Schmerzen individuell behandeln |
| 08.06.2010 13:00 Uhr |
Verschiedene Schmerzformen gehen auf unterschiedliche pathophysiologische Prozesse zurück und müssen daher unterschiedlich behandelt werden. Eine rationale Schmerztherapie stellte Professor Dr. Gerd Geisslinger von der Universität Frankfurt am Main vor.
Schmerzen können grob in drei Kategorien unterteilt werden: Den physiologischen Nozizeptorschmerz (»Warnschmerz«), den pathologischen Nozizeptorschmerz (»Entzündungsschmerz«) und den neuropathischen Schmerz. Bei der ersten Form handelt es sich um einen kurzen Schmerz aufgrund eines Reizes, der zu einer spontanen Muskelreaktion (»Wegziehen der Extremität«) führt.
»Dieser Warnschmerz ist lebensnotwendig und muss nicht behandelt werden«, sagte Geisslinger. Zu therapieren ist dagegen die zweite Form, der Entzündungsschmerz, der aufgrund von Gewebeschädigungen entsteht. Für die Erkennung von Schmerzreizen sind die sogenannten Nozizeptoren verantwortlich. Dies sind sensorische Nervenendigungen von A- oder C-Fasern, die im Gewebe auf verschiedene Noxen reagieren. Für eine Reihe von Noxen wie Hitze oder Säure weisen die Nozizeptoren jeweils spezielle Rezeptoren auf. Bei Aktivierung leiten sie das Schmerzsignal über das Hinterhorn des Rückenmarks in den Thalamus, von wo aus es in das Großhirn gelangt.
An der Entstehung von entzündlichen Schmerzen sind Immunzellen wie Makrophagen, neutrophile Granulozyten und Mastzellen maßgeblich beteiligt. Diese wandern in das geschädigte Gewebe ein und setzen dort Zytokine frei, die den Nozizeptor sensibilisieren, also die Schmerzgrenze herabsetzen. Ein Beispiel hierfür ist der Nerve Growth Factor, der an der Nozizeptormembran TRPV1-Kanäle phosphoryliert, was den Natrium- und Calciumeinstrom erhöht, wodurch leichter Aktionspotenziale ausgelöst werden können. Andere Zytokine bewirken eine Überexpression des Enzyms Cyclooxygenase 2 (COX2), das die Umwandlung von Arachidonsäure in Prostaglandine katalysiert. Diese Mediatoren bewirken ebenfalls eine Sensibilisierung des Nozizeptors. Wegen ihrer zentralen Rolle im Entzündungsgeschehen ist die Hemmung der Prostaglandinsynthese in der Schmerztherapie essenziell. Diese ist zum einen mit Glucocorticoiden zu erreichen, die die Überexpression der COX2 unterdrücken, und zum anderen mit nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAID). Diese hemmen die Cyclooxygenase. Dabei sind die traditionellen Substanzen, die beide Isoformen des Enzyms COX1 und COX2 hemmen, von den COX2-spezifischen Coxiben zu unterscheiden. »Die Hoffnung, dass Coxibe weniger Nebenwirkungen verursachen als die traditionellen Substanzen, hat sich nicht bewahrheitet«, sagte Geisslinger. Die neuen Wirkstoffe verursachen die gleichen Nebenwirkungen mit der gleichen Häufigkeit. Dabei bestünde eine Ausnahme: Gastrointestinale Komplikationen wie Ulzerationen oder Blutungen träten signifikant seltener auf. Je nach Risikoprofil des Patienten sei daher abzuwägen, ob er ein traditionelles Präparat oder ein Coxib erhalten sollte. Die gastrointestinalen Komplikationen ließen sich aber auch durch zusätzliche Gabe eines Protonenpumpenhemmers verhindern, was ökonomisch betrachtet keinen Unterschied zu den Coxiben mache.
Bei der Bewertung der Wirksamkeit von Schmerztherapien spiele die sogenannte »Number needed to treat« (NNT) eine Rolle. Diese gibt die Zahl von Patienten an, die mindestens mit einer Substanz behandelt werden müssten, dass ein Patient eine Schmerzreduktion um 50 Prozent erreicht. Diese NNT liegt für Codein in der Behandlung akuter Schmerzen bei 18 und damit nicht viel besser als Placebo, so der Referent. Sehr viel besser schnitten dagegen zum Beispiel Tramadol (8), Ibuprofen (3) und Diclofenac (2) ab. Während NSAID bei akuten Schmerzen gut wirken, sind sie in chronischen Situationen nicht effektiv. Dies hätten Umfragen unter chronischen Schmerzpatienten gezeigt. Die Erklärung hierfür könnte sein, dass PGE2, das ebenfalls durch COX2 gebildet wird, bei lang anhaltendem Schmerzreiz seine eigene Produktion durch einen negativen Feedback-Mechanismus herunterreguliert.