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Leitlinie Vaskuläre Demenz

Fokus auf Prävention

03.05.2017  10:09 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler / Nach Morbus Alzheimer sind vaskuläre Demenzen die zweithäufigste Form der Demenz. Eine spezifische Therapie gibt es bislang nicht. Umso wichtiger ist die Behandlung vaskulärer Risikofaktoren, betont die neue Leitlinie zu vaskulären Demenzen.

Gefäßerkrankungen und Durchblutungsstörungen im Gehirn können eine vaskuläre Demenz (VaD) auslösen und tragen oftmals zu Verlauf und Fortschreiten einer Alzheimer-Demenz (AD) bei. Beide Demenzformen sind stark altersabhängig und nehmen zu. »Besondere Bedeutung erlangt die Gruppe der VaD durch die zunehmend bessere Behandelbarkeit der zugrundeliegenden vaskulären Erkrankungen und ihrer Risikofaktoren«, schreiben die Autoren der neuen S1-Leitlinie Vasku­läre Demenzen um Professor Dr. Martin Dichgans vom Klinikum der Universität München.

 

Häufig VaD neben Alzheimer

 

Zahlreiche krankhafte Gefäßprozesse können die Hirnfunktionen schädigen. Dazu zählen vor allem die Mikroangiopathie mit Lakunen (kleine Infarkte) und Nervenfaserschäden (Mark­lager­schäden) sowie einzelne und multiple Infarkte und Hirnblutungen. Die kognitiven Defizite sowie die neurologischen und psychiatrischen Symp­tome der Patienten variieren stark je nach Art und Ort der Schädigung.

 

Heutzutage nimmt man an, dass vaskuläre Schäden auch die Manifes­tation einer AD fördern. Bei vielen, vor allem älteren Patienten liegen gemischte Pathologien vor, also vaskuläre Ver­änderungen neben einer Alzheimer- Pathologie. Angaben zur Häufigkeit der »gemischten Demenz« variieren je nach Studie zwischen 20 und 50 Prozent.

 

Für die Diagnose einer VaD ist die Kombination entscheidend: Nachweis einer kognitiven Beeinträchtigung oder Demenz sowie eines Schlaganfalls oder einer vaskulär bedingten Hirnschädigung. Die Leitlinienautoren plädieren dafür, dass bei Verdacht auf eine Demenz mindestens eine bildgebende Untersuchung, in der Regel ein Kernspintomogramm (MRT), erfolgen sollte.

 

Häufig gehen Schlaganfall und Demenz Hand in Hand. Im Fokus stehen die behandelbaren Risikofaktoren: Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörung, Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheit, Herz- und Niereninsuffizienz sowie vorangegangener Schlaganfall. Rauchen, Bewegungsmangel und Übergewicht erhöhen das Risiko weiter.

 

Schlaganfälle verhindern

 

Derzeit gibt es laut Leitlinie keine zugelassene, wissenschaftlich belegte Pharmakotherapie der VaD. Die Behandlung fokussiert auf die Sekundärprophylaxe, um ein Fortschreiten der kognitiven Defizite durch (Re-)Infarkte, Blutungen oder fortschreitende vaskuläre Läsionen aufzuhalten. Vor allem die Behandlung der Hypertonie und von Vorhofflimmern kann die Inzidenz eines erneuten Schlaganfalls senken und wirkt sich damit wahrscheinlich auch positiv auf die Progression einer be­stehenden VaD aus.

 

Das frühere Konzept eines »Bedarfs­hochdrucks bei zerebrovaskulärer Insuffizienz« ist überholt. Wichtig ist eine schrittweise Blutdrucksenkung, damit sich der Körper an den sinkenden Druck im System anpassen kann. Da eine VaD nicht immer progredient ist und die kognitiven Funktionen sich auch verbessern können, sind laut Leitlinie Reha-Maßnahmen vor allem nach Schlaganfall sinnvoll.

 

Zum Stellenwert der Antidementiva verweist die neue Leitlinie auf die S3-Leitlinie Demenzen vom Januar 2016. Jedoch ist die Studienlage zu Acetylcholinesterase-Hemmern (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) und dem NMDA-Antagonisten Memantin bei VaD-Patienten deutlich dünner als bei AD. Es gibt jedoch Hinweise für eine Wirksamkeit, sodass eine Behandlung (off-label) im Einzelfall erwogen werden kann. Thrombozytenfunktionshemmer wie ASS sind nicht zur primären Demenzbehandlung indiziert.

 

Datenlage für Mischformen

Anders sieht es aus bei Misch­formen. Gemäß beider Leitlinien ist es gerechtfertigt, Patienten mit einer gemischten Demenz entsprechend der AD zu behandeln. Insbesondere für Galantamin gebe es positive Berichte bei der gemischten Demenz. Auch Memantin, das günstige Effekte bei Patienten mit moderater bis schwerer AD gezeigt hat, sollte zum Einsatz kommen.

 

Für den Ginkgo Biloba-Extrakt EGb 761 gebe es Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit auf kognitive Funktionen und Verhaltenssymptome bei leichter bis mittelschwerer Demenz sowohl bei AD als auch VaD, schreiben die Autoren. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass Nutzen und Nebenwirkungen jeder Therapie gründlich abzuwägen sind.

 

Wenig Evidenz für Psychopharmaka

 

Im Alltag besonders belastend sind neuropsychiatrische Symptome bei Demenz. Wie bei allen Demenzkranken sollte vor der Gabe von Psychopharmaka immer geprüft werden, ob ein äußerer Stressor oder innerer Auslöser besteht, der behoben werden kann. Dies können zum Beispiel Schmerz, Hunger, Dehydratation, Schlafstörung, Abführprobleme, internistische Erkrankungen, zwischenmenschliche Konflikte oder ungeeignete Medikamente sein. Ist womöglich eine begleitende Alzheimer- oder Lewy-Körperchen-Demenz vorhanden, sollte zunächst ein Acetylcholinesterase-Hemmer angesetzt und in der Dosis aufgebaut werden.

 

Für Patienten mit allein vaskulärer Demenz reiche die Evidenz zu Psychopharmaka für wissenschaftlich fundierte und differenzierte Empfehlungen nicht aus, betonen die Autoren und verweisen auf Erkenntnisse bei AD-Patienten. Danach können Psychopharmaka Symptome wie Wahn, Angst, Reizbarkeit, Halluzinationen, Unruhe, Schlafstörung und Depression lindern. Vorsicht ist geboten bei allen anticholinerg wirksamen Medikamenten, Benzodiazepinen, Opioid-Analgetika und klassischen Neuroleptika. Die Dosierungen müssen niedrig gewählt werden. /

 

Die Leitlinien sind online unter www.awmf.org abrufbar: S1-Leitlinie Vaskuläre Demenzen, Stand: 15. 11. 2016 , gültig bis 14. 11. 2021, Registernummer 030–038; S3-Leitlinie Demenzen, Stand: 24. 1. 2016, gültig bis 23. 1. 2021, Registernummer 038–013

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