Ein Kosten-Tsunami rollt auf uns zu |
14.05.2014 09:59 Uhr |
Von Stephanie Schersch, Berlin / In Deutschland leben immer mehr Menschen mit starkem Übergewicht. Dietrich Monstadt (CDU) fordert ein koordiniertes Vorgehen und mehr Aufklärung, um diese Entwicklung zu stoppen. Seit Anfang des Jahres ist er in der Unionsfraktion Berichterstatter für Adipositas und Diabetes. Im Bundestag ist Monstadt bislang der einzige Politiker mit einer solchen Funktion.
PZ: Übergewicht ist in Deutschland ein weitverbreitetes Problem. Heute leben hierzulande rund 15 Millionen Menschen mit Adipositas und ihre Zahl steigt. Warum werden die Deutschen immer dicker?
Monstadt: Das gesamtgesellschaftliche Umfeld hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Wir müssen heute in der Regel nicht mehr so schwere körperliche Arbeit verrichten wie früher, dadurch haben sich die natürlichen Bewegungsabläufe gewandelt. Auch das Freizeitverhalten insbesondere der Kinder ist heute ein anderes. In meiner Jugend hat Sport eine große Rolle gespielt, heute sitzen die Kinder lieber vor dem Computer. Ihre Bewegungsfreiheit wird auch durch äußere Umstände wie den zunehmenden Straßenverkehr eingeschränkt. Ich würde beispielsweise nicht wollen, dass meine Kinder in Berlin mit dem Fahrrad zur Schule fahren, weil das zu gefährlich ist. Zu einem Mangel an Bewegung kommen die Verlockungen der Lebensmittelindustrie hinzu. Mit einer wahren Werbeflut wollen uns die Unternehmen zum Verzehr ungesunder Produkte verführen. Dagegen kommen wir bislang kaum an und das muss sich unbedingt ändern.
PZ: Denken Sie dabei an Werbeeinschränkungen so wie es sie beispielsweise für Tabakprodukte gibt?
Monstadt: Ich persönlich kann mir das gut vorstellen. Die gesellschaftliche Akzeptanz gibt es dafür bislang aber noch nicht. Hier brauchen wir ein Umdenken. Adipositas ist eine viel größere Belastung für das Gesundheitssystem als es das Rauchen jemals war oder sein wird. Der Kosten-Tsunami, der auch durch Folgeerkrankungen wie Diabetes auf uns zurollt, wird kaum zu finanzieren sein, wenn wir nicht rechtzeitig gegensteuern.
PZ: Trotz dieser Erkenntnis gibt es in Deutschland bislang kein koordiniertes Vorgehen in Sachen Adipositas. Fettleibigkeit gilt hierzulande noch nicht einmal als chronische Krankheit, obwohl die WHO sie bereits im Jahr 2000 als eine solche definiert hat. Warum tut sich die Politik mit diesem Thema so schwer?
Monstadt: In der Politik erhält das Thema inzwischen mehr Aufmerksamkeit. Wir werden die Probleme aber nur lösen können, wenn wir sie ressortübergreifend angehen. Adipositas ist kein rein gesundheitspolitisches Problem, im Gegenteil: Wir müssen eingreifen, bevor die Menschen krank werden. Letztlich geht es darum, die Lebensgewohnheiten einer ganzen Gesellschaft zu ändern. Das ist das Bohren ganz dicker Bretter. Die größte Bedeutung kommt dabei der Anleitung von Kindern zu Sport und gesunder Ernährung zu.
PZ: Das lässt sich vermutlich nur in Zusammenarbeit mit den Schulen erreichen.
Monstadt: Ganz genau. Heute haben die Kinder meist eine Doppelstunde Sport in der Woche, das ist viel zu wenig. Wir brauchen vier Mal pro Woche Ausdauersport in der Schule, damit sich die Kinder richtig austoben können. Wenn Sie die Bewegung mit Unterrichtsblöcken etwa über gesunde Ernährung kombinieren, lässt sich viel erreichen.
PZ: Für solche Pläne bräuchten Sie natürlich die Unterstützung der Bundesländer, denn Bildung fällt in ihren Verantwortungsbereich.
Monstadt: Diese Unterstützung brauchen wir ohne Zweifel. Das gilt im Übrigen auch für das Präventionsgesetz, das wir in dieser Legislaturperiode endlich auf den Weg bringen werden. Ich hoffe sehr, dass wir damit die Präventionsmittel der Krankenkassen deutlich anheben können – von heute 5 Euro auf dann 12 Euro je Versicherten und Jahr.
PZ: In welche konkreten Vorhaben würden Sie das Geld gerne investieren?
Monstadt: Wichtig ist vor allem die breit angelegte Aufklärung über Ernährung und Sport. Viele Krankenkassen betreiben bereits eigene Programme in diesem Bereich, doch diese punktuelle Vorgehensweise bringt nicht viel. Wir brauchen eine bundesweite Kampagne, die flächendeckend und nachhaltig aufklärt. Die Koordination könnte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung übernehmen. Mit diesem Vorgehen haben wir bereits große Erfolge gegen das Rauchen erzielt. Von der Aufklärung abgesehen müssen wir aber auch über Veränderungen an anderer Stelle nachdenken. So könnte man Supermärkte dazu verpflichten, etwa Süßigkeiten anders zu präsentieren. Zigaretten werden dort heute auch nicht mehr offen angeboten, sondern müssen meist an der Kasse freigegeben werden. Das sind kleine Hürden, die in der Masse viel bewirken können.
PZ: Einige Experten fordern, besonders fett- oder zuckerreiche Lebensmittel mit einer gesonderten Steuer zu belegen. Dahinter steht der Gedanke, den Konsum dieser Produkte über das Portemonnaie der Bürger zu steuern. Wäre das ein Modell für Deutschland?
Monstadt: Ich würde das persönlich sehr begrüßen, halte es aber nicht für umsetzbar. Man kann allerdings versuchen, die Produktion von Lebensmitteln zu beeinflussen. Nicht alle Produkte müssen Massen an Fett und Zucker enthalten. So könnte man über Anreize für Hersteller nachdenken, damit diese gesündere Lebensmittel produzieren als bisher.
PZ: In Deutschland bislang nicht durchsetzen konnte sich die Lebensmittelampel. Sie soll dem Verbraucher durch Farben einen schnellen Überblick etwa über den Fett- und Zuckergehalt in Lebensmitteln ermöglichen. Ist das nicht genau die Transparenz, die häufig fehlt?
Monstadt: Ich bin mir nicht sicher, ob die Ampel der richtige Weg ist. Wer kein Bewusstsein für gesunde Ernährung hat, den schrecken auch farbliche Kennzeichnungen nicht vom Kauf entsprechender Produkte ab. Transparenz ist aber in der Tat sehr wichtig. Der Verbraucher muss umfassendere Informationen über die Inhaltsstoffe auf der Verpackung finden können und diese nicht erst mit der Lupe suchen müssen.
PZ: Menschen mit Adipositas, die eine Therapie in Anspruch nehmen wollen, haben häufig mit den Krankenkassen zu kämpfen. Kritiker bemängeln daher, Betroffene würden im deutschen Gesundheitswesen weitgehend allein gelassen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Monstadt: Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Kassen die Kostenübernahme teilweise verweigern, vor allem bei extremen Maßnahmen wie einer Magenband-OP. Aus meiner Sicht ist das absolut kontraproduktiv, denn langfristig trägt ein solcher Eingriff ja zur Kostensenkung bei.
PZ: Haben die Patienten denn keinen Rechtsanspruch auf Übernahme der Kosten?
Monstadt: Doch den haben sie, sofern ein Arzt die Notwendigkeit des Eingriffs bestätigt. Vor Gericht würden die Patienten gegen ihre Kasse also vermutlich gewinnen. Die Betroffenen kostet jedoch allein die Entscheidung für eine OP sehr große Überwindung. Wenn dann nur geringe Widerstände kommen, geben viele von ihnen auf. Bei einigen Krankenkassen scheint aber langsam ein Umdenken stattzufinden, ich hoffe sehr, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. /