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Rx-Boni revisited

16.05.2017  15:17 Uhr

Von Elmar Mand, Marburg* / Muss der EuGH nach einer aktuellen BGH-Entscheidung (Urteil vom 24. November 2016 – I ZR 163/15 – Freunde werben Freunde) alsbald ein zweites Mal über die Unionsrechtskonformität des einheitlichen Abgabepreises urteilen?
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*) Professor Dr. Elmar Mand ist Gesundheitsrechtsexperte an der Universität Marburg. 

Ein alter Rechtsstreit zwischen der Apothekerkammer Nordrhein und der niederländischen Versand-Apotheke Doc Morris könnte das Thema Preisbindung für ausländische Versandapotheken noch einmal neu aufrollen: Der Bundesgerichtshof (BGH) musste kürzlich über eine Freundschaftswerbung von Doc Morris befinden, gegen die die Kammer 2014 vor Gericht gezogen war.

 

Doc Morris hatte deutschen Kunden damals 10 Euro und Rabatte auf OTC-Arzneimittel versprochen, wenn sie Bekannte dazu bringen, ein Rezept einzuschicken. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte in der Vorinstanz die vermeintlich klaren Fragen in einem sogenannten Teilurteil vorab ent­schieden und die Werbung mit einer 10 Euro Gutschrift verboten, die Rabattwerbung für OTC-Arzneimittel dagegen erlaubt.

 

Nachdem sowohl die Apothekerkammer Nordrhein als auch die Versand­apotheke gegen das Urteil Revi­sion eingelegt hatten, lag der Spielball beim höchsten deutschen Zivilgericht – dem BGH. Besonders brisant: Dieser verkündete seine Entscheidung kurz nach dem denkwürdigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rx-Preisbindung im grenzüberschreitenden Versandhandel am 19. Oktober 2016. Der BGH verwies den Fall aus prozessualen Gründen an das OLG Köln zurück. Die erst letzte Woche veröffentlichten schriftlichen Urteilsgründe sorgen nun jedoch für große Überraschung. Und sie geben Anlass zur Hoffnung, dass sich der EuGH alsbald nochmals mit der Frage beschäftigen muss, ob die Preisbindung ausländischer Versandapotheken mit der Warenverkehrsfreiheit vereinbar ist.

 

Was sagt der BGH zur Entscheidung des EuGH?

 

Der BGH zeichnet zunächst die frühere deutsche Rechtsprechung nach, wonach auch ausländische Versandapotheken an das deutsche Preisrecht gebunden sind. Durchgreifende unionsrechtliche Bedenken konnten die höchsten deutschen Gerichte in fundiert begründeten Entscheidungen nicht erkennen – anders als ein Senat des OLG Düsseldorf und in der Folge eine kleine Kammer des EuGH. Bereits diese breite Darstellung der eigenen Rechtsansicht lässt aufhorchen. Erst recht gilt dies jedoch für die daran anschließende Feststellung des BGH: Es sei »zweifelhaft«, welche Bedeutung dieser Rechtsprechung nach der Entscheidung des EuGH noch zukomme.

 

Offensichtlich geht der BGH nicht von einer endgültigen Klärung aus. In der Tat hat der EuGH nicht entschieden, dass ein einheitlicher Apothekenabgabepreis für Rx-Arzneimittel zwingend unionsrechtswidrig ist. Vielmehr monierte er nur, dass die Parteien und der deutsche Gesetzgeber keine ausreichenden Belege vorgebracht hätten, um die mit einer solchen Preisregelung verbundene Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen zu können. Die bloße Behauptung, der Einheitspreis sei zur Sicherung der flächendeckenden Apothekenversorgung geeignet und erforderlich, genüge nicht. Der Gesetzgeber müsse angesichts der Vermutung, dass freier (Preis-)Wettbewerb im Zweifel die Wohlfahrt der Verbraucher auch in qualitativer Hinsicht am besten gewährleiste, stichhaltigere Nachweise liefern.

 

Dass der BGH von diesen Anforderungen des EuGH an die Darlegungs- und Beweislast gerade in Zivilverfahren wenig hält, lässt sich den Urteilsgründen recht deutlich entnehmen. Dem ist uneingeschränkt beizupflichten. Die Auferlegung der Beweislast muss nicht nur die Parteien eines Zivilverfahrens überfordern. Sie widerspricht auch diametral der alleinigen Regelungszuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens (Art. 168 Abs. 7 AEUV). Um diese politische Zuständigkeit nicht durch Ermessenentscheidungen von Richtern anlässlich von Grundfreiheitsprüfungen zu nivellieren, hat der EuGH über viele Jahre hinweg einen echten Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten in gesundheitspolitischen Fragen anerkannt. Dass die kleine Kammer des EuGH diesen Wertungsspielraum plötzlich und für die Verfahrensparteien völlig überraschend durch hohe Beweisanforderungen an die Geeignetheit und Erforderlichkeit nationaler Regelungen wieder infrage stellt, erscheint skandalös. Dies sieht der BGH offenbar ganz ähnlich, wenn er nach dem Hinweis auf die nationale Regelungskompetenz hinzufügt, dass »diese Zuständigkeit der Mitgliedstaaten von der Union nicht nur formal, sondern auch im Geist einer loyalen Zusammenarbeit zu beachten ist« (BGH, Urteil vom 24. November 2016 – I ZR 163/15, Rn. 48)!

 

Muss der EuGH nochmals entscheiden?

 

Der BGH konstatiert anschließend, dass das EuGH-Urteil maßgeblich auf ungenügenden Feststellungen auch und gerade des vorlegenden OLG Düsseldorf beruhe. Es sei nicht ausgeschlossen, dass diese Feststellungen im vorliegenden Verfahren nachgeholt werden könnten. Daher müssten die Parteien nunmehr Gelegenheit erhalten, Argumente zur Eignung der arzneimittelrechtlichen Preisbindung für eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung vorzutragen. Einen denkbaren Ansatz liefert der BGH gleich mit: Es komme insbesondere in Betracht »eine amtliche Auskunft staatlicher Stellen, insbesondere der Bundesregierung« einzuholen (BGH, Urteil vom 24. November 2016 – I ZR 163/15, Rn. 49). Hierfü­r spricht nicht zuletzt, dass die Regierung ungeachtet der EuGH-Entscheidung bisher an der Kollisionsregel des § 78 Abs. 1 S. 4 AMG festgehalten hat, die auch ausländische Versandapotheken dem deutschen Preisrecht unterwirft. Alles in allem gibt der BGH für den weiteren Verfahrensgang einen Weg vor, der sehr deutlich in Richtung einer erneuten Vorlage an den EuGH weist.

 

Was ist nun zu tun?

 

Wie auch immer der EuGH die Beweisanforderungen nach der Kritik des BGH letztlich definiert: Es bedarf nun qualifizierter ökonomischer Studien zu den Auswirkungen der Preisregulierung für Arzneimittel auf die Versorgungsstruktur in Deutschland. Solche Studien sind derzeit in Arbeit. Unter anderen haben sich der Gesundheitsökonom Professor May, die Politikwissenschaftlerin Cosima Bauer und der Jurist Dr. Heinz-Uwe Dettling den aufgeworfen Fragen angenommen. In ihrem Gutachten spielen sie Folgeszenarien nach dem EuGH-Urteil durch. Entscheidend wird es aber letztlich sein, dass die Bundesregierung die neuen Studien würdigt und darauf basierend eine sorgfältig begründete Wertungsentscheidung trifft. Immerhin kommt dem Verfahren eine grundsätzliche Bedeutung zu: Es geht um nicht weniger als die Gewährleistung der in den EU-Verträgen festgehaltenen Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten bei der Organisation des Gesundheitswesens. Dementsprechend gehört die Frage, sollte es zu einer erneuten Vorlage zum EuGH kommen, nicht wieder nur vor eine kleine Kammer.

 

Was hat der BGH noch entschieden?

 

Der BGH hat das Verfahren an das OLG Köln zurückverwiesen, weil es den Unterlassungsanspruch wegen der angekündigten Rabatte und Prämien auf OTC-Arzneimittel vorschnell im Hinblick auf deren Preisfreiheit abgewiesen habe. Denn die versprochenen Prämien knüpften mittelbar (auch) an den Erwerb von Rx-Arzneimitteln an. Mit dieser zutreffenden Wertung unterstreicht der BGH die rigide Auslegung des einheitlichen Apothekenabgabepreises. Auch andere Vorteile als Bar- oder Naturalrabatte, die anlässlich des Verkaufs von preisgebundenen Arzneimitteln gewährt oder auch nur angeboten werden, verstoßen gegen das Preisrecht. Solche Vorteile können nicht zuletzt in Preisvorteilen auf OTC-Arzneimittel liegen, die im Hinblick auf Rx-Geschäfte versprochen werden. Dies gilt, und darauf müssen Apotheker beim Einkauf besonders achten, auch im Verhältnis zwischen Großhandel und Apotheken (siehe dazu bereits Mand, Fachanwaltskommentar Medizinrecht, 4. Aufl. 2916 § 7 HWG Rn. 38).

 

Was hat der BGH nicht entschieden?

 

Befremdlich knapp fällt die Entscheidung des BGH zu § 7 HWG aus. Zwar begründet der BGH ausführlich und überzeugend, dass die Vorschrift trotz des fehlenden Bezugs zu individuellen Arzneimitteln grundsätzlich Anwendung findet. Allerdings weist er zugleich darauf hin, »die Tatbestands­voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 HWG« könnten »bei einer Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel (…) nur bejaht werden, wenn festgestellt wird, dass ein Verstoß gegen das Arzneimittelpreisrecht vorliegt« (Urteil vom 24. November 2016 – I ZR 163/15, Rn. 17). Heißt dies, dass das Arzneimittelpreisrecht zumindest im Rx-Segment den alleinigen Maßstab für die Zulässigkeit auch von Gutscheinen, Zugaben und anderen Formen der Wertreklame bildet? Können also im Rahmen bestehender Preisspielräume – zum Beispiel im Groß­handel oder bei nicht preisgebundenen Rx-Arzneimitteln – statt Barrabatten andere Vorteile gewährt werden?

 

Richtig ist, dass ein generelles Verbot von Wertreklame keinen vernünftigen Sinn ergibt, soweit ein freier Preiswettbewerb mit zulässigen Barrabatten besteht. Denn derartige Formen der Wertreklame gelten heute als grundsätzlich legitime, keineswegs zwingend unlautere Mittel der Kundenbindung. Darauf weist der Verfasser seit Langem hin und fordert eine begrenzte Liberalisierung auch des § 7 HWG (GRUR 2017. 556). Dazu ist es bisher jedoch nicht gekommen. Für Heilmittel, einschließlich Arzneimittel, gilt deshalb weiterhin: Andere Zuwendungen als Rabatte sind praktisch nur bei Geringwertigkeit erlaubt. Der ergänzende Hinweis in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 und Nr. 2 Halbs. 2 HWG auf das Arzneimittelpreisrecht besagt nur, dass selbst geringwertige Zuwendungen verboten sind, wenn sie gegen das Preisrecht verstoßen. Umgekehrt müssen bei freiem Preiswettbewerb zusätzlich die allein aus dem HWG folgenden Beschränkungen für andere Arten von Zuwendungen beachtet werden.

 

Der BGH hätte in der vorliegenden Entscheidung deshalb konsequenterweise klären müssen, ob – wenn schon nicht das Arzneimittelpreisrecht – so doch wenigstens das Heilmittelwerberecht der Wertreklame ausländischer Versandapotheken entgegenstehen kann. Diese Frage ist, wie der Verfasser an anderer Stelle bereits ausführlich untersucht hat, zu bejahen (Mand A & R 2017, 3 ff.). Insbesondere ist eine solche Beschränkung nicht ihrerseits unionsrechtswidrig: Zum einen dient das Heilmittelwerberecht anderen Zwecken als das Preisrecht. Zum anderen sind jedenfalls grundlegende Beschränkungen der Wertreklame für Arzneimittel durch die EU-Richtlinie 2001/83/EG selbst vorgegeben. Ganz unabhängig von der Vereinbarkeit mit dem deutschen Preisrecht begegnet die konkrete Freundschaftswerbung von Doc Morris daher gravierenden rechtlichen Bedenken. /

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