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Gesundheitsreform

Fast alle Sachfragen geklärt...

19.06.2006  14:46 Uhr

Gesundheitsreform

Fast alle Sachfragen geklärt, nur die wichtigste nicht

von Thomas Bellartz, Berlin

 

Die große Koalition ist nach eigener Auffassung bereits weit auf dem Weg zu einer Gesundheitsreform vorangekommen. Das jedenfalls sagt Unions-Fraktionsvize Wolfgang Zöller (CSU). Und doch wird die Klärung von Sachfragen nunmehr von politischer Taktik überlagert. Und von einem neuen Lauterbach-Papier.

 

Man habe sich zu mehr als 90 Prozent bei den Sachfragen verständigt, ließ Zöller am Montag in Berlin wissen. In der Verhandlungsgruppe zur Gesundheitsreform hat es demnach erhebliche Fortschritte gegeben. So positiv wie der Unions-Gesundheitschef in der Kommission sehen weder SPD- noch andere Unions-Mitglieder der Kommission die bisherigen Resultate. Schließlich dokumentiert auch Zöllers Bemerkung, bei der Finanzierung stehe noch gar nichts, auf welch schmalem Grat sich die Verhandlungen zurzeit bewegen.

 

Seit Montag ist er noch einmal erheblich dünner geworden. Denn während der Sitzung des Parteirats der SPD im Willy-Brandt-Haus wurde Parteichef Kurt Beck für seine Lobeshymnen auf das Fondsmodell regelrecht abgestraft. Nicht nur bei der Parteilinken, sondern zunehmend auch aus anderen Ecken der ehemaligen Arbeiterpartei regt sich Widerstand gegen allzu viel Konsens in der Gesundheitspolitik.

 

Keine Sympathie für den Fonds

 

Beck wurde am Montag in Berlin erstmals vehement daran erinnert, dass es immerhin ein Bundesparteitagsbeschluss war, die Bürgerversicherung einzuführen. Von verschiedenen Fondsmodellen war da nicht die Rede. Kaum vorstellbar, dass der Parteivorsitzende den Gesundheitsfonds, in welcher Ausgestaltung auch immer, zurzeit durch die Gremien oder an denen vorbei in die Koalitionsvereinbarung einbringen kann.

 

Schon am Sonntagabend im Koalitionsausschuss deutete sich an, dass es nicht mehr nur um die Details bei einer Gesundheitsreform geht. Je näher die Parteien in der großen Koalition einem Verhandlungsergebnis kommen, umso schwieriger scheint die Kommunikation mit der eigenen Basis und der eigenen Klientel. Die politische Taktik dominiert; der Sachverstand weicht allem Anschein nach zurück. Das jüngste Kind dieser Entwicklung ist der Kontrahierungszwang, dem nun die PKV unterworfen werden soll. So sollen sich zukünftig alle Menschen mindestens zu einem Basistarif bei der PKV versichern können. Es wird halt jeden Tag eine neue Sau am Spreeufer entlanggetrieben; zurzeit trifft es die PKV.

 

Und so dürfte sich am Schicksal der Privatversicherer auch für die Union festmachen lassen, wie groß die zukünftige Rückendeckung aus den eigenen Reihen ist. Aus den Ländern kommt unverhohlene Kritik, schon brechen erste Gräben auf. So ließ der mächtige Chef des Industrieverbandes BDI, Heinrich Thumann, am Wochenenanfang vernehmen, die Industrie sei mit der Regierung unzufrieden. Thumann spricht aus, was viele CDU/CSU-Anhänger denken: Die Partei entfernt sich bei den Konsensmodellen von einigen Grundprinzipien. Und auch die werden bei CDU wie CSU von Parteitagen festgezurrt.

 

So erklärt sich auch, dass die Bundeskanzlerin zwar pro Fondsmodell votiert, im nächsten Atemzug aber auch ankündigt, man wolle die PKV erhalten. Das kollidiert mit den Zielen der SPD, die die PKV zur Ader lassen will, um neue Finanzquellen für die GKV zu erschließen.

 

Letzteres ist umstritten, wird nicht nur von den privaten Versicherern selbst als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft. PKV-Hauptgeschäftsführer Volker Leienbach tingelt zurzeit durch Redaktionen und Talkshows und wird nicht müde, den Unterschied in der Finanzierung der beiden Systeme zu erläutern. Bei Ulla Schmidt (SPD) stößt er weiterhin auf taube Ohren. Die Gesundheitsministerin ist fest entschlossen, die PKV in ein Fondsmodell einzubeziehen und steuert einen Kurs, der der eigenen Partei gefällt, aber in der Koalition Konfliktpotenzial birgt. Klar ist, dass das Fondsmodell ohne Einbeziehung der PKV zweifelhaft ist. Zu viel Bürokratie vermuten Politik und Krankenkassen.

 

Wie verunsichert manche bereits sind, verdeutlicht das jüngste Papier, das Professor Dr. Karl Lauterbach dem Vernehmen erarbeitet haben soll. In der SPD-Spitze gab es auch am Montag wieder heftige Kritik für Lauterbach und dessen Auftritte in den Medien. Das stört den Rheinländer freilich nicht. Und sein Papier hat eine gute Chance, ab Donnerstag dieser Woche wieder auf den Verhandlungstisch der Verhandlunsgkommission zu kommen, die sich drei Tage lange mit der Reform beschäftigen will. Der Zeitplan ist eng: In zehn Tagen soll feststehen, wohin der Weg führt.

 

Lauterbach will den Beitrag von Arbeitnehmern zur Krankenversicherung nicht mehr mit der monatlichen Gehaltsabrechnung abbbuchen. Wenn der Beitrag vom Lohn auch beim Überweisungsprozess abgekoppelt werde, führe das zu einem erhöhten Kostenbewusstsein bei Arbeitnehmern, mutmaßt Lauterbach. Allerdings glaubt man in der Partei, dass viele Versicherte zukünftig regelmäßig mit Mahnung und Inkassoverfahren überzogen würden. Doch das will die Partei nicht. »Zu viel Bürokratie« wird abgewunken.

 

Solidarbeitrag der Privatversicherten

 

Der Arbeitgeberanteil wird laut Lauterbach-Papier in den Fonds als »Lohnsummernsteuer» eingespeist - mit einheitlichem Beitragssatz und ohne Beitragsbemessungsgrenze. Der Professor und Abgeordnete vertritt in dem Konzept Positionen, die er bislang gerne öffentlich abwehrte. Das Konzept sieht auch eine Einbeziehung der Privatversicherten mittels Solidarbeitrag und einen stufenweise steigenden Steueranteil vor, eine Solidaritätssteuer. Neben dem festgeschriebenen Arbeitgeberbeitrag zwischen 5 und 6 Prozent, müssen die Kassen einkommensabhängige Beiträge in den Fonds liefern.

 

Die Krankenkassen erhalten aus dem Fonds für ihre Versicherten Pauschalbetrag als Grundpauschale und einen »morbiditätsabhängigen Risikozuschlag«. Lauterbach will die Summe der Ansprüche einer Krankenkasse aus dem Gesundheits-Fonds mit der Summe der Ansprüche des Fonds an die einzelne Kasse verrechnen. »Die Differenz ist von der Kasse an den Fonds zu zahlen, beziehungsweise wird vom Fonds erstattet.« Bekomme die Kasse aus dem Fonds Geld zurück, dürfe sie einen Beitragssatz unterhalb des bisherigen Arbeitnehmerbeitrags anbieten, andernfalls müsse sie den Beitragssatz erhöhen. »Mit diesem System können Einheitsbeitragssätze der Krankenkassen vermieden werden, ohne dass kleine Kopfpauschalen ohne Sozialausgleich notwendig wären«, argumentiert Lauterbach. Kommt das System nicht mit dem Geld aus, dann müssten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge entsprechend erhöht werden.

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