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Onkologie

Teure Präparate für mehr Lebenszeit

25.06.2014  09:37 Uhr

Von Thomas Glöckner / Die großen Pharmaunternehmen setzen auf wachsende Geschäfte mit Medikamenten gegen Krebs. Die Aussichten sind gut: Immer mehr Menschen erkranken und die Hersteller können von hohen Margen profitieren.

Als Marijn Dekkers Anfang Juni im vornehmen The St. Regis Hotel in New York vor Investoren spricht, lenkt der Bayer-Vorstandschef das Gespräch schnell auf die Pharmasparte. Für den Topmanager, der seinen Vertrag gerade um zwei Jahre verlängert hat, waren nicht nur die 24 erfolgreichen klinischen Studien der vergangenen vier Jahren eine »bemerkenswerte Story«. Dekkers lässt auch keinen Zweifel da­ran, dass die 2 Milliarden Euro, mit denen sich die Leverkusener den norwegischen Hersteller Algeta einverleibt haben, gut angelegtes Geld sind – für »eine vielversprechende Therapie«.

 

Umsätze auf Spitzenniveau

 

Mit Algeta sichert sich Bayer den vollständigen Zugriff auf Xofigo®. Das Präparat für die Behandlung von Prostatakrebs mit Knochenmetastasen zählt zu fünf neuen Produkten, mit denen Dekkers schon 2014 rund 7,5 Milliarden Euro umsetzen will. 

 

Im ersten Quartal spülte Xofigo zwar erst 36 Millionen Euro in die Konzernkasse. Aber das, so Bayers Healthcare-Chef Olivier Brandicourt, »ist erst der Anfang«. Intern traut Dekkers dem Präparat »ein jährliches Spitzen­um­satz­po­ten­zial von mindestens 1 Milliarde Euro« zu. Xofigo soll gemeinsam mit dem Darmkrebs-Präparat Stivarga® und dem Nierenkrebsmittel Nexavar® die Rendite des Pharmageschäfts, die im ersten Quartal 2014 unter 31 Prozent gesackt war, wieder auf mindestens 33 Prozent hieven.

 

Das Beispiel Bayer zeigt, wohin die großen Pharmaunternehmen derzeit steuern. Mit dem Einstieg oder dem Ausbau des Krebs­ge­schäfts versuchen die Arz­nei­mit­tel­her­stel­ler, sich in Zeiten »restriktiver gesund­heits­po­li­ti­scher Rahmenbedingen«, wie es bei Bayer heißt, neue Geschäftsfelder zu erschließen, die wachsende Umsätze und Gewinne versprechen. So galt der vorerst abgeblasene Versuch des US-Konzerns Pfizer, den britischen Konkurrenten Astra-Zeneca zum stolzen Preis von rund 100 Milliarden US-Dollar zu schlucken, nicht zuletzt dessen Entwicklungspipeline für neue Krebsprodukte. »Weltweit laufen mehr als 1000 Entwicklungsprojekte«, bestätigt Branchenexperte Norbert Hültenschmidt von der Unternehmensberatungsgesellschaft Bain & Company. »Die Onkologie entwickelt sich zum wichtigsten Wachstumstreiber der Pharmaindustrie.«

 

Der medizinische Bedarf für wirksame Mittel gegen die bösartig wuchernden Zellen wächst rasant. Nach Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Zahl der jährlichen neuen Krebsfälle weltweit zwischen 2008 und 2012 von 12,7 auf 14,1 Millionen gestiegen – ein Zuwachs um 11 Prozent. »Dieser Trend wird sich fortsetzen«, erwartet WHO-Generaldirektorin Margaret Chan laut Weltkrebsreport 2014. Sie prognostiziert einen Anstieg der jährlichen Neuerkrankungen auf rund 25 Millionen Fälle innerhalb der nächsten 20 Jahre. Allein in Deutsch-land werden 2014 rund eine halbe Million Menschen neu an Krebs erkranken, erwartet das Deutsche Krebsforschungszentrum.

 

22 neue Wirkstoffe

 

Da kommt nicht nur viel Leid auf Patienten sowie Arbeit auf Chirurgen und Radiologen zu. Die Pharmaindustrie sieht auch gute Chancen für ihre Forschungs-, Entwicklungs- und nicht zuletzt Marketingabteilungen. Allein in den vergangenen zwei Jahren wurden laut Statistik des Marktforschungsunternehmens IMS Health 22 neue Wirkstoffe gegen Krebs eingeführt. Und: Krebsmedikamente gehören zu den teuersten Arzneimitteln. Der weltweite Umsatz mit diesen Präparaten nähert sich laut IMS-Health-Schätzungen der 100-Milliarden-Dollar-Grenze.

 

Das Geschäft mit Krebsmedikamenten verspricht schnelles Wachstum. So kalkuliert der Schweizer Weltmarktführer Roche damit, dass der aktuell 964 Milliarden Dollar schwere Pharmamarkt von 2012 bis 2017 jährlich um 5 Prozent wachsen wird. Für den Therapiebereich Onkologie, auf den immerhin zwei Drittel von Roches Pharmaumsatz entfällt, erwarten die Schweizer in den nächsten fünf Jahren allerdings weltweit ein Plus von 9 Prozent.

 

Unter Zugzwang

 

Aus diesem Kuchen wollen sich alle Anbieter ein möglichst großes Stück herausschneiden. Pfizer könnte zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen, Astra-Zeneca zu übernehmen. Die Amerikaner bleiben mangels eigener überzeugender Pipeline unter Zug-zwang. Schließlich hat sich Novartis erst im Frühjahr für 14,5 Milliarden Dollar das Krebsgeschäft von Glaxo-Smith-Kline geschnappt und ist damit näher an den Konkurrenten Roche he­rangerückt.

Auch der Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck will sich nicht darauf verlassen, dass sein Medikament Erbitux®, das in rund 90 Ländern für die Behandlung von Darmkrebs sowie Krebs im Hals- und Kopfbereich zugelassen ist, weiter zweitstärkster Um-satzlieferant der eigenen Pharmasparte bleibt.

 

Aktuell 21 Projekte führen die Darmstädter in den klinischen Testphasen I bis III. Allein in Phase III befinden sich zwei Arzneimittelkandidaten, die – wenn alles glatt läuft – Weichteilkrebs, Krebs der Bauchspeicheldrüse und Lungenkrebs bekämpfen sollen. Gemeinsam mit dem Biotechnologieunternehmen Morphosys forscht Merck an neuen Therapieformen, die das Immunsystem anregen sollen.

 

Boehringer Ingelheim zieht es ebenfalls ins Geschäft mit Krebserkrankungen. Über Umsatzerwartungen schweigt sich der Familienkonzern zwar aus. Allerdings ist man in Ingelheim fest entschlossen, »die Onkologie-Pipeline kontinuierlich weiter zu entwickeln«, so ein Sprecher.

 

Bestätigt sieht sich Boehringer durch Ergebnisse, die Anfang Juni auf dem US-amerikanischen Onkologie-Kongress ASCO in Chicago präsentiert wurden. Danach überlebten Lungenkrebspatienten im Mittel mehr als ein Jahr länger, wenn sie mit Giotrif® behandelt wurden. Das Präparat ist seit einem Jahr in den USA und inzwischen in weiteren 39 Ländern zugelassen.

 

Für den deutschen Markt hat im Mai der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Giotrif einen patientenrelevanten Zusatznutzen bestätigt. Die Behandlungskosten betragen mehr als 115 Euro pro Tag (Apothekenverkaufspreis). Da freut sich der nach Bayer zweitgrößte deutsche Pharmakonzern nun auf »faire und konstruktive Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung«, bestätigt ein Unternehmenssprecher.

 

Wachsender Umsatz der Pharma-Giganten bedeutet allerdings tendenziell höhere Kosten für die Gesundheitssysteme. In den USA sind die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben für ein Originalpräparat zur Krebsbehandlung laut IMS Health schon auf 10 000 US-Dollar geschnellt. In den wichtigsten europäischen Märkten sind es wegen gesundheitspolitischer Eingriffe wie Zwangsrabatten meist 20 bis 40 Prozent weniger. Dennoch hat beispielsweise die britische Gesundheitsbehörde National Institute for Health and Care Excellence im Frühjahr die Erstattung des Bayer-Krebsmedikaments Xofigo zumindest vorerst abgelehnt.

 

In Deutschland schlägt die Barmer-GEK über ihren Arzneimittelreport 2014 Alarm. Etliche der sogenannten Spezialpräparate hätten zwar »unübersehbaren therapeutischen Nutzen«. Allerdings »wachsen die Kosten deutlich schneller als die Nutzen- und Zusatz-nutzennachweise für diese Mittel«, beklagt Autor Gerd Glaeske.

 

Ausgaben für 2,6 Millionen Packungen schlugen für die Barmer-GEK mit 1,5 Milliarden Euro zu Buche. Macht einen Durchschnittspreis pro Packung von rund 575 Euro – oder Kosten für eine Tagesdosierung von 11,20 Euro. Für das Prostata-Krebsmittel Zytiga® kommt die Kasse sogar auf Tagesdosiskosten von 138 Euro. Unterm Strich entfallen auf 3 Prozent der Verordnungen ein Drittel der Arzneimittelausgaben.

 

Nur wenige Monate mehr

 

Offensiv begegnen einzelne Hersteller dem Vorwurf von Branchenkritikern, dass sich die Industrie zu sehr auf die Behandlung von Krebs im Spätstadium konzentriere, um durch kürzere Zeiten für die klinischen Studien möglichst lange vom Patentschutz für neue Präparate zu profitieren. Tatsächlich verlängern neue Behandlungsmöglichkeiten laut IMS Health die Überlebensdauer von Krebspatienten im Schnitt nur um zwei bis sechs Monate.

 

Aber: »Aus ethischen Gründen werden in Studien mit neuen Wirkstoffen immer zuerst diejenigen Patienten eingeschlossen, bei welchen bereits alle bekannten Therapie-Optionen versagt haben – also im Spätstadium«, betont eine Sprecherin des Krebsspezialisten Roche. »Für diese Patienten können einzelne Monate schon eine Menge bedeuten.« /

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