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PZ-Innovationspreis

Auszeichnung für Orphan Drug

16.09.2013  16:38 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler, Berlin / Bereits zum 19. Mal wurde vergangene Woche ein hoch innovatives Medikament mit dem PZ-Innovationspreis ausgezeichnet. Ivacaftor (Kalydeco™) von Vertex Pharmaceuticals öffnet neue Wege in der Behandlung von ausgewählten Patienten mit Mukoviszidose.

Der Preisträger wurde aus 24 neuen Arzneistoffen ausgewählt, die zwischen dem 1. Juli 2012 und dem 30. Juni 2013 in Deutschland auf den Markt kamen. Die Jury nehme für sich in Anspruch, die Arzneistoffe immer unabhängig zu bewerten, betonte Professor Dr. Hartmut Morck bei der Übergabe des Preises an Raymond Francot, Geschäftsführer Vertex Pharmaceuticals GmbH, München. »Damit ist dieser Preis ein Unikat.«

Der frühere PZ-Chefredakteur und Initiator des Preises nannte die maßgeblichen Kriterien für die Auswahl des Orphan Drugs. Ivacaftor ermögliche erstmals eine ursächliche Therapie der Mukoviszidose (Zystische Fibrose, CF) bei ausgewählten Patienten. Auch die personalisierte Medizin erlebe damit ihre Premiere in der Behandlung dieser Erkrankung. Ivacaftor sei demnach als echte Sprunginnovation einzustufen.

 

PZ-Chefredakteur Daniel Rücker und ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hoben ebenfalls die wissenschaftliche Bewertung von Arzneistoffen als eine zentrale Aufgabe von Apothekern hervor. Kein anderer Berufsstand befasse sich so intensiv mit Arzneimitteln, betonte Schmidt. Der PZ-Innovationspreis, der in diesem Jahr erstmals im Rahmen eines Festaktes im Deutschen Apothekerhaus in Berlin verliehen wurde, stelle den innovativen Nutzen von neuen Arzneimitteln heraus. Dies sei keine PR für den Hersteller, sondern würdige dessen Innovationskraft.

 

In Deutschland leiden etwa 8000 bis 10 000 Menschen an der genetisch bedingten Systemerkrankung Mukovis­zidose. Jedes Jahr kommen 300 bis 400 Kinder mit CF zur Welt. Zugelassen ist Ivacaftor aber nur für Patienten ab sechs Jahren, bei denen die G551D- Mutation im CFTR-(Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator)-Protein nachgewiesen wurde. Dies gilt für circa 4 Prozent aller Betroffenen. Bei diesen Mutationsträgern erhöht der peroral bioverfügbare Wirkstoff die Wahrscheinlichkeit, dass der defekte Chloridionenkanal CFTR geöffnet wird.

 

Zulassung für Kleinkinder angestrebt

 

Der sogenannte CFTR-Potentiator normalisiert den Ionentransport durch die Kanäle, was zu weniger zähflüssigen Sekreten und somit zu einer Milderung der Krankheitssymptome führt. Die Patienten nehmen in der Regel zweimal täglich 150 mg Ivacaftor. Die Einnahme mit einer fetthaltigen Speise steigert die Resorption. In den beiden zulassungsrelevanten Studien verbesserte die Ivacaftor-Therapie die Lungenfunktion der Patienten, gemessen anhand der Einsekundenkapazität (forciertes exspiratorisches Volumen, FEV1) nachweislich (Lesen Sie dazu auch: Personalisiert gegen Mukoviszidose).

Bislang seien etwa 1800 Mutationen im CFTR-Gen bekannt, die zu defekten oder fehlenden Proteinen führen können, erklärte Francot bei der Preisverleihung. Die G551D-Mutation im CFTR-Protein tragen nur etwa 170 Patienten in Deutschland. Doch Vertex arbeite an weiteren Arzneistoffen, die auch Patienten mit häufigeren Mutationen helfen können, berichtete Francot. Die Pipeline sei gefüllt. Zudem wird angestrebt, die Zulassung von Ivacaftor auf Patienten unter sechs Jahren auszuweiten.

  

Francot forderte ein flächendeckendes Neugeborenen-Screening in Deutschland, um Mutationsträger frühzeitig zu identifizieren. Eine frühe Diagnose trage dazu bei, dass betroffene Kinder auch schneller behandelt werden. So könne man die Lungenfunktion bestmöglich erhalten, einer Unter- und Mangelernährung entgegenwirken und die kindliche Entwicklung verbessern.

  

Innovative Arzneistoffe als Türöffner

  

»Wir brauchen viele neue Arzneistoffe, die als Türöffner für neue Therapien wirken«, leitete Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Frankfurt, seinen Festvortrag ein. Die Erfahrung zeige, dass Forscher einen »langen Atem« und viel Durchhaltevermögen brauchen und der therapeutische Fortschritt oft in kleinen Schritten erfolgt. Deutschland brauche ein forschungsfreundliches Klima, das gerade auch kleine Fortschritte ermöglicht und würdigt.

  

Schubert-Zsilavecz plädierte für eine Versachlichung der Diskussion um neue Arzneistoffe. Unabhängige Expertenmeinungen würden nicht immer fair bewertet. Neue Arzneimittel würden in Deutschland immer nur unter Kostenaspekten gesehen. Diese ausschließliche Fokussierung auf Preise sei nicht vertretbar. »Wir haben keine Balance in der Problemwahrnehmung im Gesundheitswesen«, rügte der Referent und konstatierte eine »Innovationslücke«. Mehr Planungssicherheit und ein forschungsfreundliches Klima seien Kernelemente, damit innovative Arzneimittelforschung in Deutschland weiterhin möglich ist.

 

Die Situation der forschenden Pharmaindustrie beschrieb Schubert-Zsilavecz, der auch Mitglied der PZ-Chefredaktion ist, als schwierig. Die Produktivität in Forschung und Entwicklung stagniere, das Image sei schlecht und der Druck auf die Erstattungsfähigkeit der Präparate steige. Demgegenüber stünden die extremen Kosten der Arzneimittelentwicklung. Dass die forschende Pharmaindustrie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Deutschland ist, werde nicht ausreichend gewürdigt. Immerhin schafft dieser Industriezweig etwa 110 000 Arbeitsplätze, realisiert Exporte für mehr als 40 Milliarden Euro pro Jahr und investiert jährlich etwa 5,7 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. »Aber im Jahreswirtschaftsbericht 2013 des Bundeswirtschaftsministeriums kommt die Pharmaindustrie nicht vor.«

 

Publizieren und patentieren

 

Kritisch bewertete der Referent die Arbeit des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). »Ich halte das IQWiG nicht für eine verzichtbare Institution, aber es muss sich wandeln.« So müsse es sich regelmäßig einer Evaluation durch externe Experten unterziehen. Zudem sei die Transparenz bei der Bestellung der Gutachter nicht ausreichend. Last but not least: Mehr Apotheker sollten im Institut arbeiten.

 

Um das Klima für innovative Arzneimittel zu fördern, plädierte Schubert-Zsilavecz für eine »belastbare Förderung der Grundlagenforschung« und die Transla­tion der Ergebnisse in die anwendungsorientierte Forschung, »damit aus guten Ideen auch gute Entwicklungen entstehen«. Doch bislang seien die Universitäten in Deutschland zu stark auf die Grundlagenforschung fixiert. »Publizieren und patentieren« seien aber keine Gegensätze, sondern müssten sich ergänzen. Als Zukunftsmodell für Deutschland beschrieb der Pharmazieprofessor das »House of Pharma« in Frankfurt, in dem sich universitäre und außeruniversitäre Forschung ebenso begegnen wie Ärzte, Apotheker und Patientenorganisationen. Sein Resümee war versöhnlich: »Deutschland war, ist und bleibt ein guter Standort für innovative Arzneimittel.« /

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