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Interaktionen

Orale Antikoagulanzien und nicht steroidale Antirheumatika

Datum 24.06.2008  09:43 Uhr

Interaktionen

<typohead type="3">Orale Antikoagulanzien und nicht steroidale Antirheumatika

Von Andrea Gerdemann, Nina Griese und Martin Schulz

 

Eine häufige Interaktionsmeldung in der Apotheke betrifft die potenzielle Interaktion zwischen oralen Antikoagulanzien und nicht steroidalen Antirheumatika. In der Literatur sind dazu widersprüchliche Daten zu finden. Was kann man aus den Daten für die Abschätzung der Relevanz dieser Interaktion in der Praxis ableiten?

 

Cumarine (Vitamin-K-Antagonisten) werden seit mehr als 50 Jahren erfolgreich in der Therapie und Prävention von venösen und arteriellen Thromboembolien eingesetzt. In Deutschland werden circa 500 000 Menschen aufgrund unterschiedlicher Erkrankungen mit Antikoagulanzien behandelt. Bei der Prophylaxe kardiogener Hirnembolien bei atrialen Thromben und bei arteriosklerotisch bedingten Koronarstenosen sind die Vitamin-K-Antagonisten die wichtigsten ambulant angewendeten Antikoagulanzien (1). Weitere Indikationen sind zum Beispiel schwere Linksherzinsuffizienz, künstlicher Herzklappenersatz, schwere Herzrhythmusstörungen, thromboembolische Ereignisse, wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Lungenembolien, Thrombosen sowie Thrombophilien.

 

In Deutschland werden hauptsächlich Phenprocoumon und in geringem Ausmaß Warfarin verordnet. Die Verordnungszahlen dieser Arzneimittel sind auch in 2006 weiter angestiegen (1). Cumarine wirken indirekt gerinnungshemmend. Ihre Wirkung beruht auf der Unterbrechung des Vitamin-K-Konversionszyklus durch Hemmung der Vitamin-K-Epoxid-Reduktase (2). Dies führt zu einer Verhinderung der γ-Carboxylierung der Proteine; es entstehen Gerinnungsfaktoren, die eine verminderte gerinnungsfördernde Aktivität aufweisen (3). Da die Gerinnungsfaktoren unterschiedliche Abbau- und auch Bildungshalbwertszeiten haben, wird eine volle Antikoagulation erst nach einer Latenzzeit von ein bis drei Tagen erreicht.

 

Publikationen zu Phenprocoumon und Warfarin ergaben keine Hinweise auf Unterschiede in Wirksamkeit oder bei den Risiken der Anwendung. Klinische Studien, die direkt einzelne Cumarine miteinander vergleichen, gibt es allerdings nicht (4).

 

Das Ausmaß der Wirkung wird durch genetische sowie andere endogene und exogene Faktoren beeinflusst (5). Ebenso haben zahlreiche Interaktionen mit Arzneimitteln unterschiedlich starke Einflüsse auf die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik der Cumarine (3). Aus diesen Gründen kann es zu starken inter- und intraindividuellen Schwankungen der Gerinnungshemmung durch orale Antikoagulanzien kommen. Das bedeutet für die Patienten, dass orale Antikoagulanzien individuell dosiert werden müssen und ein engmaschiges Monitoring der Gerinnungshemmung unerlässlich ist.

 

Antiphlogistika und Antirheumatika nahmen 2006 unter den verordnungsstärksten Arzneimittelgruppen zulasten der GKV mit 34,5 Millionen Verordnungen den dritten Rang ein (1). Hier dominieren die nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR). Unter diesen sind Diclofenac und Ibuprofen die vom Arzt am häufigsten verordnet NSAR (1). Auch in der Selbstmedikation stellen NSAR die am häufigsten abgegebenen Arzneimittel dar.

 

Der gemeinsame Wirkmechanismus aller NSAR besteht in der reversiblen Hemmung der Cyclooxygenase. Hierdurch wird die Bildung von Prostaglandinen und Thromboxan vermindert (6). Prostaglandine haben zwei Funktionen: Einerseits vermitteln sie Schmerz und Entzündungsprozesse, andererseits besitzen sie schleimhautprotektive Effekte im Magen-Darm-Trakt. Die Hemmung der Cyclooxygenase führt daher neben der erwünschten schmerzstillenden Wirkung häufig auch zu unerwünschten gastrointestinalen Nebenwirkungen. Etwa 1 Prozent der Patienten, die NSAR einnehmen, werden wegen Ulkuskomplikationen, wie Blutungen oder Perforationen in ein Krankenhaus eingewiesen.

 

Salicylate hemmen die Cyclooxygenase irreversibel. Die Interaktion zwischen Salicylaten und Cumarinen ist daher getrennt von der Interaktion mit NSAR zu diskutieren und ist nicht Bestandteil dieses Artikels.

 

Bei gleichzeitiger Dauerbehandlung mit oralen Antikoagulanzien und NSAR ist vor allem das Risiko für gastrointestinalen Blutungen erhöht (7-9). Aber auch andere Blutungskomplikationen, zum Beispiel Hämatome und Nasenbluten, sind in Einzelfällen beschrieben.

 

Mechanismus

 

Der zugrunde liegende Mechanismus dieser Interaktion ist nicht vollständig geklärt. Es werden dabei verschiedene, sich möglicherweise addierende Mechanismen diskutiert. Zu unterscheiden sind dabei das erhöhte Risiko für gastrointestinale Blutungen und die direkte Beeinflussung der Blutgerinnung.

 

Pharmakodynamische Interaktion: Alle NSAR haben eine mehr oder weniger hemmende Wirkung auf die schleimhautprotektiven Effekte im Magen-Darm-Trakt. Gastrointestinale Blutungen werden bei Einnahme von Cumarinen durch diese Magenschleimhaut-schädigende Wirkung der NSAR begünstigt (7, 8).

 

Darüber hinaus hemmen viele NSAR die Thrombozytenaggregation. Dieses kann zu Veränderungen in der Blutgerinnung führen. Allerdings wird die Prothrombinzeit oder die INR (International Normalized Ratio) in der Regel nicht beeinflusst (8).

 

Pharmakokinetische Interaktion: Warfarin wird in der Leber über Inhibitoren des Cytochrom-P450-Isoenzyms CYP2C9 metabolisiert. Über eine Hemmung dieses Isoenzyms kann es zu einem verminderten Metabolismus von Warfarin kommen. Phenylbutazon ist Inhibitor von CYP2C9. Weitere NSAR sind lediglich Substrate und keine Inhibitoren von CYP2C9. Zu den Substraten gehören zum Beispiel Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Celecoxib und Indometacin. Ob tatsächlich die gleichzeitige Einnahme von Warfarin und einem NSAR, das Substrat von CYP2C9 ist, zu einer Reduzierung des Warfarin-Metabolismus führt, muss in kontrollierten Studien noch nachgewiesen werden (7). Auf Phenprocoumon lassen sich die Daten zu Warfarin jedoch nicht direkt übertragen, da diese Substanz nur zu einem geringen Anteil durch CYP2C9 verstoffwechselt wird.

 

Auch eine Verdrängung der Cumarine aus der Plasmaproteinbindung wird teilweise beschrieben. Die Plasmaproteinbindung der Cumarine ist hoch. Phenprocoumon liegt zu mehr als 99 Prozent an Plasmaproteine gebunden vor, bei Warfarin liegt der gebundene Anteil bei etwa 90 Prozent (10). Trotz dieser hohen Plasmaproteinbindung ist das Ausmaß der Verdrängung der Cumarine eher gering und wird, wenn überhaupt, nur sehr selten zu einer klinisch relevanten Interaktion führen (7).

 

Relevanz

 

Werden NSAR und orale Antikoagulanzien in Kombination eingenommen, ist das Risiko für gastrointestinale Blutungen erhöht. In einer retrospektiven Studie wurde die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen aufgrund von blutenden gastrointestinalen Ulzera untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass bei gleichzeitiger Behandlung das Risiko für blutende gastrointestinale Ulzera viermal höher war im Vergleich zu Patienten, die nur eine der beiden Substanzen eingenommen hatten. Im Vergleich zu Patienten, die keine der beiden Substanzen eingenommen hatten, war das Risiko sogar 13-mal höher (7, 11). In einer Fall-Kontroll-Studie wurden Patienten (älter als 66 Jahre und mit Warfarin als Dauermedikation) untersucht, die mit oberen gastrointestinalen Blutungen ins Krankenhaus eingewiesen wurden. Die Patientendaten wurden bezüglich der gleichzeitigen Einnahme von nichtselektiven NSAR, Rofecoxib oder Celecoxib untersucht. Das Risiko für gastrointestinale Blutungen war sowohl bei der gleichzeitigen Einnahme von selektiven COX-2-Hemmern als auch bei nicht selektiven NSAR erhöht. Zwischen beiden Substanzgruppen konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden (12). Risikofaktoren für gastrointestinale Blutungen sind höheres Lebensalter, Ulkusanamnese, lange Dauer der Antiphlogistika-Behandlung, hohe Dosierungen und Multimorbidität (8).

 

Zu der Wechselwirkung zwischen Antikoagulanzien und NSAR, bezogen auf den Einfluss auf die Blutgerinnung, liegen widersprüchliche Aussagen vor. Die Prothrombinzeit oder die INR werden durch Ibuprofen und Diclofenac in der Regel nicht beeinflusst, sodass keine Anpassung der Cumarindosierung notwendig ist (7). Doch gibt es seltene Fallbeispiele, bei denen von einer Erhöhung der INR berichtet wurde.

 

Pharmakologische Untersuchungen zu Naproxen, Ketoprofen und Piroxicam zeigten auch keine klinische relevante Interaktion, allerdings ist die Datenlage hier limitiert (7).

 

Wichtig für die Apotheke

 

Die gleichzeitige Behandlung mit oralen Antikoagulanzien und Phenylbutazon sollte möglichst immer vermieden werden. Im Optimalfall wird auch die gleichzeitige Anwendung, insbesondere eine gleichzeitige Dauerbehandlung, von oralen Antikoagulanzien und den übrigen NSAR vermieden. Dieses ist allerdings nicht immer möglich. Wird eine gleichzeitige Anwendung verordnet, muss das Risiko individuell abgeschätzt werden. Geklärt werden müssen folgende Fragen:

 

Liegen Risikofaktoren vor und wenn ja, welche?

Welche (weiteren) Substanzen werden verordnet oder zusammen eingenommen?

Wie hoch ist die Dosierung und wie lang ist die Anwendungsdauer des NSAR?

 

Patienten, die sowohl orale Antikoagulanzien als auch NSAR über einen längeren Zeitraum zusammen einnehmen, sollten besonders sorgfältig in Bezug auf mögliche Blutungskomplikationen, insbesondere gastrointestinale Blutungen, beobachtet werden. Misoprostol oder Protonenpumpenblocker sollten bei Patienten unter einer Dauertherapie mit NSAR zur Prophylaxe gastroduodenaler Erosionen erwogen werden (8). Zu beachten ist hierbei, dass auch Protonenpumpenblocker in geringem Ausmaß die blutgerinnungshemmende Wirkung von oralen Antikoagulanzien verstärken können.

 

Eine Anpassung der Cumarindosierung bei gleichzeitiger Behandlung mit oralen Antikoagulanzien und NSAR ist normalerweise nicht notwendig. Insbesondere bei älteren Patienten mit Risikofaktoren erscheint allerdings eine Kontrolle der Blutgerinnungswerte zu Beginn der Therapie sinnvoll, um eventuell die Dosierung anpassen zu können.

 

Paracetamol gilt bei Cumarin-Patienten als das Analgetikum der ersten Wahl, da bei dieser Arzneisubstanz die Wahrscheinlichkeit einer Interaktion am geringsten ist. Allerdings kann auch hier ein Risiko, gerade bei hohen Dosierungen oder längerer Anwendung, nicht vollständig ausgeschlossen werden (13). Aus diesem Grunde sollten Patienten, die ein Cumarinderivat einnehmen, nicht mehr als 500 bis 1500 mg Paracetamol pro Tag einnehmen. Auch die Dauer der Anwendung sollte nach Möglichkeit begrenzt sein. Bei Dosierungen von 2 bis 4 g pro Tag konnten nach ein bis zwei Wochen Erhöhungen der INR beobachtet werden (14, 15). Als Analgetikum der zweiten Wahl kommt Ibuprofen infrage. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Dosierungen von 600 bis 2400 mg Ibuprofen pro Tag über einen Zeitraum von 7 bis 14 Tagen als relativ sicher einzustufen sind (16). Auch hier kann das Risiko für Blutungen allerdings nicht völlig ausgeschlossen werden. Damit sind Paracetamol und Ibuprofen auch die Arzneimittel der Wahl in der Selbstmedikation.

 

Literatur bei den Verfassern

 

 

Kontakt:

Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA

Jägerstraße 49/50

10117 Berlin

zapp(at)abda.aponet.de

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