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Herzgesundheit

Leitlinie setzt auf Verbote

01.06.2016  09:28 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi / Schon eine geringe Reduktion der Risikofaktoren für Herzerkrankungen könnte deren Zahl dramatisch senken. Darauf verweisen die Autoren einer Leitlinie, die die aktuellen Empfehlungen für die Prävention von Herzerkrankungen zusammenfasst. Der Fokus liegt dabei auf der Bevölkerungsebene und gesetzgeberischen Maßnahmen.

In den vergangenen 30 Jahren ist die Zahl der Todesfälle durch kardiovaskuläre Erkrankungen in Europa stark gesunken, vor allem in einkommensstarken Ländern. Die Zahl der Fälle von arteriovaskulären Erkrankungen ist heute in den meisten europäischen Ländern nur noch halb so groß wie zu Beginn der 1980er-Jahre.

»Diese Entwicklung geht hauptsächlich auf Verbesserungen in der Therapie und eine Reduktion der Risikofaktoren Bluthochdruck, hohe Cholesterolspiegel und Rauchen zurück«, sagte Professor Dr. Massimo Piepoli vom Polichirurgico Hospital G. Da Saliceto in Piacenza, Italien. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der Leitlinie stellte die Neufassung auf einer Fachtagung in Florenz vor. Der positive Trend werde aber in Teilen dadurch wieder zunichte gemacht, dass sich Adipositas und Typ-2-Diabetes immer stärker ausbreiten und Lebensstiländerungen nicht nachhaltig sind.

 

Prävention wirkt

 

Dabei kann Prävention einiges bewirken, betonen die Autoren der auch im »European Heart Journal« veröffentlichten Leitlinie (DOI: 10.1093/eurheartj/ehw106). So habe eine britische Analyse ergeben, dass eine Absenkung des bevölkerungsweiten kardiovaskulären Risikos um 1 Prozent in Großbritannien jedes Jahr 25 000 Todesfälle verhindern könnte. Senken lässt sich das Risiko vor allem durch Lebensstilveränderungen und durch Einstellen der Blutdruck-, -zucker- und -lipidwerte. Im Einzelnen empfehlen die Autoren der Leitlinie, Tabakkonsum in jeglicher Form zu meiden – inklusive Passivrauchen. Zudem sollten alle gesunden Erwachsenen mindestens 150 Minuten pro Woche moderat körperlich aktiv sein. Bei höherer Intensität, etwa beim Joggen oder Tennisspielen, reichen 75 Minuten pro Woche. Am besten sei es, die Einheiten an körperlicher Aktivität regelmäßig über die Woche zu verteilen.

 

Auch die Ernährung spielt eine wichtige Rolle in der Leitlinie. Den Empfehlungen zufolge sollte die Energieaufnahme nicht höher sein, als zum Einhalten beziehungsweise Erreichen eines Body-Mass-Index zwischen 20 und 25 kg/m2 nötig ist. Dabei sollte der Anteil an gesättigten Fettsäuren unter 10 Prozent der aufgenommenen Gesamtenergiemenge liegen. Transfette, die hauptsächlich in verarbeiteten Lebensmitteln zu finden sind, sollten so weit wie möglich vermieden werden. Auch der Salzkonsum sollte niedrig gehalten werden und nicht mehr als 5 g pro Tag ausmachen. Ballaststoffe sollten dagegen reichlich zugeführt werden: Die Aufnahme sollte laut Leitlinie zwischen 30 und 45 g pro Tag liegen und möglichst aus Vollkornprodukten stammen. Zu einer herzgesunden Ernährung zählt auch eine Aufnahme von 200 g Obst, 200 g Gemüse und 30 g ungesalzenen Nüssen pro Tag sowie fettem Fisch ein- bis zweimal pro Woche. Alkoholische und gesüßte Getränke sollten gemieden werden.

Entscheidend für die Herzgesundheit sei auch, Übergewicht zu vermeiden und den BMI zwischen 20 und 25 kg/m2 zu halten. Der Blutdruck sollte auf unter 140/90 mmHg eingestellt werden und der HbA1c-Wert bei Diabetikern unter 7 liegen. Bei den Lipidwerten sollte vor allem das LDL-Cholesterol im Auge behalten werden. Abhängig vom Risiko gelten hierfür verschiedene Zielwerte. So sollte der LDL-Wert bei sehr hohem Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten unter 1,8 mmol/l (70 mg/dl), bei hohem Risiko unter 2,6 mmol/l (100 mg/dl) und bei niedrigem bis moderatem Risiko unter 3 mmol/l (115 mg/dl) liegen. Für den HDL-Cholesterolwert und Triglyceride gelten keine konkreten Zielwerte. Um die Adhärenz zu verbessern, sei es hilfreich, die Medikation so einfach wie möglich zu halten. Bei anhaltender Nicht- Adhärenz sei eine Verhaltenstherapie zu empfehlen.

 

Gesetzgeber ist gefordert

 

Durch die genannten Empfehlungen kann jeder Einzelne sein kardiovaskuläres Risiko positiv beeinflussen. Daneben sehen die Autoren der Leitlinie aber auch die Regierungen in der Pflicht, eine herzgesunde Umgebung zu schaffen. Sie fordern in der Publikation zum Beispiel härtere Gesetze zum Nichtraucherschutz. So sollte Rauchen in Schulen und jeglichen Einrichtungen zur Kinderbetreuung generell verboten werden, um die Kinder vor Passivrauchen zu schützen. Tabakwerbung sollte eingeschränkt werden und E-Zigaretten den gleichen Bestimmungen wie Tabakprodukte unterliegen.

 

Auch für die Lebensmittelindustrie fordern die Autoren eine schärfere Gesetzgebung, die auf eine gesündere Zusammensetzung von prozessierten Lebensmitteln hinwirken soll. Diese sollten weniger Salz, Zucker, Kalorien und ungesättigte Fettsäuren enthalten und eine limitierte Portionsgröße haben. Industriell erzeugte Transfette sollten vollständig beseitigt und die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel verboten werden.

 

Auch zur Steigerung der körperlichen Aktivität könnten Gesetzgeber nach Vorstellung der Leitlinien-Autoren tätig werden, beispielsweise durch eine Erhöhung der Benzin­steuer und Steuervergünstigungen für Mitgliedschaften im Fitnessstudio oder Sportverein. Außerdem sollte schon in der Städteplanung und bei Neubauten der Aspekt der körperlichen Aktivität bedacht werden.

 

Zu Fuß gehen statt Auto nutzen

 

Dass dies tatsächlich Auswirkungen hat, zeigt eine aktuelle Untersuchung aus Kanada. Forscher um Dr. Gillian Booth vom St. Michael’s Hospital in Toronto hatten ermittelt, wie fußgängerfreundlich einzelne Stadtteile von 15 Städten in Ontario sind, und diesen Wert mit der dortigen Adipositas- und Typ-2-Diabetes-Rate in Bezug gesetzt. Wie fußgängerfreundlich ein Bezirk war, hing unter anderem davon ab, wie viele Ziele wie Schule, Einzelhandelsgeschäfte, Bank oder Bibliothek zu Fuß in zehn Minuten erreicht werden konnten.

 

Es zeigte sich, dass im Jahr 2001 in den Stadteilen mit der höchsten Fußgängerfreundlichkeit 43 Prozent der Einwohner übergewichtig waren gegenüber 53 Prozent in den fußgängerunfreundlichsten Bezirken. Bis 2012 stieg die Rate in den fußgängerfreundlichen Stadtteilen geringfügig auf 45,5 Prozent, in den Bezirken, in denen man sich aufs Auto verlassen musste, dagegen auf 59 Prozent. Auch in der Diabetes-Inzidenz ließen sich deutliche Unterschiede erkennen, berichten die Forscher im Fachjournal »JAMA« (DOI: 10.1001/jama.2016.5898). /

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