Auf Unterstützung angewiesen |
01.03.2017 09:14 Uhr |
Von Thomas Glöckner / Deutsche Biotechnologie-Unternehmen verbünden sich gern mit finanzstarken global agierenden Pharmakonzernen. Das bringt Geld für eigene Entwicklungen in die Kasse, bedeutet häufig aber auch Verzicht auf einen großen Teil der Wertschöpfung.
Sean Harper hatte gute Nachrichten. »Die Überschneidung von Immunologie und Onkologie kann einen bedeutenden Einfluss für Krebspatienten haben«, betonte der Entwicklungschef des amerikanischen Pharmakonzerns Amgen. »Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Immatics.«
Die Kleinen liefern das Know-how, die Großen das Geld: Erst in Zusammenarbeit mit großen Konzernen gelingt es vielen deutschen Biotech-Firmen, ihre neu entdeckten Wirkstoffe zur Marktreife zu bringen.
Foto: picture alliance/ Ulrich Baumgarten
Die im Januar verkündete Partnerschaft zwischen dem amerikanischen Pharmariesen und der deutschen Biotechnologie-Firma markiert einen der größten Deals der deutschen Biotech-Branche. 30 Millionen Dollar (rund 28 Millionen Euro) lassen sich die Amerikaner den Zugang zur Technologie des Tübinger Unternehmens vorab kosten. Künftig kassiert Immatics je Projekt erfolgsabhängige Zahlungen von bis zu 500 Millionen Dollar und Lizenzgebühren. Insgesamt kann sich das Geschäft für Immatics mit bis zu einer Milliarde Dollar auszahlen. Das Unternehmen setzt für die »bestmögliche Ausnutzung des Marktpotenzials« auf die Finanzkraft von Amgen. Dessen Umsatz lag 2016 bei 23 Milliarden Dollar (umgerechnet knapp 22 Milliarden Euro), der Gewinn bei 7,7 Milliarden Dollar (rund 7,2 Milliarden Euro).
Diese Kooperation, die die Entwicklung von Antikörpern als Krebsmedikament beflügeln soll, steht symptomatisch für das Geschäftsmodell deutscher Biotech-Unternehmen. Sie gehen – wie etwa auf dem Gebiet der Immunonkologie – mit Forschungserfolgen in Vorlage. Für klinische Studien, Zulassung, Produktion und Vertrieb der erwarteten Produkte sind sie aber regelmäßig auf die Unterstützung großer Pharma-Unternehmen angewiesen.
Zögerliche Investoren
2016 sind die Investitionen in deutsche Biotech-Firmen um 8 Prozent auf 505 Millionen Euro gesunken, stellt der Branchenverband Bio Deutschland fest. Börsennotierte Unternehmen konnten im Vergleich zum Vorjahr zwar 5 Prozent mehr Geld einwerben. Wagniskapitalgeber hielten die Branche aber eher knapp – und spendierten mit 260 Millionen Euro rund 17 Prozent weniger als 2015. Vor allem für junge Unternehmen sei es schwierig, »im Anschluss an die Gründungsfinanzierung Zugang zu Kapital zu erhalten«, analysiert Branchenexperte Stefan Höfer von der Deutschen Börse. So schaffte es 2015 mit Curetis und 2016 mit Brain nur jeweils eine deutsche Firma an eine europäische Börse. Thomas Taapken, Finanzvorstand bei Medigene in Martinsried, beklagt, dass deutsche Investoren »nicht so risikoaffin sind wie beispielsweise in den USA«.
Den rund 590 deutschen Biotech-Firmen bleibt daher kaum eine andere Wahl, als »mit Vorab-und Meilensteinzahlungen sowie Lizenzeinnahmen auf die entwickelten Produkte ein nachhaltig stabiles und weniger risikoreiches Geschäft aufzubauen«, bestätigt Peter Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands Bio Deutschland, auf Anfrage der PZ.
Wirkstoffe entwickeln und vermarkten
So vertraut Evotec auf die finanzielle Potenz seiner Kooperationspartner Bayer, Celgene und Sanofi. Das Hamburger Unternehmen will »bei eigenen Produktentwicklungen das finanzielle Risiko möglichst gering halten«, bestätigt eine Unternehmenssprecherin. Für die Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen wie ALS und Parkinson kooperiert Evotec seit Dezember 2016 mit der amerikanischen Celgene, deren Umsatz 2016 bei rund 11 Milliarden Dollar lag (gut 10 Milliarden Euro), der Gewinn bei etwa 2 Milliarden Dollar (rund 1,9 Milliarden Euro). Evotec profitiert von einer 45 Millionen Dollar (rund 42,5 Millionen Euro) schweren Vorabzahlung, möglichen Meilenstein-Zahlungen von bis zu 250 Millionen Dollar (rund 236 Millionen Euro) je Projekt und einer Umsatzbeteiligung von über 10 Prozent. Nach diesem Muster ist es Evotec gelungen, in den vergangenen Jahren schwarze Zahlen zu schreiben. Auch nach neun Monaten des vergangenen Jahres blieben von rund 121 Millionen Euro Umsatz gut 20 Millionen Euro Betriebsgewinn übrig.
Mitarbeiter der Biotech-Firma Evotec in Hamburg arbeiten an zellulären Tests zur Entwicklung neuer Arzneimittelkandidaten.
Foto: dpa/Fotoreport Evotex
Das Management von Morphosys verfolgt ebenfalls das Ziel, Wirkstoffe selbst zu entwickeln und künftig zu vermarkten. 2017 soll dafür die erste Phase-3-Zulassungstudie für einen Antikörper-Wirkstoff gegen Blutkrebs starten. Kurzfristig hoffen die Martinsrieder aber auf die Zulassung für ein Präparat des Kooperationspartners Janssen. Die Tochter des amerikanischen Johnson & Johnson-Konzerns, dessen Umsatz 2016 bei 71,9 Milliarden Dollar lag (rund 68 Milliarden Euro) und der 16,5 Milliarden Dollar Gewinn machte (15,6 Milliarden Euro), hat Ende 2016 bei der amerikanischen Food and Drug Administration FDA und der Europäischen Arzneimittelagentur EMA die Zulassung des Antikörpers Guselkumab gegen Schuppenflechte beantragt. Mit einer Entscheidung rechnet Morphosys bis Ende 2017, möglichweise aber auch schon im dritten Quartal. Dem Unternehmen könnte also 2017 die erste Medikamentenzulassung seiner Firmengeschichte gelingen – und zwar in einem wachsenden Markt. In den USA, Europa und Japan traut das Unternehmen dem Geschäft mit der Schuppenflechte ein Wachstum von 7,4 Milliarden Dollar (knapp 7 Milliarden Euro) im Jahr 2014 auf knapp 12 Milliarden Dollar (mehr als 11 Milliarden Euro) bis 2024 zu.
»Zusätzliche finanzielle Ressourcen« für die eigene klinische Entwicklung lockten Medigene-Chefin Dolores Schendel im vergangenen Herbst in eine Forschungs- und Entwicklungskooperation mit der amerikanischen bluebird bio. Mit 15 Millionen Dollar (mehr als 14 Millionen Euro) Zugangsgebühr zur Medigene-Technologie und Meilenstein-Zahlungen will Schendel die Entwicklung eigener Kandidaten für die Krebsimmuntherapie nun »mit Nachdruck vorantreiben«.
Auch Biontech verheiratete sich im vergangenen Herbst mit einem Pharmariesen. Die Mainzer wollen mit der Roche-Tochter Genentech individualisierte Krebsimpfstoffe auf den Markt bringen. Mit Vertragsabschluss- und kurzfristigen Meilensteinzahlungen strömen 310 Millionen Dollar (knapp 293 Millionen Euro) in die Firmenkasse. Klinische Entwicklung und zügigen Markteintritt »hätte Biontech alleine nicht bewältigen können«, räumt Sean Marett ein, der bei Biontech das operative Geschäft verantwortet. Allerdings betont Marett gegenüber der PZ, dass das Unternehmen zu 50 Prozent Eigentümer der entwickelten Produkte bleibt, diese also »nicht für die Pipeline eines Pharmaunternehmens auslizenziert wurden«.
Tatsächlich weckt der technologische Vorsprung der deutschen Biotech-Branche Begehrlichkeiten. So sicherte sich Mitte Februar 2017 die dänische Holding Novo rund 9 Prozent an Evotec. Fantasien über eine vollständige Übernahme von Evotec und bessere Marktchancen wegen der Novo-Beteiligungen am Diabetes-Spezialisten Novo Nordisk und dem Biotechunternehmen Novozymes bescherten der im TechDAX-notierten Evotec kräftige Kursgewinne.
Nachteile der Kooperation
Die enge Liaison der deutschen Biotech-Branche mit den Giganten der globalen Pharmabranche hat aber ihre Schattenseite. »Es findet ein Abfluss von Wertschöpfung statt«, beklagt Branchenlobbyist Heinrich. Vor allem bei einem Verkauf »können neue Entwicklungen zwar erfolgreich in den Markt gebracht werden. Geld verdient wird dann aber häufig in anderen Ländern.« Das kann Jobs kosten in einer Branche, die hierzulande immerhin rund 18 000 Menschen beschäftigt. Nach der Übernahme von Suppremol durch Baxter 2015 und die Firma U3 Pharma, die 2008 von Daiichi Sankyo geschluckt wurde, gingen in Deutschland Arbeitsplätze verloren. /