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Plastiktüten

Es geht auch ohne

30.06.2015  09:45 Uhr

Von Ulrike Abel-Wanek / 76 Plastiktüten verbraucht jeder Deutsche pro Jahr. Das sind insgesamt 6,1 Milliarden Stück.* Viele der umweltbelastenden Kunststofftaschen gehen auch über den HV-Tisch von Apotheken. Speziell die kleinen Tütchen für Arzneimittel wandern zu Hause meist direkt in den Müll. Dass es auch ohne Plastik gehen könnte, zeigt eine Initiative aus Holzgerlingen.

»Wir versuchen, als erste Kommune in Deutschland demnächst plastiktütenfrei zu sein.« Das sagt Apotheker Björn Schittenhelm, einer von rund 200 Unternehmern und Geschäftsleuten aus dem schwäbischen Holzgerlingen, die nach den Sommerferien keine Einweg-Kunststofftaschen mehr an ihre Kunden abgeben wollen. 

 

Der 31-Jährige leitet seit fünf Jahren die Alamannen- und Schönbuch-Apotheke der Stadt, ist aktiv beim Handels- und Gewerbeverein und außerdem Mitglied des Gemeinderats. Hier brachte ein Antrag der BNU-Fraktion – Bürger für Natur und Umwelt – bei einer Haushaltsdebatte Ende 2014 den Stein ins Rollen: Holzgerlingen sollte plastiktütenfrei werden. Nach gut einem halben Jahr Arbeit an der guten Idee für mehr Umweltschutz soll es bald so weit sein.

 

Der Plastikmüll hat auf den Weltmeeren gigantische Ausmaße angenommen und belastet Ökosysteme und Lebewesen. Nur ein Bruchteil der verbrauchten Plastiktüten wird recycelt. In Europa ist es weniger als jede zehnte Tüte. Der größte Teil landet im Müll oder wird achtlos in die Natur geworfen. Plastik hat eine sehr lange Abbauzeit. Laut Deutscher Umwelthilfe braucht die Tüte, je nach eingesetztem Kunststoff, bis zu 500 Jahre, bis sie vollständig zerfallen ist. Die EU sagt der Plastiktüte mittlerweile den Kampf an und will sie besteuern oder sogar verbieten. In Frankreich soll sie ab 2016 verschwinden. Irland führte 2002 eine Abgabe von 22 Cent pro Tüte ein und konnte so den Verbrauch um mehr als 90 Prozent reduzieren.

 

»Als Apotheker komme ich jedoch nicht ganz ohne Einweg-Tüten aus«, gibt Schnittenhelm zu bedenken. Außerdem sollten die Tütchen die Kunden auch nichts kosten. Auf der Suche nach plastiktütenfreien Alternativen kamen für ihn deshalb die von einer Holzgerlinger Arbeitsgruppe zunächst favorisierten Mehrwegtaschen nicht infrage. Einigen konnte sich die Gruppe aus Mitgliedern des Gemeinderats, des Handels- und Gewerbevereins und der Bürgerinitiative »Mehrweg ohne Plastik« aber schließlich auf Papiertüten.

 

Mit Unterstützung eines Herstellers aus dem benachbarten Dettenhausen wurde mittlerweile ein Prototyp entwickelt – mit einem Logo auf der Vorderseite und einer Liste der teilnehmenden Händler auf der Rückseite. »Wir haben kein Apothekenlogo auf der Tüte – mit Absicht,« sagt Schittenhelm. Dieses »Tütle« werde nun an alle 200 Händler der Stadt verschickt mit der Aufforderung, sich an der Aktion »Plastiktütenfreies Holzgerlingen« zu beteiligen. »Der Alleingang einiger weniger Unternehmer ist nicht unser Konzept«, betont der Apotheker. »Wir wollen alle mitnehmen und als komplette Kommune plastiktütenfrei werden.«

 

Grundsätzlich ist die ökologische Bilanz von Einwegtüten im Vergleich zu Mehrwegtüten aber schlechter. Deshalb arbeiten die Holzgerlinger gemeinsam mit dem Dettenhauser Hersteller bereits am »Täschle« – einer Mehrweg-Holzfasertasche, die im Herbst 2015 fertig sein soll.

 

Doch auch das »Tütle« hat es aus ökologischer Sicht in sich. Die »2-in-1-Tüte« wird in Deutschland CO2-neutral aus 100 Prozent Altpapier hergestellt. Nach ihrem Einsatz als Einkaufstüte kann sie zum Sammeln von Biomüll verwendet und kompostiert werden. Die Bio-Tüte mit Zweifachverwertung hat nicht nur die kritischen Holzgerlinger Umweltschützer überzeugt, sondern auch das Abfallwirtschaftsamt im Landkreis Böblingen mit ins Boot geholt. Von der flächen­deckenden Einführung der Tüte in der Kommune erhofft sich das Amt einen Anstieg des Biomülls – und Biomüll ist Rohstoff. Es unterstützt die gute Idee deshalb finanziell und sponsert die Tüte. »Das hilft uns für die Erst­auf­lage«, freut sich Schittenhelm. »Unser Ziel ist es, für ganz Holzgerlingen 100 000 Tüten zu bestellen.« Dank günstiger Herstellungskosten durch das einheitliche Design und der Finanzspritze des Abfallwirtschaftsamts hat das »Tütle« einen Preis, der sich sehen lassen kann. »Wir sind fast auf dem Niveau einer Plastiktüte«, sagt Schittenhelm. »Und deswegen hoffe ich, dass auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht jeder Händler sagen kann: Da mache ich mit.« /

Aktionstag 3. Juli

Der 3. Juli 2015 ist internationaler plastiktütenfreier Tag. Ziel des Aktionstages ist es, Konsumenten und Händler zu animieren, auf Einweg-Plastiktüten zu verzichten.

*) Quelle: Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM), 2014

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