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Krebstherapie

Das Geschlecht spielt keine Rolle

23.05.2016  15:13 Uhr

Von Annette Mende, Berlin / Ob ein Krebspatient ein Mann oder eine Frau ist, hat zurzeit noch keinen Einfluss auf die Therapie. Dabei gibt es durchaus geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wirkung von Krebsmedikamenten. Um diese berücksichtigen zu können, müsste aber zunächst einmal geklärt werden, wie sie zustande kommen.

Wenn es um Krebs geht, sind Frauen gegenüber Männern leicht im Vorteil. Sie erkranken etwas seltener und sterben auch nicht ganz so häufig an Krebs. »Über die Gründe dafür können wir nur spekulieren«, sagte Professor Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Onkologe und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, beim Bundeskongress Gendermedizin in Berlin. 

 

Verschiedene Faktoren wie eine unterschiedliche Exposition gegenüber Kanzerogenen – Stichwort Rauchen –, DNA-Instabilität, oxidativer Stress und Störungen des Immunsystems werden als Gründe für diese Differenz diskutiert. »Eine Rolle spielen sicher auch hormonelle Unterschiede zwischen Mann und Frau«, sagte Ludwig.

 

Ganz sicher nicht ausschlaggebend sind dagegen Unterschiede in der Arzneimitteltherapie, denn diese sind nicht vorhanden. »Mit Ausnahme von Carboplatin, das nach einer speziellen Formel dosiert wird, in die auch geschlechtsspezifische Parameter eingehen, dosieren wir Zytostatika nach Körperoberfläche«, sagte Ludwig. Das Geschlecht findet auch dann keine Berücksichtigung, wenn Unterschiede in der Pharmakokinetik belegt sind, wie es etwa bei 5-Fluorouracil (5-FU) der Fall ist.

 

Komplexe Zusammenhänge

 

Von diesem Zytostatikum weiß man seit Langem, dass die Clearance bei Frauen langsamer ist als bei Männern. Toxizitäten wie eine Entzündung der Mundschleimhaut, Knochenmarksveränderungen, Haarausfall, Übelkeit und Erbrechen sowie Diarrhö treten bei Frauen häufiger auf. Doch der Zusammenhang ist komplex, neben dem Geschlecht beeinflussen auch andere Faktoren wie das Alter und die Nierenfunktion des Patienten sowohl die Toxizität als auch die Wirkung von 5-FU. »Man kann den Arzneistoff deshalb nicht einfach bei Frauen niedriger dosieren, um dieselbe Wirkung mit weniger Toxizität zu erreichen«, erklärte Ludwig.

 

Eine ähnliche Problematik ergibt sich bei der Therapie von Kindern mit Krebs. »Pädiatrische Tumoren können wir heute in vielen Fällen heilen. Deshalb spielt die Spättoxizität der Therapie eine immer größere Rolle«, informierte Ludwig. Eine Arbeit, die 2007 im »Journal of Clinical Oncology« erschien, zeigt: Mädchen haben häufig unter den Spätfolgen einer Krebstherapie stärker zu leiden als Jungen. Die Schäden reichen von einer Minderung des IQ über Osteonekrosen bis zu einem verfrühten Eintritt der Pubertät (DOI: 10.1200/JCO.2007.11.2003).

 

Ludwig wies besonders auf die Kardiotoxizität von Anthracyclinen hin, die bei Frauen stärker ausgeprägt ist als bei Männern. »Diese Unterschiede sollten berücksichtigt werden«, so der Onko­loge. Allerdings sei man als behandelnder Arzt bei einem Kind, das man heilen könne, mit einer Dosisreduzierung sehr zurückhaltend. »Dazu braucht man valide Daten, die eine ebenso gute Wirksamkeit bei geringerer Toxizität belegen.« Diese seien momentan jedoch noch nicht vorhanden.

 

Forschungsbedarf sieht Ludwig auch bei erwachsenen Krebspatienten. In klinischen Studien mit Krebsmedikamenten seien Frauen nahezu immer unterrepräsentiert. Das zeige etwa eine Arbeit aus dem Fachjournal »Cancer« (DOI: 10.1002/cncr.24366). Demnach war der Frauenanteil in klinischen Studien mit Krebsmedikamenten in allen untersuchten Indikationen niedriger als der Anteil von Frauen am Patientenkollektiv mit der jeweiligen Krebsart. »Diese Arbeit wurde zwar bereits 2009 veröffentlicht, aber geändert hat sich daran nichts«, so Ludwig.

 

Zu wenig Daten

 

Nicht nur in Bezug auf die Frage nach geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Wirksamkeit und Sicherheit hält er die Datenbasis, auf der neue Krebsmedikamente zugelassen werden, für zu dünn. »In der Onkologie gibt in der Regel eine große Studie den Ausschlag für die Zulassung, obwohl es eigentlich mindestens zwei sein müssten.« Anders als etwa in kardiovaskulären Indikationen, bei denen ein neues Medikament vor der Zulassung an mehreren Tausend Patienten getestet werde, erhielten in der Onkologie im Schnitt weniger als 500 Patienten das Arzneimittel vor der Zulassung. Dabei stehe vor allem die Wirksamkeit im Vordergrund und weniger die Sicherheit. Auch geschlechtsspezifische Aspekte spielten eine nachgeordnete Rolle.

 

»Es ist allgemein bekannt, dass Frauen ein geringeres Körpergewicht haben als Männer und dass sich etwa die Fett- und Muskelmasse zwischen den Geschlechtern unterscheidet«, sagte Ludwig. Diese Unterschiede bedingten eine erhebliche Variabilität bei pharmakokinetischen und -dynamischen Parametern. »Was wir aber brauchen und nicht haben ist eine akzeptierte klinische Evidenz aus guten Studien, die dazu führt, dass diese Unterschiede bei der Therapie Berücksichtigung finden.« /

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