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3-D-Technik

Tabletten drucken statt pressen

22.06.2016  08:49 Uhr

Von Annette Mende / Die in den USA verfügbare Levetiracetam-Tablette Spritam® hat eine Besonderheit. Sie ist die erste zugelassene Arzneiform aus dem 3-D-Drucker. Die Technik ermöglicht in diesem Fall ein schnelles Zerfallen der porösen Tabletten im Mund. Sie kann aber noch viel mehr.

Eine Spritam-Tablette enthält bis zu 1000 mg Levetiracetam und zerfällt bei Zugabe von etwas Flüssigkeit innerhalb von durchschnittlich 11 Sekunden. Hergestellt werden die Tabletten mittels des von Hersteller Aprecia patentierten ZipDose®-Verfahrens. Dabei werden einzelne Tropfen eines Klebemittels (Englisch: binder) auf eine dünne Schicht wirkstoffhaltigen Pulvers aufgebracht und trocknen gelassen. Dieser Vorgang wird sehr oft wiederholt, bis man am Ende eine aus vielen dünnen Schichten aufgebaute Tablette erhält.

Schicht für Schicht

 

In Europa ist Spritam nicht zugelassen. Bislang wurde vom Hersteller auch noch kein Zulassungsantrag an die Europäische Arzneimittelagentur gestellt, wie die PZ von dort erfuhr. Prinzipiell ist 3-D-Druck aber ein Herstellungsverfahren, das für die pharmazeutische Industrie attraktiv ist. Vor- und Nachteile der Technologie stellt eine Autorengruppe um James Norman von der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA in einem Übersichtsartikel im Fachjournal »Advanced Drug Delivery Reviews« vor (DOI: 10.1016/j.addr.2016.03.001).

 

Das ZipDose-Verfahren ist ein Beispiel für die von Norman und Kollegen so genannte binder deposition. Beim Festwerden der einzelnen Schichten laufen dieselben Mechanismen ab wie bei der Feuchtgranulation: Das Klebemittel bildet Brücken zwischen den Pulverpartikeln und es kommt zur Lösung und Rekristallisation von Partikeln. Der Vorteil dieses Verfahrens ist seine Ähnlichkeit mit der bei der Tablettenher­stellung vielfach eingesetzten Feuchtgranulation. Es eignet sich für zahl­reiche Wirk- und Hilfsstoffe.

 

Beim material jetting, dem 3-D-Druck per Tintenstrahl, kommen geschmolzene Polymere, UV-vernetzbare Harze, Lösungen oder Suspensionen zum Einsatz. Sie härten Tropfen für Tropfen aus und wachsen dabei wie Stalagmiten von unten nach oben. Mit dieser Methode ist es möglich, freie Strukturen zu drucken, allerdings setzen die infrage kommenden Materialien der Anwendbarkeit enge Grenzen. Ein Vorteil gegenüber der binder deposition ist die kleine Größe der Tropfen, die nur etwa 100 μm im Durchmesser beträgt. Dadurch ergibt sich eine höhere Auf­lösung der gedruckten Form. Ein denkbares Anwendungsgebiet in der Galenik ist der Druck wirkstoffhaltiger Mikro­partikel.

 

Drucken per Düsen

 

Extrusion ist das weltweit am meisten eingesetzte 3-D-Druckverfahren, das sich auch in der pharmazeutischen Industrie wachsender Beliebtheit erfreut. Dabei wird das zu druckende Material robotergesteuert durch Düsen gepresst (Englisch pressen: to extrude). Bei der besonders häufigen Schmelzschichtung (fused filament fabrication oder auch fused deposition modeling®) werden Polymerfäden verwendet, die in der Druckerdüse erhitzt werden. Die gedruckten Formen brauchen zunächst meist ein Stützgerüst, das später entfernt wird.

 

Kostengünstig, aber langsam

 

Nachteile des Extrusions-Verfahrens sind, dass es relativ langsam ist und dass die gedruckten Materialien erhitzt werden müssen und Lösungsmittel oder quervernetzende Chemikalien enthalten. Zudem ist es schwierig, das als Stütze mit ausgedruckte Material wiederzugewinnen. Diesen Nachteilen gegenüber stehen die vergleichsweise niedrigen Kosten. Die verwendeten Materialien weisen üblicherweise eine höhere Viskosität auf als diejenigen, die beim material jetting zum Einsatz kommen. So wurden mit Extrusions-Technik zu Forschungszwecken bereits aus Polylactiden, Polyvinylalkohol und Ethylenvinylacetat Tabletten mit modifizierter Freisetzungskinetik gedruckt.

Zu den weiteren 3-D-Druckverfahren gehören das Pulverbett-Schmelzen, bei dem beispielsweise mit einem Laser Pulverpartikel gezielt gesintert werden, und die auch als Stereolithografie bezeichnete Photopolymerisation. Sie eignet sich etwa zur Herstellung von Hydrogelen.

 

Allen Bemühungen zum Trotz ist der 3-D-Druck nach wie vor ein relativ langsames Verfahren. Eine 500 mg schwere Tablette mit einer Wichte von 1,0 braucht in der Herstellung mindestens 3 Minuten pro Druckerdüse. Eine normale Tablettenpresse schafft dagegen alle 2 Sekunden eine Tablette, unabhängig von der Größe. Verschiedene Ansätze zur Erhöhung der Druckgeschwindigkeit werden momentan getestet, darunter der Druck von weniger, aber dafür dickeren Schichten, der Druck von flachen Strukturen, die anschließend wie Origami zusammengefaltet werden, und der Druck auf einer rotierenden Drehscheibe, wodurch Stützen überflüssig werden, weil die Druckerdüse zum gedruckten Objekt in verschiedenen Winkeln positioniert werden kann.

 

Steuerbare Kinetik

 

Ein Vorteil des 3-D-Drucks ist dagegen die Kontrolle über die räumliche Zusammensetzung des Produkts. Bislang ist es häufig der Tablettenüberzug, der die Freisetzungskinetik steuert. Die räumliche Struktur einer Tablette genau zu designen, eröffnet dagegen neue Möglichkeiten zur verzögerten oder sofortigen Freisetzung sowie zur Herstellung von Kombinationspräparaten, so Norman und Kollegen. So lasse sich etwa durch radiale Gradienten diffusionskontrollierender Hilfsstoffe wie Ethylzellulose eine Freisetzungskinetik von nahezu nullter Ordnung erreichen. Der Einbau von Sollbruchstellen könne dazu genutzt werden, Teile der Arzneiform an verschiedenen Orten im Magen-Darm-Trakt abzulegen. Eine undurchlässige Membran, die der 3-D-Drucker von allen Seiten bis auf eine auf die Tablette aufdruckt, sorge für eine konstante Oberfläche, aus der der Wirkstoff freigesetzt wird. Auch sei es für einen 3-D-Drucker kein Problem, sechs oder mehr Schichten mit unterschiedlicher Freisetzungskinetik in einer Tablette übereinanderzupacken.

 

Höhere Flexibilität

 

Auch in puncto Personalisierung sind 3-D-Drucker Tablettenpressen über­legen. »Es ist einfacher, ein digitales Design zu verändern als die physische Ausrüstung«, bringen es die Autoren auf den Punkt. Die Herstellung von kleinen, personalisierten Chargen sei mit einem 3-D-Drucker ökonomisch machbar, was beispielsweise zur Herstellung von Arzneiformen für Kinder oder Ältere von Vorteil sein könnte. Möglich ist auch der Druck einer sogenannten Polypille, die sämtliche Medikamente eines Patienten in einer einzigen Ta­blette enthält. Für Arzneistoffe mit beschränkter Haltbarkeit komme ein 3-D-Druck »on demand«, also bei Bedarf, infrage. /

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