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Schweinegrippe

Der Einfluss der Pharmaindustrie

13.07.2010  16:35 Uhr

Von Uta Grossmann, Berlin / Die Vorbereitung auf die Schweinegrippe ist nicht optimal gelaufen. Es wurden Vorwürfe laut, die Pharmaindustrie habe die anfängliche Hysterie geschürt, um möglichst viel Impfstoff verkaufen zu können. Die Grünen-Bundestagsfraktion versuchte in einem Fachgespräch, aus den Pannen Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Vor gut einem Jahr, am 11. Juni 2009, erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Influenza A/H1N1, vulgo Schweinegrippe, zur Pandemie, einer Seuche der WHO-Stufe 6. Die Fachzeitschrift British Medical Journal (BMJ) hatte Anfang Juni dieses Jahres berichtet, einige wissenschaftliche Berater der WHO hätten Geld vom Impfstoffhersteller GlaxoSmithKline (GSK) und von der Firma Roche erhalten, die das Grippemedikament Tamiflu (Wirkstoff Oseltamivir) verkauft. In einem Vertrag zwischen dem Bundesgesundheitsministerium, den zuständigen Ministerien der Länder und GSK war 2007 der Kauf des Impfstoffs Pandemrix vereinbart worden, sobald die WHO eine Pandemie ausrufen würde. Pandemrix von GSK war der am meisten verwendete Impfstoff gegen die Schweinegrippe.

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass Wissenschaftler, die renommiert genug sind, um die WHO zu beraten, auch im Auftrag von Pharmakonzernen tätig sind und von ihnen Geld für Vorträge oder Beratertätigkeiten erhalten. Trotzdem wirft die Industrienähe Fragen auf und schürt Befürchtungen, der Rat der Forscher sei nicht frei von Einflussnahmen der Firmen, die von Ent­scheidungen wie der Einstufung der Schweinegrippe als Pandemie profitieren.

 

In einem Fachgespräch der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ging es im Berliner Abgeord­netenhaus um »Pandemien als Geschäftsmodell? Lehren aus der Schweinegrippe«.

 

Dr. Matthias Gruhl, Abteilungsleiter Gesundheit beim Bremer Senat, empfahl zu prüfen, wie die Bundes­länder sich künftig sicher mit ausreichend Impfstoff versorgen können – unabhängig von Pharmakonzernen, die »einen Wettbewerb der Interes­senten aufbauen«. Bei der Schweinegrippe 2009 war es bekanntlich zu Engpässen bei der Herstellung und Auslieferung gekommen, als Deutschland und andere Länder gleichzeitig große Mengen Impfstoff bestellten. Gruhl erinnerte daran, dass das Robert-Koch-Institut Erfahrungen in eigener Impfstoffherstellung habe und auch andere Staaten Impfstoffe in öffentlicher Trägerschaft herstellen könnten.

 

Arnold Schreiber erinnerte an das Dilemma der Verantwortlichen für die Pandemiebekämpfung in Bund und Ländern, die im Sommer 2009 eine Gefahrensituation einschätzen mussten, deren künftige Dimensionen zu dem Zeitpunkt unklar waren. Schreiber ist beim Bundesministerium für Gesundheit in Bonn mit der Impfstoffversorgung und den Verträgen zwischen Bund und Ländern befasst. Erst im September, als die erste Welle der Schweine­grippe bereits über Deutschland hinweg rollte, einigten sich die Länder auf eine gemeinsame Impfstoffbestellung. Als sich abzeichnete, dass die Influenza wesentlich harmloser verlief als befürchtet, wurde die deutsche Bestellung auf 34 Millionen Dosen beschränkt. »Das war die Menge, die zum Zeitpunkt der Stornierung bereits ausgeliefert war oder sich im Produktionsprozess befand«, sagte Schreiber.

 

Bund will Kosten nicht übernehmen

 

Probleme bei der Herstellung sorgten für Verzögerungen bei der Auslieferung gerade dann, als die Impfbereitschaft in der Bevölkerung am größten war. Diskussionen über etwaige Nebenwirkungen des adjuvanzierten (mit Wirkverstärker versehenen) Impfstoffs und die fehlende Erprobung an Schwangeren und Kindern sorgten für Verunsicherung in der Bevölkerung und verringerten die ohnehin schnell abflauende Impfbereitschaft. Schließlich blieben die Länder auf großen Mengen unverbrauchten Impfstoffs sitzen. Das Land Berlin muss zum Beispiel 10,7 Millionen Euro für nicht verbrauchte Dosen Pandemrix bezahlen. Der Bund lehnt es ab, diese Kosten zu übernehmen. Berlin hatte 1,4 Millionen Impfdosen erworben. 737 000 Dosen wurden geliefert, davon aber lediglich 152 000 Dosen verimpft.

 

Schreiber vertrat die Meinung, dass Bund und Länder bei der Bekämpfung der Schweinegrippe gut zusammengearbeitet hätten. Es gebe für die pandemische Vorsorge keine Alternative zur staatlich organisierten Impfstoffversorgung. Aus Sicht der Bundesländer verlangte Gruhl, der Bund solle in Zukunft die Bestellung von Impfstoffen auslösen und sie auch bezahlen, die Länder würden sie dann »unters Volk bringen« – unter Zuhilfenahme der niedergelassenen Ärzte.

Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, plädierte aufgrund der Hinweise auf mögliche Einfluss­nahme von Pharmakonzernen auf Entscheidungen der WHO für dezentrale Lösungen. »Wir sollten uns nicht abhängig machen vom Pandemieplan der WHO«, sagte er. Er forderte, Interessenkonflikte beteiligter Experten künftig offenzulegen.

 

Bettina Brennecke, Mitglied der Geschäftsleitung von GSK Deutschland, wies darauf hin, dass GSK ähnlich wie die Politik ebenfalls in einer Situation großer Unsicherheit und fehlender valider Daten handeln und Entscheidungen zur Herstellung des Impfstoffs treffen musste. Der Konzern lieferte nach ihren Angaben 80 Prozent aller Impfdosen. »Wir konnten als Erste einen sicheren, verträglichen Impfstoff liefern, nicht zuletzt, weil wir seit 1997 in unserem Dresdner Werk geforscht und Milliarden in den Ausbau der Produktion gesteckt haben«, sagte Brennecke. GSK habe sich dem Bund gegenüber flexibel gezeigt und statt 82 Millionen bestellter Impfdosen nur 34 Millionen in Rechnung gestellt.

 

Zum Vorwurf der Geheimniskrämerei über die Verträge zur Impfstofflieferung verwies sie auf vertrauliche Aspekte wie Produktionsinterna, die Glaxo seine Wettbewerber nicht wissen lassen wolle. Andere Teile des Vertrags könne man aber künftig öffentlich machen.

 

Der häufig kritisierte Einfluss der Printmedien auf die Entscheidung, sich impfen zu lassen, ist offenbar geringer als gedacht. Biggi Bender, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, zitierte eine Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Zeitungslektüre und Impfverhalten: Leser der Bild-Zeitung, die für die Schweinegrippeimpfung getrommelt hatte, ließen sich demnach kaum impfen, Leser der impfkritischen Tageszeitung taz dagegen umso häufiger. / 

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