Beweisgestützt beraten |
30.04.2013 20:28 Uhr |
Der Begriff evidenzbasierte Medizin hat sich mittlerweile herumgesprochen. Das kann man von der evidenzbasierten Pharmazie nicht unbedingt behaupten. Apothekerin Judith Günther von PharmaFacts erklärte, was damit genau gemeint ist, warum die beweisgestützte Pharmazie so wichtig ist und welches Potenzial sie birgt.
Für Günther sind Apotheker Heilberufler. Sie räumte zwar ein, dass kaufmännisches Denken für den Betrieb einer Apotheke wichtig sei, den Fortbestand des Apothekerberufs könne es jedoch nicht sichern. Die Referentin betonte, dass viele Menschen eine Beratung in der Apotheke wollen. Für Laien sei es kaum möglich, bei der Vielzahl unterschiedlicher Präparate auf dem Markt den Überblick zu behalten. Günther erinnerte daran, dass der Apotheker verpflichtet ist, seine Kenntnisse bei der Arzneimittel-Empfehlung anzubringen. Besonders wichtig sei das zum Beispiel im Bereich der Selbstmedikation. Hier sei der Apotheker die einzige Fachkraft mit akademischer Ausbildung, die vor der Arzneimittel-Anwendung steht, so Günther. Sie regte an, sich damit zu beschäftigen, auf welchen Grundlagen die eigenen Arzneimittel-Empfehlungen beruhen. Ehemals Erlerntem? Persönlichen Erfahrungen? Empfehlungen von außen, die vielleicht durch ökonomische Zwänge getriggert sind? Die Apothekerin plädierte dafür, die Empfehlungen auf eine rationale Basis zu stellen. »Allgemein Bekanntes muss nicht stimmen«, sagte Günther. Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehöre der Zweifel an Hypothesen und seine Klärung. Dazu würden klinische Studien und deren Resultate benötigt. Diese könnten dann als Basis für eine begründete Empfehlung herhalten. Günther: »Evidenzbasierung ist keine Option für Empfehlungen, sondern absolutes Muss.«
Judith Günther appellierte an die Apotheker, sich im Deutschen Netzwerk für evidenzbasierte Medizin zu engagieren.
Die Apothekerin berichtete, dass bereits im Jahr 2000 das Deutsche Netzwerk für evidenzbasierte Medizin (www.ebm-netzwerk.de) gegründet wurde, um Konzepte und Methoden der evidenzbasierten Medizin in Praxis, Lehre und Forschung zu verbreiten und weiterzuentwickeln. Verschiedene Professionen seien hierin vernetzt. Günther ist Sprecherin des Fachbereichs Evidenzbasierte Pharmazie. Sie bedauerte, dass sich bisher nur sehr wenige Pharmazeuten im Netzwerk engagieren und rief die Apotheker dazu auf, zu den Tagungen zu kommen, um sich mit Ärzten zu vernetzen. »Wir brauchen die interprofessionelle Vernetzung.«
Günther hat ein genaues Bild von der gesellschaftlichen Rolle des Apothekers vor Augen. So müssten Apotheker stärker als Arzneimittelexperten wahrgenommen werden, die Patienten und Ärzte kompetent und unabhängig durch den Dschungel des deutschen Arzneimittel-Marktes führen, erklärte die Pharmazeutin. »Apotheker müssen mit ihrer Beratung ferner eine Gegenöffentlichkeit darstellen«, so Günther. Nicht Rundfunk und Fernsehen, sondern der kompetente und überzeugende Rat aus der Offizin müsse Entscheidungsbasis bei der Arzneimittel-Auswahl sein.
Günther betonte, dass die Vermittlung von Methoden der evidenzbasierten Medizin in Aus-, Fort- und Weiterbildung zunehmen muss. Trotz der vielfältigen Aufgaben, die das Apothekenpersonal im täglichen Apothekenbetrieb zu erfüllen hat, hält Günther es dennoch für möglich, sich auch in der Offizin mit evidenzbasierter Pharmazie zu beschäftigen. Das könne zum Beispiel in Form eines pharmazeutischen Konsils geschehen, durch das alle Kollegen informiert werden. Wichtig sei die Bereitstellung valider Quellen in der Apotheke, etwa ein Zugriff auf die Cochrane-Library. Darüber hinaus können sich Günther zufolge auch pharmazeutische Qualitätszirkel dafür eignen, sich gemeinsam über evidenzbasierte Pharmazie Gedanken zu machen und sich auszutauschen. /
Evidenzbasierte Pharmazie (EbPharm = beweisgestützte Pharmazie) ist der ausdrückliche und gewissenhafte Gebrauch der gegenwärtig besten externen wissenschaftlichen Belege für die Beratung individueller Patienten in der Arzneimittelversorgung. In der Praxis bedeutet dies die Zusammenführung der individuellen Erfahrung und der Kenntnisse über den Patienten mit der bestmöglichen Evidenz aus Studien.