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Typ-2-Diabetes

Zankapfel Insulin-Analoga

23.05.2007  14:47 Uhr

Typ-2-Diabetes

Zankapfel Insulin-Analoga

Von Sven Siebenand, Frankfurt am Main

 

Insulin-Analoga sind aus der Diabetes-Therapie nicht mehr wegzudenken. Für große Aufregung sorgte vergangenes Jahr der Gemeinsame Bundesausschuss, als er die kurz wirksamen Analoga aus der Arzneimittelversorgung durch die Krankenkassen bei Typ-2-Diabetes ausschloss. Nach wie vor ist diese Entscheidung in Fachkreisen höchst umstritten.

 

Hintergrund des Beschlusses war eine Nutzenbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Es hatte verkündet, dass die kurz wirksamen Insulin-Analoga bei Typ-2-Diabetes keinen Zusatznutzen gegenüber herkömmlichem Humaninsulin haben. Für Professor Dr. Theo Dingermann von der Universität Frankfurt am Main eine »überraschende Entscheidung«. Seiner Meinung nach ist die Frage der Erstattungsfähigkeit zu früh gestellt. Noch gebe es nicht genügend Daten. Vorteile der Insulin-Analoga könnten sich noch nach Jahren zeigen, wenn zum Beispiel ersichtlich wird, dass Spätfolgen seltener auftreten. »Der volkswirtschaftliche Schaden könnte später immens sein, wenn man diese Insuline bereits heute nicht mehr erstattet«, warnte Dingermann im Rahmen eines Expertenforums der Frankfurt Bio Tech Alliance. Es sei riskant, den wissenschaftlichen Fortschritt niedriger zu gewichten als den Unterschied von 150 Euro in den Jahrestherapiekosten pro Patient.

 

Für Dingermann ist Insulin das »Karriere-Protein« schlechthin. Die erste chemische Formel eines Protein-Moleküls, die erste Röntgenstruktur eines Protein-Hormons und die erste chemische Synthese eines Proteins: All das sei beim Insulin gelungen. Ein weiterer Meilenstein war die gentechnische Herstellung von Humaninsulin. Die Insulin-Analoga bezeichnete Dingermann als Insuline der nächsten Generation. Um der besonderen Situation Rechnung zu tragen, dass Biomoleküle sehr »artifiziell« appliziert werden, habe man die Aminosäuresequenz des Humaninsulins wieder verändert und gelangte so zu den Analoga. Dingermann erinnerte, dass Humaninsulin eine »ungünstige« Eigenschaft, nämlich die Ausbildung von Hexameren hat. Humaninsulin muss im Körper durch Diffusion erst wieder in Monomere zerfallen, um am Insulin-Rezeptor angreifen zu können. Das sei der Grund für den einzuhaltenden Spritz-Ess-Abstand.

 

»Eine geniale Idee« sei es gewesen, Proteine herzustellen, die diese Eigenschaft nicht haben. Gelungen ist das bei den Insulin-Analoga Insulinaspart (NovoRapid®), Insulinlispro (Humalog®) und Insulinglulisin (Apidra®). Durch wenige Änderungen in der Aminosäuresequenz entwickelten die Wissenschaftler Insuline, die monomer vorliegen. Im Falle von Insulinaspart wurde an einer Stelle Prolin durch Asparaginsäure ersetzt, im Falle von Insulinglulisin wurde Lysin einmal durch Glutaminsäure sowie Asparagin einmal durch Lysin ersetzt und beim Insulinlispro folgt an einer Stelle die Aminosäure Prolin der Aminosäure Lysin anstatt umgekehrt. Die Pharmakokinetik dieser Analoga erlaubt die Applikation unmittelbar vor den Mahlzeiten und erspart bei normalen Blutzuckerwerten den Spritz-Ess-Abstand.

 

Bei den lang wirksamen Insulin-Analoga Insulinglargin (Lantus®) und Insulindetemir (Levemir®) haben die Forscher ausgenutzt, dass Proteine am isoelektrischen Punkt die geringste Löslichkeit aufweisen. Humaninsulin hat seinen isoelektrischen Punkt im sauren pH-Bereich. Durch Einführung von basischen Aminosäuren wie Arginin sei es zum Beispiel bei Insulinglargin gelungen, den isolektrischen Punkt in Richtung des physiologischen pH-Wertes von 7,2 zu verschieben. Im Falle von Insulindetemir kommt es auch durch Albuminbindung über eine Fettsäure-Seitenkette zur Wirkverlängerung.

 

Review bescheinigte keinen Vorteil

 

Für Dingermann ist es nur plausibel, dass die Compliance bei Insulin-Analoga, die zum Essen injiziert werden, höher ist als bei Humaninsulin. Dem widersprach Universitäts-Dozentin Dr. Andrea Siebenhofer von der Medizinischen Universität Graz. Wichtiger als die Art des Insulins sei, dass die Patienten geschult sind, so die Medizinerin. Sie rate ihren Patienten, einen Spritz-Ess-Abstand immer dann einzuhalten, wenn es nötig ist, also bei hohen Blutzuckerwerten. Das gelte sowohl für Humaninsulin als auch für die Analoga. Siebenhofer sieht keinen Vorteil der Analoga bei Typ-2-Diabetes und behandelt ihre Patienten daher im Normalfall weiter mit Humaninsulin.

 

Siebenhofer befasst sich am EBM (Evidence Based Medicine) Review Center der Medizinischen Universität Graz mit der Nutzenbewertung von Medikamenten. Aufsehen in Deutschland erregte das Ergebnis eines Cochrane Reviews, das mit in die IQWiG-Nutzenbewertung einfloss. In der Bewertung von Insulinen zur Behandlung von Typ-2-Diabetes schnitt das preisgünstigere Humaninsulin gleich gut ab wie die teureren Analoga. »Hinsichtlich HBA1c-Wert, Hypoglykämien und Lebensqualität konnte keine klinisch relevante Überlegenheit der Analoga gegenüber dem Humaninsulin nachgewiesen werden«, so die Medizinerin. Aufgrund der Studienlage könne bisher keine Aussage zu mikro- und makrovaskulären Folgekomplikationen gemacht werden. Das systematische Review von Siebenhofer hatte 42 Studien berücksichtigt, das Update 49 Studien.

 

Patientenbedürfnisse mehr beachten

 

Für Dr. Johannes Knollmeyer, Sanofi-Aventis Deutschland, ist der Blick auf drei Zielparameter (HBA1c, Hypoglykämien und Lebensqualität) und wenige randomisierte kontrollierte Studien (RCT-Studien) für eine abschließende Bewertung unzureichend. Seiner Meinung nach müssten auch amtliche Texte untersucht werden. So fänden sich zum Beispiel in Fachinformationen wertvolle Informationen, die zur Nutzenbewertung herangezogen werden sollten. Gar nicht glücklich sei er mit der »metaanalytischen Ergebnisneutralisierung«.

 

Eindringlich warb er dafür, die Bedürfnisse des Patienten stärker zu berücksichtigen. Kurz wirksame Insulin-Analoga können zum oder auch nach dem Essen gespritzt werden. »Der Gewinn an Flexibilität wird sehr geschätzt von Diabetikern«, betonte Knollmeyer.

 

Bei den lang wirksamen Insulin-Analoga sei es ein »handfester« Vorteil, dass eine Injektion pro Tag meist ausreiche, während NPH-Insulin häufiger, manchmal viermal täglich injiziert wird. Erste Ergebnisse einer Langzeit-Studie mit Insulinglargin erwartet Knollmeyer im Jahr 2010.

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