Alles fit im Schritt? |
01.08.2017 15:40 Uhr |
Von Annette Mende / Eine aktuelle Metaanalyse bescheinigte Männern in westlichen Ländern einen dramatischen Rückgang der Spermienzahl. Publikumsmedien sprachen daraufhin schon von einer Spermienkrise und sahen die männliche Zeugungsfähigkeit in Gefahr. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie hält solche Befürchtungen für unbegründet, sieht aber dennoch Handlungsbedarf.
Bei der jetzt im Fachjournal »Human Reproduction Update« erschienenen Arbeit handelt es sich um eine Auswertung von 185 Studien mit insgesamt 42 935 Männern aus den Jahren 1973 bis 2011. Die Autoren um den Epidemiologen Dr. Hagai Levine von der Hebrew University in Jerusalem unterschieden bei ihrer Analyse unter anderem nach der Region, in der die Studien stattgefunden hatten: Nordamerika, Europa, Australien und Neuseeland zählen als »Westen«, von dem die »anderen« (Südamerika, Asien und Afrika) abgegrenzt werden (DOI:10.1093/humupd/dmx022).
Die Spermienzahl von Männern in Industrienationen hat in den vergangenen vier Jahrzehnten stark abgenommen.
Foto: iStock/Image Source
Rückgang um fast 60 Prozent
Erfasst wurden in der Metaanalyse die Spermienkonzentration (SC) in Millionen pro ml und die Gesamtspermienzahl (TSC) in Millionen. Bei beiden Parametern war im Beobachtungszeitraum ein signifikanter Rückgang zu verzeichnen – allerdings nur im Westen. Während SC und TSC in den anderen Weltregionen stabil blieben, sank in den Industrienationen die SC seit den 70er-Jahren um durchschnittlich 1,4 Prozent pro Jahr, was sich insgesamt auf einen Rückgang um 52,4 Prozent summierte (von 99,0 auf 47,1). Bei der TSC war die Verringerung mit 1,6 Prozent jährlich beziehungsweise insgesamt 59,3 Prozent sogar noch größer (von 337,5 auf 137,5).
Trotz dieses deutlichen Rückgangs der Menge der Spermien sieht die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) die Zeugungsfähigkeit in westlichen Industrienationen nicht akut gefährdet. »Sorgen müssen sich die Männer meines Erachtens nicht machen. Die gezeigten Veränderungen befinden sich alle in einem hochnormalen Bereich«, sagte Professor Dr. Sabine Kliesch, Vorsitzende der Patientenakademie und des Arbeitskreises Andrologie der DGU, in einer Pressemitteilung.
Aus mehreren Gründen sollten die Ergebnisse der Studie aus Klieschs Sicht nicht überbewertet werden. Erstens sei es normal, dass bei der Spermienzahl immer wieder Schwankungen innerhalb des Normbereiches auftreten, ohne dass das auf eine krankhafte Abweichung hinweisen muss. Zweitens sei die absolute Spermienzahl nicht das wichtigste Kriterium für die Zeugungsfähigkeit. »Entscheidender ist die Zahl der vorwärts beweglichen Spermien. Nur diese sind in der Lage, bei der natürlichen Befruchtung die Eizelle zu erreichen«, so Kliesch. Hierzu gebe es in der Studie keine Daten. Drittens hätten sich im Laufe der Jahre die Messmethoden deutlich verbessert, sodass sich der gemessene Trend möglicherweise zum Teil auch dadurch erkläre.
Trotz dieser Einschränkungen ist die Studie laut DGU die beste Neuberechnung, die es derzeit gibt. Sie lege die Vermutung nahe, dass die Spermienanzahl westlicher Männer zukünftig weiter abnehmen wird, was möglicherweise auch ein Hinweis ist auf andere Gesundheitsrisiken. Diese müssen laut DGU-Pressesprecher Professor Dr. Christian Wülfing nun weiter erforscht werden. »Der Einfluss von Lebensstilfaktoren wie Übergewicht, Stress und Rauchen rückt dabei ebenso in den Fokus der Diskussion wie mögliche Risikogrößen aus der Umwelt, etwa Chemikalien.« Ebenfalls berücksichtigt werden müssten das Alter der Männer sowie Erkrankungen, die sich auf die Spermien- und Ejakulatqualität auswirken können, darunter Hodenkrebs, Prostatakrebs oder Lageanomalien des Hodens.
Zugrunde liegende Faktoren erforschen
Mit dieser Einschätzung stimmen die DGU-Experten mit den Autoren der Studie überein, die ihr Ergebnis selbst als mögliches Frühwarnzeichen für eine allgemeine Beeinträchtigung der männlichen Gesundheit bezeichnen. Sie wollen damit den Anstoß zu weiterer Forschung nach den Gründen für die Entwicklung geben, die dann hoffentlich auch Präventionsmöglichkeiten identifiziert. /