etwas seltsam aus. Erst auf der MRT-Aufnahme eines Sprechers, auf der auch die Zunge sichtbar ist, wird die Artikulation deutlich.

 

Im nächsten Raum darf der Besucher unter dem Motto »Denkbewegungen« selbst Hand anlegen. »Es ist eine Kombination aus Leseraum und Denkwerkstatt«, sagte Ausstellungskura­torin Colleen M. Schmitz. Interaktive Spiele mit Worten, Buchstaben und Symbolen an der Wand und auf Tischen laden zum Mitmachen ein. Dabei geht es um Metaphern und Sprachbilder, Grammatik und Sprachregeln, Begriffe von Zeit und Raum sowie darum, wie sich diese in verschiedenen Sprachen voneinander unterscheiden.

»Redehandwerk« heißt der nächste Raum der Ausstellung und dort »wird ganz klar, dass Sprache nicht neutral ist«, sagte Schmitz. Sprache wurde und wird gezielt als Macht und Beeinflussungsinstrument eingesetzt, im Privaten, in der Werbung und in der Politik. Der Ausstellungstext zitiert den Dresdner Philologen Victor Klemperer, der während der Nazidiktatur schrieb: »Worte können sein wie winzige Arsendosen: (…) sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach langer Zeit ist die Giftwirkung doch da.« Wie der Text weiter informiert, schuf der NS-Staat kaum neue Begriffe, sondern deutete Worte um und eignete sie sich zu Propaganda­zwecken an. Als Beispiele dienen Ausdrücke wie »Kampfflugzeug«, »deutscher Stil« und »Festung Europa«, für die die Nazis ganz bestimmte Definitionen festlegten. So wurden Feindbilder verfestigt und »Gegner« auch sprachlich isoliert und stigmatisiert. Einen komplett anderen Ansatz, nämlich die spezifische Wortneubildung, verfolgte später die Staatsführung der DDR. Diese neuen Begriffe, etwa Schokoladenhohlkörper alias Osterhase, wurden jedoch privat so gut wie nicht verwendet, weshalb in der DDR der Unterschied zwischen privater und offizieller Sprache sehr ausgeprägt war.

 

Macht der Worte

 

Die Kunst der Rhetorik ist heute so gefragt wie eh und je. Das zeigen Ausschnitte berühmter Reden aus verschiedenen Kontexten, die auf einer großen Videowand gezeigt werden. Barack Obama ist ebenso vertreten wie ein Teilnehmer eines Poetry-Slam-Wettbewerbs, der sich Gedanken über Konsum macht, namenlose Demon­stranten, die nicht nur durch Rufen, sondern auch durch Schweigen sprechen, und Karl Valentin mit einer Vereinsrede, die nur aus einer Aneinanderreihung leerer Worthülsen besteht. Sie alle versuchen mit verschiedenen Mitteln, die Zuhörer von ihrer Sache zu überzeugen. Das Gleiche tut – oft mit weitaus weniger subtilen Methoden – die Werbung, wie diverse Plakate und Radiospots zeigen. Einer ganz anderen Form von Sprache im öffentlichen Raum, dem Graffiti auf öffentlichen Toiletten (fachsprachlich Latrinalia), ist ein kleines Separee gewidmet, in dem Besucher sich auch selbst verewigen dürfen.

Ein bisschen wie nach Hause kommen ist es, wenn man den letzten, ganz in Rot gehaltenen Raum der Ausstellung betritt. Er steht passenderweise unter dem Motto »Sprachheimat(en)«. Das Gefühl von Heimat ist immer auch mit der dort gesprochenen Sprache verbunden, wie Vogel beschrieb: »Wie sehr uns Sprache prägt, wird uns manchmal bewusst, wenn wir nach längerer Abwesenheit wieder in den Kosmos eines vertrauten Dialekts eintauchen. Das gleicht dem plötzlichen Gewahrwerden eines vergessenen Teils unserer selbst.« Umgekehrt grenzt eine unverständliche Sprache aus und lässt den Hörer sich fremd fühlen.

 

Stimme und Dialekt

 

Mehrsprachigkeit, Dialekte, Stimme und Handschrift sind Themen, die in diesem Raum teilweise interaktiv behandelt werden. So können Besucher am Stimmendrucker eine kurze Sprechprobe abgeben und bekommen dann eine Analyse von Lautstärke und Frequenz ihrer Stimme ausgedruckt. An einem Bildschirm geht es darum, verschiedene deutsche Dialekte ihren Ursprungsorten zuzuordnen. Und die Wortwanderungsinstallation in der Mitte des Raumes macht deutlich, dass nicht nur Menschen sich von einem Sprachraum in den anderen bewegen können, sondern auch einzelne Wörter.

 

Alles in allem ist die Ausstellung ein kurzweiliger, lehrreicher und teilweise überraschender Streifzug durch die Welt der Sprache. Sie regt zum Nachdenken an über etwas, das uns im Alltag allzu oft nur als Mittel zum Zweck dient und dessen Vielfalt, Kraft und Schönheit wir besser nutzen könnten und sollten. /

Sprache

Welt der Worte, Zeichen, Gesten

 

Eine Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums in Kooperation mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

24. September 2016 bis 20. August 2017

 

Lingnerplatz 1

01069 Dresden

 

geöffnet Dienstag bis Sonntag und Feiertage 10 bis 18 Uhr

24., 25. Dezember und 1. Januar geschlossen

THEMEN
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