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Plazenta

Das unerforschte Organ

06.07.2016  09:54 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi / Die Plazenta ist das am wenigsten verstandene Organ des Menschen. Dabei ist sie von erheblicher Bedeutung für die Gesundheit von Kind und Mutter – nicht nur während der Schwangerschaft, sondern lebenslang. Eine Forschungsinitiative in den USA hat sich zum Ziel gesetzt, mehr Licht in die Funktion und Struktur des Mutterkuchens zu bringen.

Jedes menschliche Leben entsteht in der Plazenta. Sie ist das Lebenssicherungssystem des Ungeborenen, das sich in das Gewebe der Mutter eingräbt, um das Kind zu versorgen. Das etwa 500 Gramm schwere Organ übernimmt für den Fetus endokrine Funktionen sowie die von Lunge, Leber und Niere. Jeglicher Stofftransport wird von ihr reguliert, wobei Sauerstoff, Nährstoffe sowie Immunglobuline hineingelassen werden, während Abfallprodukte des Kindes heraustransportiert werden.

 

Läuft etwas schief bei der Entwicklung der Plazenta kann das verheerende Auswirkungen haben. Die Schwangere kann beispielsweise Gestations­diabetes, Schwangerschaftshochdruck oder Präeklampsie entwickeln, eine in der Schwangerschaft auftretende Blutdruckerhöhung, die für Mutter und Kind tödlich enden kann. Auch für das Kind sind die Folgen dramatisch und reichen von geringem Geburtsgewicht über eine zu frühe Geburt bis hin zu Fehl- beziehungsweise Totgeburt. Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 2500 Kinder tot geboren. Bei der Hälfte von ihnen kann die Ursache nicht ermittelt werden. Experten vermuten, dass in vielen Fällen Störungen der Plazenta verantwortlich sind.

 

Gefährliche Dysfunktion

 

Eine Dysfunktion der Plazenta gefährdet aber nicht nur die Schwangerschaft, sondern kann neueren Erkenntnissen zufolge auch die Gesundheit von Mutter und Kind nachhaltig schädigen. So können Probleme mit der Plazentafunktion sowohl ein Marker als auch die Ursache für spätere Herz-Kreislauf-Erkrankungen der Mutter sein, wie Dr. Alan E. Guttmacher und Kollegen vom US-amerikanischen National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) in einem Artikel im Fachjournal »Placenta« schreiben (DOI: 10.1016/j.placenta. 2014.02.012). Es gibt auch Hinweise, dass schon in der Plazenta die Basis für Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck oder Schlaganfall im Erwachsenenalter gelegt wird.

 

Ein embryonales Gewebe

Angesichts der Bedeutung des Organs sei es massiv unterforscht, schreiben die Autoren. Das NICHD hat daher im Jahr 2014 das Humane Plazenta-Projekt ins Leben gerufen. Der Zusammenschluss von Forschern hat zum Ziel, Biologie und Pathologie der Plazenta aufzuklären und vor allem Technologien zu entwickeln, um die Funktion des Organs in Echtzeit zu beobachten. Bislang wurde es meist nach der Geburt untersucht, wenn es seine Funktion bereits verloren hat. Daraus ließen sich nur ungenügend Rückschlüsse auf die Physiologie des Organs ziehen, so die Initiatoren des Projekts. Auch Tiermodelle lieferten nur begrenzte Informationen, da die Plazenta sich von Art zu Art deutlich unterscheidet. Insgesamt 46 Millionen US-Dollar stellte das NICHD im ersten Jahr bereit, um knapp 20 Forschungsprojekte zu fördern.

 

Obwohl die Plazenta auch Mutterkuchen heißt und oft der Mutter zugerechnet wird, entsteht sie hauptsächlich aus embryonalen Zellen. Wenige Tage nach der Befruchtung heftet sich das befruchtete Ei, das sich inzwischen durch mehrfache Zellteilung zu einer Blastozyste (Hohlkeim) entwickelt hat, an die Wand der Gebärmutter. Die embryonalen Zellen, Trophoblasten genannt, dringen in das Epithel der Gebärmutter ein und gehen dabei sehr invasiv vor: Sie schütten proteinzersetzende Enzyme aus oder induzieren Apoptose in den mütterlichen Zellen, um sich ihren Weg zu bahnen und in das Gewebe einzugraben.

 

Über diese Zersetzung wird der Embryo ernährt, bis die Blutversorgung etabliert ist, was in der zehnten bis zwölften Schwangerschaftswoche der Fall ist. Hierfür dringen die Trophoblasten zum einen in mütterliche Blutgefäße ein und modulieren diese um, zum anderen bilden sie insgesamt etwa 50 km Kapillare aus. Diese münden mit feinsten Kapillaren in fingerdicken Ausstülpungen, den sogenannten Chorionzotten, die im mütterlichen Blut im intervillösen Raum, also zwischen mütterlicher und embryonaler Seite, baden. Die Chorionzotten verzweigen sich weiter in Sekundär- und Tertiärzotten. Bei diesen ist das embryonale Blut vom mütterlichen nur noch durch wenige Zellschichten getrennt. Über diese Plazentaschranke erfolgt der Stoffaustausch geregelt durch verschiedene Mechanismen: Diffusion, erleichterte Diffusion, aktiver Transport und Pinozytose.

 

Kontrollierter Austausch

 

Gase wie Sauerstoff oder Kohlendioxid gelangen durch Diffusion über die Plazentaschranke, Glucose durch erleichterte Diffusion. Andere Substanzen wie Aminosäuren werden aktiv über die Barriere transportiert. Makromoleküle wie IgG-Antikörper der Mutter überwinden die Barriere über den Mechanismus der Pinozytose. Hierbei werden Vesikel von der Zellmembran abgeschnürt und ins Zellinnere aufgenommen, wo die enthaltenen Substanzen oder Moleküle dann freigesetzt werden. Auf diese Weise wird der Embryo mit mütterlichen Antikörpern ausgestattet, die seinen Nestschutz bilden.

 

Während die Plazentaschranke für den notwendigen Stoffaustausch durchgängig ist, bildet sie eine starke Barriere gegen Krankheitserreger. Obwohl Infektionen der Mutter in der Schwangerschaft häufig sind, haben nur wenige Pathogene die Fähigkeit, den Embryo zu infizieren. Diese Erreger werden unter der Abkürzung TORCH zusammengefasst. Neben Toxoplasmose sind das Treponema pallidum (Syphilis), Hepatitis-B-, Hepatitis-E-, Coxsackie-, Eppstein-Barr-, Varizella-Zoster-, Röteln-, Cytomegalie- und Herpes-simplex-Virus sowie das Parvovirus B19. Der Liste kann seit neuerem auch das Zika-Virus (ZIKV) hinzugefügt werden, von dem bekannt ist, dass es den Fetus infizieren und die Entwicklung des Gehirns und des Schädels stören kann.

 

Offene Fragen

 

Wie das ZIKV über die Plazentaschranke gelangt, ist noch nicht vollständig geklärt, schreiben Forscher um Dr. Zachary A. Klase von der University of Sciences in Philadelphia in einem Artikel des Online-Portals »BioRxiv« (DOI: 10.1101/050674). Ein möglicher Mechanismus ist, dass es den Transport von Immunglobulinen nutzt und an Antikörper gebunden durch Pinozytose über die Plazentaschranke gelangt. Da aber der Transport von IgG erst ab der 16. Schwangerschaftswoche einsetzt, die Hauptschädigungen durch ZIKV aber bei einer Infektion des Fetus vor diesem Zeitpunkt erfolgen, muss es noch einen weiteren Mechanismus geben.

Die Plazentazellen können im ersten Trimester vermutlich direkt von dem Erreger infiziert werden, schreiben die Autoren. Das ist plausibel, zumal die benötigten Rezeptoren, über die Zika-Viren in Zellen gelangen können, von Trophoblasten exprimiert werden. Hierzu steht aber noch weitere Forschungsarbeit aus.

 

Bislang noch nicht verstanden ist die Fähigkeit der Plazenta, das Immunsystem der Mutter so zu beeinflussen, dass es zwar noch funktionstüchtig ist, aber den Fremdkörper, den das Ungeborene darstellt, nicht abstößt. Der Fetus hat einen anderen genetischen Code als die Mutter, wird aber vom Immunsystem in gesunden Schwangerschaften nicht angegriffen.

 

Ein weiteres Forschungsgebiet sind microRNA-Moleküle, die bei der Entwicklung der Plazenta eine wichtige Rolle zu spielen scheinen. Diese 20 bis 24 Nucleotide langen RNA-Schnipsel regulieren die Expression einer Reihe von Genen und kommen in verschiedenen Geweben vor. In der menschlichen Plazenta wird ein spezifisches Muster an miRNA exprimiert, das sich im Verlauf der Schwangerschaft ändert und im Plasma der Mutter widerspiegelt. Einige plazentare miRNA scheinen an der Entstehung von Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie oder intrauteriner Wachstumsstörung beteiligt zu sein. Sie könnten in Zukunft eventuell als Biomarker für diese Pathologien dienen.

 

Forschungsarbeiten wie diese und andere vom Humanen Plazenta-Projekt geförderte Untersuchungen sollen das Verständnis der Entwicklung und Funktion der Plazenta weiter verbessern, um diagnostische Methoden, aber auch präventive und therapeutische Interventionen zu entwickeln. Das Ziel ist, möglichst vielen Frauen eine gesunde Schwangerschaft zu ermöglichen. /

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