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Im Juni fünf neue Arzneistoffe

02.07.2014  09:42 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler, Kerstin A. Gräfe, Annette Mende und Sven Siebenand / Im Juni kamen fünf neue Arzneistoffe auf den Markt. Die drei Neulinge Delamanid, Mirabegron und Simeprevir decken die Indikationsspektren Tuberkulose, überaktive Blase und Hepatitis C ab. Hinzu kommen zwei Orphan Drugs: Elosulfase alfa wird bei der seltenen Erkrankung Mukopolysaccharidose Typ IVA eingesetzt. Siltuximab ist die erste Therapieoption für Patienten mit der multizentrischen Castleman-Krankheit.

50 Jahre hat es gedauert, ein neues Medikament gegen Tuberkulose (Tb) zu entwickeln, und jetzt kamen kurz hintereinander gleich zwei neue Wirkstoffe auf den Markt.

 

Delamanid

Nach Bedaquilin im Mai ist nun auch Delamanid (Deltyba® 50 mg Tabletten, Otsuka) in Europa verfügbar. Um zu vermeiden, dass auch diese Waffen im Kampf gegen Mycobacterium tuberculosis durch Resistenzentwicklung bald abstumpfen, dürfen beide nur als Teil einer Kombitherapie eingesetzt werden. Delamanid kann erwachsenen Patienten mit multiresistenter Lungentuberkulose (MDR-TB) gegeben werden, wenn eine andere wirksame Behandlung aufgrund von Resistenzen oder aus Gründen der Verträglichkeit nicht zusammengestellt werden kann. Bei MDR-TB sind die Erreger defini­tionsgemäß gegen Rifampicin und Isoniazid resistent, jedoch empfindlich gegen Fluorchinolone und injizierbare Zweitlinientherapeutika.

 

Delamanid hemmt die Synthese der Methoxy- und Ketomykolsäure. Diese langkettigen, verzweigten Fettsäuren sind Zellwandbestandteile des Tuberkuloseerregers. Obwohl auch andere Tb-Mittel wie Isoniazid und Etham­butol die mykobakterielle Zellwandsynthese als Angriffspunkt haben, besitzt Delamanid mit keinem derzeit verwendeten Anti-Tb-Wirkstoff eine Kreuzresistenz. In vitro war die Häufigkeit spontaner Resistenzen vergleichbar mit der gegen Isoniazid und höher als für Rifampicin.

 

Die Dosierung von Delamanid beträgt 100 mg zweimal täglich über 24 Wochen. Danach sollen die anderen Arzneimittel der Kombitherapie gemäß den Richtlinien der Weltgesundheits­organisation (WHO) weiter gegeben werden.

Die Einnahme von Delamanid sollte zu einer Mahlzeit erfolgen, da das die Bioverfügbarkeit im Vergleich zur Nüchterneinnahme um fast das Drei­fache erhöht. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA stufte Delamanid als Orphan Drug ein und erteilte eine Zulassung unter besonderen Bedingungen. Das bedeutet, dass Hersteller Otsuka den Nutzen mit weiteren Studien belegen muss. Zum Einsatz bei Kindern und Jugendlichen sowie bei älteren Patienten über 65 Jahre gibt es noch keine Daten.

 Auch die Behandlung von Patienten, bei denen die Tuberkuloseerreger nicht die Lunge, sondern beispielsweise das zentrale Nervensystem oder die Knochen befallen haben, wurde noch nicht untersucht. In Tierexperimenten wirkte Delamanid reproduktionstoxisch, daher müssen Frauen im gebärfähigen Alter unter Delamanid-Therapie zuverlässig verhüten. Die bisher verfügbaren Daten zur Wirksamkeit von Delamanid sind spärlich: In einer einzigen doppelblinden, placebokontrollierten Studie erhielten 161 Patienten mit MDR-TB acht Wochen lang Delamanid 100 mg zweimal täglich zusammen mit einer optimierten Basistherapie (OBR) gemäß WHO-Empfehlung. Erfasst wurde, bei wie vielen Patienten, in deren Sputum zu Beginn Tb-Erreger nachweisbar waren, die Erreger innerhalb von zwei Monaten verschwanden (Zweimonats-Sputumkonversionsrate). Diese betrug abhängig vom Nährmedium des Probengefäßes unter Delamanid plus OBR 45,4 bis 53,8 Prozent gegenüber 29,6 bis 33,6 Prozent unter OBR plus Placebo.

 

Art und Häufigkeit von Nebenwirkungen wurden in einer kontrollierten, doppelblinden klinischen Studie mit insgesamt 481 Patienten mit MDR-TB erfasst. 321 von ihnen erhielten Delamanid in Kombination mit einer OBR. Diese Datenbasis reicht nach Angaben des Herstellers nicht aus, um klar zwischen der OBR-Therapie und Delamanid als Ursache für die beobachteten Nebenwirkungen zu unterscheiden. Eindeutig ließ sich jedoch eine Verlängerung des QT-Intervalls im EKG als herausragendes Sicherheitsproblem bei der Therapie mit Delamanid identifizieren.

Diese Nebenwirkung trat unter Delamanid/OBR bei 9,9 Prozent der Patienten auf, unter Placebo/OBR bei 3,8 Prozent. Der Wirkstoff wird überwiegend durch Albumin im Plasma metabolisiert, eine Hypoalbuminämie erhöht dementsprechend das Risiko für eine QT-Zeit-Verlängerung. Weitere wichtige Nebenwirkungen sind Angstzustände, Parästhesien und Tremor; am häufigsten treten Übelkeit (38,3 Prozent), Erbrechen (33 Prozent) und Schwindel (30,2 Prozent) auf.

 

Aufgrund des kardialen Risikos soll vor Therapiestart und dann während der Behandlung mit Delamanid monatlich ein EKG erstellt werden, bei vorbestehenden Risikofaktoren noch häufiger. Wird ein QTCF von > 500 ms gemessen, soll Delamanid abgesetzt werden. Da der Wirkstoff nahezu nicht renal eliminiert wird, erfordert eine leichte bis mittelschwere Nierenfunktions­störung keine Dosisanpassung. Bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung wird die Anwendung nicht empfohlen, ebenso wenig bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Leberfunktionsstörung.

 

In geringerem Ausmaß als durch Albumin wird Delamanid auch durch Cytochrom-P450 (CYP) 3A4 metabolisiert, weshalb bei gleichzeitiger Anwendung starker Induktoren dieses Enzyms ein Wirkverlust zu befürchten ist. Dies bestätigte sich in Wechselwirkungsstudien mit gesunden Probanden: Rifampicin reduzierte die Delamanid-Exposition um bis zu 45 Prozent. Zusammen mit dem schwachen CYP3A4-Induktor Efavirenz wurde dagegen keine klinisch relevante Reduktion der Delamanid-Exposition beobachtet. Wurde Delamanid mit dem HIV-Therapeutikum und starken CYP3A4-Hemmer Ritonavir kombiniert, war der Plasmaspiegel des Tuberkulosemittels leicht erhöht.

 

  • vorläufige Bewertung: Schrittinnovation

 

 

Elosulfase alfa

 

Die lysosomale Speicherkrankheit Muko­polysaccharidose Typ IVA (MPS IVA, Morquio-Syndrom) gehört zu den seltenen Erkrankungen. Die Prävalenz liegt bei etwa 1:250 000. Die Erkrankung ist durch das Fehlen oder eine deutliche Reduktion der Aktivität des Enzyms N-Acetylgalactosamin-6-Sulfatase gekennzeichnet.

 

Der Mangel an Sulfatase-Aktivität führt im gesamten Körper zur Akkumulation von Keratansulfat und Chondroitin-6-Sulfat im lysosomalen Zellkompartiment. Diese Akkumulation verursacht eine starke zelluläre Dysfunktion sowie Gewebe- und Organdysfunktionen. Mit Elosulfase alfa (Vimizim® 1 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, BioMarin Europe), einer rekombinanten Form der humanen N-Acetylgalactosamin-6-Sulfatase, kam im Juni ein Präparat zur Enzym­ersatztherapie bei MPS IVA auf den Markt. Es darf bei Patienten aller Altersklassen zum Einsatz kommen.

In der Fachinformation werden als Dosierung 2 mg pro kg Körpergewicht empfohlen, die einmal pro Woche intra­venös zu verabreichen sind. Die Infu­sionsdauer sollte dabei vier Stunden betragen. In der Fachinformation wird bei einem Körpergewicht von weniger als 25 kg zu einem Gesamtvolumen von 100 ml geraten, bei einem höheren Gewicht sollten 250 ml infundiert werden. Aufgrund möglicher Überempfindlichkeitsreaktionen auf Elosulfase alfa wird dazu geraten, Patienten 30 bis 60 Minuten vor der Infusion Antihistaminika mit oder ohne Antipyretika zu verab­reichen.

 

Sicherheit und Wirksamkeit von Elosulfase alfa wurden in einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie mit 176 MPS-IVA-Patienten untersucht. Die Patienten hatten eine kleine Statur, gestörte Ausdauer und Skelettmuskelsymptome. Über insgesamt 24 Wochen erhielten sie entweder jede Woche 2 mg/kg KG Elosulfase alfa, alle zwei Wochen 2 mg/kg KG Elosulfase alfa oder Placebo. Der primäre Endpunkt war die Veränderung der Distanz im Sechs-Minuten-Gehtest. Ein sekundärer Endpunkt war die Veränderung im Drei-Minuten-Treppensteig-Test. Die Auswertung nach 24 Wochen zeigte, dass die Gabe von Elosulfase alfa im Zweiwochenabstand sowohl hinsichtlich der gelaufenen Gehstrecke als auch hinsichtlich der gestiegenen Treppenstufen mit Placebo vergleichbar war. Einen Vorteil gegenüber Placebo hatten aber diejenigen Patienten, die jede Woche eine Elosulfase-Infusion erhalten hatten. Während sich die Gehstrecke in der Placebogruppe nach 24 Wochen von 211,9 m auf 225,5 m verbesserte, steigerte sie sich in der Verumgruppe von 203,9 m auf 243,3 m. Im Drei-Minuten-Treppensteig-Test konnten die Patienten unter wöchentlicher Elosulfase- Behandlung nach 24 Wochen 4,8 Stufen pro Minute mehr steigen, im Placeboarm erhöhte sich dieser Wert nur um 3,6 Stufen pro Minute.

 

Bei der Mehrheit der Nebenwirkungen handelte es sich in Studien um Infu­sionsreaktionen. Auch über Anaphylaxie und schwere allergische Reaktionen wurde berichtet. Deshalb muss bei der Anwendung von Elosulfase alfa eine entsprechende medizinische Versorgung direkt verfügbar sein. Wenn diese Reaktionen auftreten, muss die Infu­sion sofort abgebrochen und eine Notfallbehandlung eingeleitet werden.

 

Nicht so gefährlich, dafür aber häufiger sind andere Symptome wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Pyr­exie (Fieberanfall), Schüttelfrost und Bauchschmerzen, die im Zuge der Infusionsreaktionen auftraten. In den ersten zwölf Behandlungswochen sind sie häufiger, mit der Zeit werden sie aber tendenziell seltener.

 

Als Vorsichtsmaßnahme ist die Anwendung von Elosulfase alfa während der Schwangerschaft vorzugsweise zu vermeiden, wenn sie nicht eindeutig erforderlich ist. Wegen fehlender Daten bei Menschen sollte das Medikament nur bei Stillenden angewendet werden, wenn angenommen wird, dass der potenzielle Nutzen für die Patientin das potenzielle Risiko für das Kind überwiegt.

 

Abschließend ein Hinweis zur Aufbewahrung: Das Präparat sollte im Kühlschrank bei 2 bis 8 °Celsius gelagert werden. Zudem sollte es in der Originalverpackung aufbewahrt werden, um den Inhalt vor Licht zu schützen.

 

  • vorläufige Bewertung: Sprunginnovation

 

 

Mirabegron

 

Mirabegron (Betmiga™ 25 und 50 mg Retardtabletten, Astellas) ist zugelassen zur symptomatischen Therapie von plötzlichem (imperativem) Harndrang, erhöhter Miktionsfrequenz und/oder Dranginkontinenz bei Erwachsenen mit überaktiver Blase (overactive bladder, OAB).

Die empfohlene Dosis beträgt 50 mg einmal täglich mit oder ohne Nahrung. Eine Halbierung der Tagesdosis wird empfohlen für Patienten mit stark eingeschränkter Nieren- oder mäßig eingeschränkter Leberfunktion. Nehmen diese Patienten gleichzeitig starke CYP3A-Inhibitoren wie Itraconazol, Ketoconazol, Ritonavir oder Clarithromycin ein, sollten sie das neue Medikament gar nicht erhalten. Wenn Patienten mit leicht bis mäßig eingeschränkter Nierenfunktion oder leichter Leberinsuffizienz gleichzeitig starke CYP3A-Inhibitoren einnehmen, sollten sie nur 25 mg Mirabegron erhalten.

 

Mirabegron ist ein starker und selektiver β3-Adrenozeptoragonist. Er bindet an die β3-Rezeptoren in den Muskelzellen der Harnblase und aktiviert diese. Experimentelle Studien haben gezeigt, dass sich in der Folge die glatte Harn­blasenmuskulatur entspannt und die Konzentration an cyclischem Adenosinmonophosphat im Harnblasengewebe steigt. Zudem verbessert die Stimula­tion von β3-Adrenozeptoren die Harnspeicherfunktion. Die Wirksamkeit von Mirabegron wurde in drei zwölfwöchigen, randomisierten placebokontrollierten doppelblinden Phase-III-Studien untersucht. Die Teilnehmer waren im Durchschnitt 59 Jahre alt und litten an OAB mit imperativem Harndrang und hoher Miktionsfrequenz mit oder ohne Inkontinenz.

Knapp drei Viertel waren Frauen. Fast die Hälfte war nicht mit Antimuskarinika vorbehandelt. In einer Studie erhielten die Patienten Tolterodin 4 mg retard als aktive Kontrolle. Hauptindikator für die Wirksamkeit war die Änderung der mittleren Zahl von Inkontinenzvorfällen und von Miktionen pro Tag nach drei Monaten. Mirabegron 50 mg verbesserte diese Zielparameter statistisch signifikant stärker als Placebo, und die Pa­tienten gaben eine deutlich bessere gesundheitsbezogene Lebensqualität an.

Gemäß gepoolter Daten sank die Zahl der Blasenentleerungen um durchschnittlich 1,8 pro Tag (unter Placebo um 1,2), die Zahl der Inkontinenzvorfälle um 1,5 (versus 1,1). In der Studie mit Tolterodin reduzierte dieses die Zahl der Miktionen um 1,6 (Mirabegron um 1,9) und die Inkontinenzepisoden um 1,3 pro Tag (Mirabegron um 1,6).

 

Die Wirksamkeit war unabhängig davon, ob die Patienten früher bereits Antimuskarinika zur Therapie der OAB bekommen hatten oder nicht. Mirabegron konnte auch Patienten helfen, bei denen diese Medikamente nicht ausreichend wirksam gewesen waren. Eine randomisierte, aktiv kontrollierte Langzeitstudie zeigte, dass Mirabegron 50 mg auch ein Jahr lang wirksam war.

 

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Tachykardie (Inzidenz 1,2 Prozent). und Harnwegsinfektionen (2,9 Prozent). Zu den schweren, aber seltenen Nebenwirkungen zählt Vorhofflimmern (0,2 Prozent). Es wurde kein Einfluss auf das QT-Intervall des Herzens gefunden.

 

Der neue Wirkstoff wird auf zahlreichen Wegen transportiert und metabolisiert. Er ist ein Substrat und schwacher Inhibitor von CYP3A4 und CYP2D6 und hemmt in hohen Konzentrationen den über P-Glykoprotein vermittelten Arzneimitteltransport. Vorsicht ist geboten, wenn Mira­begron gemeinsam mit Arzneistoffen mit enger therapeutischer Breite verabreicht wird, die in relevantem Ausmaß über CYP2D6 metabolisiert werden. Beispiele hierfür sind Thioridazin, Typ-1C-Antiarrhythmika wie Flecainid und Propafenon, trizyklische Antidepressiva wie Imipramin und Desipramin.

 

Der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA stellte im Dezember 2012 fest, dass die positiven Wirkungen von Mirabegron zwar mäßig, aber mit denen anderer bei OAB zugelassener Arzneimittel vergleichbar seien. Auch die meisten Nebenwirkungen seien vergleichbar.

 

  • vorläufige Bewertung: Schrittinnovation

 

 

Siltuximab

 

Die multizentrische Castleman-Krankheit (MCD) ist eine seltene Erkrankung, bei der Lymphozyten überproduziert werden und zur Vergrößerung der Lymphknoten führen. Im Gegensatz zur unizentrischen Castleman-Krankheit, bei der nur ein einzelner Bereich oder eine Gruppe von Lymphknoten befallen ist, ist bei Patienten mit MCD mehr als eine Gruppe von Lymphknoten in verschiedenen anatomischen Bereichen betroffen. Bei der unizentrischen Form wird der erkrankte Lymphknoten chirurgisch entfernt. Bei der MCD liegt der Behandlungsschwerpunkt zurzeit auf der Reduzierung der Masse der Lymphknoten und auf dem Versuch, durch eine Behandlungskombination, darunter Corticosteroide, Chemotherapie und Immuntherapie, eine Remission der Erkrankung zu erzielen. Mit Siltuximab (Sylvant®, Janssen-Cilag) ist seit Juni eine neue Therapieoption auf dem Markt. Zugelassen ist das Orphan Drug zur Behandlung erwachsener Patienten mit MCD, die HIV- und HHV- (humanes Herpesvirus-8) negativ sind.

 

Siluximab ist ein spezifischer Interleukin-6-Antikörper (IL-6). Er wird von verschiedenen Zellen wie T-Zellen, B-Zellen, Monozyten, Fibroblasten und Endothelzellen produziert. Bei einer Fehlregulierung oder einem Ungleichgewicht kann eine Überproduktion von IL-6 aus aktivierten B-Zellen in den betroffenen Lymphknoten mit der Pathogenese von MCD in Verbindung gebracht werden. Die empfohlene Dosierung beträgt 11 mg/kg Körpergewicht. Sie wird intravenös über einen Zeitraum von einer Stunde appliziert und kann alle drei Wochen verabreicht werden, bis der Patient keinen Nutzen mehr aus der Behandlung zieht. Während der Gabe können leichte bis mäßige Infusionsreaktionen auftreten, die durch eine langsamere Tropfgeschwindigkeit gemildert werden können. Auch die Einnahme eines Antihistaminikums, Corticoids oder von Paracetamol kann erwogen werden. Bei schweren Reaktionen muss die Infusion abgebrochen werden.

 

Während der ersten zwölf Monate der Behandlung sollten vor jeder Dosisgabe Blutuntersuchungen durchgeführt werden, danach alle neun Wochen. Die exakten Werte der zu erfüllenden Therapievoraussetzungen hinsichtlich Neutrophilenzahl, Thrombozytenzahl und Hämoglobin finden sich in der Fachinformation. Vor einer Behandlung mit Siltuximab sollten Infektionen, auch lokale, behandelt werden, da in den klinischen Studien schwerwiegende Infektionen, einschließlich Pneumonie und Sepsis auftraten.

Eine Hypoglobinämie wurde bei 4 bis 11 Prozent der Patienten beobachtet. Da Siltuximab Anzeichen einer akuten Entzündung maskieren kann, muss der Patient auf Anzeichen für schwerwiegende Infektionen sorgfältig überwacht werden. Innerhalb vier Wochen vor und während der Behandlung sollten keine Lebendimpfstoffe appliziert werden. Unter der Therapie stiegen die Lipidwerte an. Die entsprechenden Patienten sollten gemäß der Leitlinie zur Lipidsenkung behandelt werden. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Perforationen.

 

Zu Wechselwirkungen wurden zwar keine Studien erfasst, jedoch ist aus präklinischen Studien bekannt, dass IL-6 die Aktivität von Cytochrom P450 (CYP) verringert. Es wird daher empfohlen bei gleichzeitiger Einnahme von CYP450-Subtraten mit geringer therapeutischer Breite deren Konzentration zu kontrollieren. Zu beachten: Die Wirkung von Siltuximab auf die Enzymaktivität kann nach Ende der Behandlung noch mehrere Wochen andauern. Vorsicht ist auch geboten bei der gleichzeitigen Anwendung mit Arzneimitteln, die CYP3A4-Substrate sind und bei denen eine verminderte Wirksamkeit erwünscht ist (zum Beispiel oralen Kontrazeptiva).

 

Die Zulassung basiert auf einer doppelblinden placebokontrollierten Phase-II-Studie mit 82 MCD-Patienten, die zuvor negativ auf HIV- und HHP-8 getestet wurden. Die Studie untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von Siltuximab in Kombination mit der bestmöglichen supportiven Therapie (Best Supportive Care, BSC) im Vergleich zu Placebo plus BSC. Als primärer Endpunkt war das dauerhafte Ansprechen der Tumoren und der Symptome über einen Zeitraum von mindestens 18 Wochen ohne ein Therapieversagen definiert. Diesen erreichten mit 34 Prozent signifikant mehr Siltuximab/BSC-Patienten als unter Placebo/BSC mit 0 Prozent.

 

Häufigste Nebenwirkungen sind Infektionen (einschließlich Infektionen der oberen Atemwege), Juckreiz und Hautausschlag. Die schwerwiegendsten Nebenwirkungen sind anaphylaktische Reaktionen.

 

  • vorläufige Bewertung: Sprunginnovation

 

 

Simeprevir

 

Mit Simeprevir (Olysio® 150 mg Hartkapslen, Janssen-Cilag) steht seit Juni ein weiterer Proteasehemmer zur Behandlung von Erwachsenen mit chronischer Hepatitis C zur Verfügung. Indiziert ist der neue Arzneistoff in Kombination mit anderen antiviralen Wirkstoffen für die Therapie bisher unbehandelter oder erfolglos vortherapierter Patienten, die mit dem Genotyp  1 oder 4 infiziert sind. Die Indikation beinhaltet Patienten mit oder ohne Zirrhose sowie Patienten, die zudem mit dem HI-Virus infiziert sind. Neben der Behandlung mit Peginterferon und Ribavirin (PR) steht für Erkrankte, für die Interferon nicht infrage kommt, ein interferonfreies Regime zur Verfügung.

Simeprevir ist ein spezifischer Inhibitor der HCV-NS3/4A-Serinprotease, der für die virale Replikation essenziell ist. Der Proteasehemmer wird hauptsächlich als 24- bis 48-wöchige Dreifachtherapie mit Peginterferon und Ribavirin eingesetzt, wobei Simeprevir nur in den ersten zwölf Wochen hinzugegeben wird. Die Kapsel sollte einmal täglich zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen werden. Wird die Einnahme innerhalb von zwölf Stunden nach dem üblichen Zeitpunkt vergessen, sollte der Patient die ausgelassene Dosis sobald wie möglich einnehmen. Ist der Zeitraum von zwölf Stunden überschritten, sollte der Patient erst wieder zum üblichen Zeitpunkt eine Kapsel einnehmen. 

Bei leichter oder mittelgradiger Nieren- oder Leberfunktionsstörung ist keine Dosisanpassung erforderlich. Gleiches gilt für Patienten mit HCV/HIV-1-Koinfektion. Da die Wirksamkeit von Simeprevir in Kombination mit Peginterferon alfa und Ribavirin bei Hepatitis-C-Patienten vom Genotyp 1a mit NS3-Q80K-Polymorphismus deutlich geringer ist als bei Patienten ohne Q80K-Polymorphismus, sollte vor Therapiebeginn ein Screening durchgeführt werden. Für Patienten mit nachgewiesenem Polymorphismus sollte eine Alternative erwogen werden.

 

In Ausnahmefällen (siehe Indikation) darf Simeprevir auch mit dem Polymerasehemmer Sofosbuvir (mit oder ohne Ribavirin) als zwölfwöchige interferonfreie Therapie eingesetzt werden. Ein optimales Therapieschema und eine optimale Behandlungsdauer sind noch nicht etabliert. Daten zu einer gemeinsamen Anwendung mit Telaprevir oder Boceprevir liegen nicht vor. Die gemeinsame Einnahme wird jedoch nicht empfohlen, da mit Kreuzresistenzen zu rechnen ist.

 

Simeprevir darf während der Schwangerschaft oder bei Frauen im gebärfähigen Alter nur angewendet werden, wenn der Nutzen das Risiko rechtfertigt. Da der Proteasehemmer Fehlbildungen des Fetus bin hin zum Tode verursachen kann, muss während der Einnahme eine zuverlässige Verhütungsmethode angewendet werden.

Kommentar

Von allem etwas

Mit Delamanid ist in kurzer Zeit der zweite neue Arzneistoff zur Therapie der Tuberkulose auf den Markt gekommen. Während das im Mai eingeführte Bedaquilin einen neuen Wirkungsmechanismus hat, greift Delamanid wie andere Stoffe hemmend in die Synthese der Zellwand ein. Trotzdem muss Delamanid aufgrund der hohen Resistenzsituation bei anderen Tuberkulostatika als Schritt­innovation bewertet werden.

 

Elosulfase alfa ist der erste Arzneistoff, der bei der seltenen lysosomalen Speicherkrankheit Mukopolysaccharidose Typ IVA (Morquio-Syndrom) eingesetzt werden kann. Da das Orphan Drug die Distanz im Sechs-Minuten-Gehtest der betroffenen Patienten signifikant steigert, kann es zu den Sprunginnovationen gezählt werden.

 

Mirabegron ist ein neuer Arzneistoff, der bei erhöhter Miktionsfrequenz oder Dranginkontinenz zugelassen wurde. Eine Indikation, die bisher durch Anticholinergika und Muskarinrezeptorantagonisten besetzt ist. Mirabegron dagegen ist ein selektiver β3-Rezeptoragonist, und damit eine neue Option für diese Indikation. Auch wenn der klinische Einsatz gegenüber den eingeführten Substanzen keine Vorteile bietet, sollte Miragebon als Schrittinnovation eingestuft werden.

 

Siltuximab ist ein spezifischer Antikörper gegen Interleukin-6, der bei der multizentrischen Castleman-Krankheit (MCD) überproduziert wird und zu einer Vergrößerung der Lymphknoten führt. Bisher war der therapeutische Ansatz bei dieser Krankheit die chirurgische Entfernung der Lymphknoten. Mit Siltuximab steht nun eine medikamentöse Alternative zur Verfügung, die als Sprunginnovation bewertet werden kann.

 

Mit Simeprevir ist nach Telaprevir und Boceprevir der dritte Proteaseinhibitor zur Therapie der chronischen Hepatitis-C-Infektion auf den Markt gekommen. Da keine Vergleichsstudien zu den beiden bereits am Markt befindlichen Stoffen vorgenommen wurden, kann ein klinischer Fortschritt gegenüber dem Bestandsmarkt nicht beschrieben werden. Trotzdem ist die neue Substanz als Alternative zu begrüßen, sollte allerdings als Analogprodukt eingeordnet werden.

 

Professor Dr. Hartmut Morck

Universität Marburg

Wichtig für die Beratung: Unter Simeprevir wurden Photosensitivitätsreaktionen beobachtet. Die Patienten sollten daher darauf hingewiesen werden, geeigneten Sonnenschutz aufzutragen und ausgiebige Sonnenlichtexpositionen zu vermeiden. Auch auf einen potenziell auftretenden Hautausschlag sollten die Patienten vorbereitet werden. Je nach Schwere, muss die Behandlung abgesetzt werden.

 

Die Liste der Wechselwirkungen ist wie bei den anderen Proteasehemmern lang. Da an der Biotransformation von Simeprevir hauptsächlich das Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4) beteiligt ist, wird prinzipiell die gemeinsame Anwendung mit Wirkstoffen, die CYP3A4 mäßig bis stark induzieren oder hemmen, nicht empfohlen. Die Aufnahme von Simeprevir in die Leberzelle wird durch OATP1B1 vermittelt. Inhibitoren dieses Transportproteins wie Eltrombopag oder Gemfibrozil können zu einem Anstieg der Plasmakonzentration von Simeprevir führen.

 

Die Zulassung basiert auf klinischen Studien mit mehr als 3800 Patienten. Die Phase-III-Studien QUEST-1, QUEST-2 und PROMISE untersuchten Wirksamkeit und Sicherheit von Simeprevir mit Peginterferon alfa und Ribavirin (PR) im Vergleich zu Placebo mit PR. An QUEST-1 und -2 nahmen 785 therapienaive Patienten mit chronischer Hepatitis-C-Infektion Genotyp 1 teil. Sie erhielten zwölf Wochen lang einmal täglich 150 mg Simeprevir oder Placebo plus Peginterferon alfa-2a (QUEST-1) oder Peginterferon alfa-2b (QUEST-2) und Ribavirin, gefolgt von einer zwölf- oder 36-wöchigen Therapie mit PR entsprechend den im Studienprotokoll definierten Kriterien. In der gepoolten Auswertung der QUEST-Studien lag die dauerhafte virologische Ansprechrate nach zwölf Wochen (SVR12) bei den mit Simeprevir behandelten Patienten bei 80,4 Prozent gegenüber 50,0 Prozent bei Therapie mit PR (p < 0.001).

 

Die placebokontrollierte Phase-III-Studie PROMISE untersuchte Wirksamkeit und Sicherheit von Simeprevir an Hepatitis-C-Patienten (n = 393), die auf eine frühere Interferon-Therapie (pegyliert oder nicht pegyliert) mit oder ohne Ribavirin einen Rückfall erlitten hatten. Die Patienten erhielten zwölf Wochen lang einmal täglich 150 mg Simeprevir oder Placebo plus Peginterferon alfa-2a und Ribavirin, gefolgt von einer zwölf- oder 36-wöchigen Therapie mit PR entsprechend den im Studienprotokoll definierten Kriterien. Die SVR12-Rate lag mit 79 Prozent im Simeprevir-Arm signifikant höher als die Ansprechraten im PR-Arm mit 36 Prozent.

 

Die unverblindete Phase-IIa-Studie COSMOS prüfte ein interferonfreies Regime mit Simeprevir (150 mg) in Kombination mit Sofosbuvir (400 mg) mit oder ohne Ribavirin. Eingeschlossen waren Probanden, die auf eine vorherige Therapie mit PR nicht angesprochen haben oder die für eine Interferontherapie nicht infrage kommen. 93 Prozent der Probanden erreichten bei zwölfwöchiger Therapie mit Simeprevir plus Sofosbuvir ohne Ribavirin eine anhaltende Virusfreiheit. Der Vorbehandlungsstatus sowie die Anwendung von Ribavirin hatten keinen Einfluss auf das Behandlungsergebnis.

 

Die häufigsten Nebenwirkungen sind Übelkeit, Hautauschlag, Juckreiz, Dyspnoe, Anstieg der Bilirubinkonzentration im Blut und Photosensitivitätsreaktionen.

 

  • vorläufige Bewertung: Analogprodukt 

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