Innovationen in der Pipeline |
08.06.2010 13:04 Uhr |
Tinnitus, Osteoarthritis, Adipositas: Viele Erkrankungen können noch nicht effektiv behandelt werden. Einige vielversprechende Wirkstoffe, die sich in Phase III der klinischen Prüfung befinden, stellte Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Universität Frankfurt am Main vor.
Als »echten Fortschritt« für Menschen mit chronischem Tinnitus stufte er Neramexan ein. Bislang gebe es keine nachgewiesen effektive Dauertherapie für diese Patienten. Nach den aktuellen Hypothesen zur Pathogenese der quälenden Ohrgeräusche greift das Aminoalkylcyclohexan-Derivat kausal an.
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Man gehe heute davon aus, dass es beim chronischen Tinnitus neben einer Schädigung von Cochlea-Haarzellen zu einer Überaktivität bestimmter nicotinischer Acetylcholin-Rezeptoren (nACh) sowie glutamaterger NMDA-Rezeptoren kommt. Das gestörte Neurotransmitter-Gleichgewicht in der Hörbahn soll letztlich zum Tinnitus führen, sagte Schubert-Zsilavecz. Hier greife Neramexan als dualer Antagonist an NMDA- und nACh-Rezeptoren ein. In Phase-II-Untersuchungen war Neramexan deutlich besser wirksam als Placebo. Derzeit läuft die Phase III. Ob Neramexan auch Patienten mit akutem Tinnitus hilft, sei nicht getestet.
Naproxcinod
Eine »faszinierende Idee«, die in Studien aber nur geringe Vorteile zeigte: So bewertete der Referent den Wirkstoff Naproxcinod, der bei Patienten mit Osteoarthritis geprüft wird. Der schwer auszusprechende Name beschreibt das Wirkprinzip: Das Molekül leitet sich von Naproxen ab, die Endung »-cinod« steht für »COX-Inhibitor plus NO-Donator«. In vivo wird Naproxcinod rasch zu Naproxen gespalten. Dabei wird aus dem Nitrooxybutyl-Rest im Molekül Stichstoffmonoxid freigesetzt, das antiulcerogen wirkt und damit den schleimhautschädigenden Effekten des NSAR entgegentreten soll. Eine Studie, in der die zweimal tägliche Gabe von 750 mg Naproxcinod oder 500 mg Naproxen verglichen wurde, zeigte nach sechs Wochen nur geringe Vorteile bezüglich Ulcerationen.
Lorcaserin
Menschen mit Adipositas können bei der Gewichtsreduktion derzeit nur auf Orlistat zugreifen. Jedoch läuft bei der amerikanischen Behörde FDA ein Antrag auf Zulassung von Lorcaserin, informierte Schubert-Zsilavecz. Das Molekül sei ein zyklisches Analogon von Dexfenfluramin. Zur Erinnerung: Die Appetitzügler Fenfluramin und Dexfenfluramin wurden wegen unerwünschter Wirkungen, vor allem pulmonaler Hypertonie und Herzklappenschäden, vom Markt genommen. Für diese Effekte soll vor allem der Angriff an Serotonin-5HT2B-Rezeptoren verantwortlich sein. Der neue Wirkstoff habe ein deutlich besseres Selektivitätsprofil und wirke als 5HT2C-Agonist. Damit unterstütze er die Gewichtsabnahme. Die Chancen für eine Zulassung durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA beurteilte der Referent »vorsichtig zurückhaltend«.
Taspoglutid
Nach Exenatid und Liraglutid steht ein weiteres GLP-1-Analogon in den Startlöchern, um Patienten mit Diabetes mellitus die Blutzuckereinstellung zu erleichtern. Dank Einführung von synthetischen Aminosäuren in die Peptidkette hat Taspoglutid eine lange Halbwertszeit und muss nur einmal pro Woche, eventuell sogar nur zweiwöchentlich gespritzt werden. Das umfangreiche Studienprogramm zeigte vergleichbare Effekte wie bei Exenatid und Liraglutid.
Weitere Kandidaten
Mit Roflumilast könnte bald eine neue Option für Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) zur Verfügung stehen. Almorexant eröffnet eine neue Klasse von Hypnotika; Schubert-Zsilavecz räumte dem Orexin-Rezeptorantagonist große Chancen ein. Einen neuen Angriffspunkt hat auch Odanacatib, das als Kathepsin-K-Inhibitor die Knochenresorption durch Osteoklasten bremst und in Studien zur Erhöhung der Knochendichte bei Osteoporose-Patienten führte. Ob auch die Frakturrate sinkt, sollen jetzt Phase-III-Studien zeigen.