Struktur und Morphologie einer Barriere |
23.04.2007 13:58 Uhr |
Struktur und Morphologie einer Barriere
Von Reinhard H. H. Neubert und Roger Wepf
Das Ziegelstein-Mörtel-Modell gibt ein anschauliches Bild vom Aufbau der Hornschicht der Haut. Doch die Resultate moderner elektronenmikroskopischer Verfahren bringen das Modell ins Wanken. Vermutlich sichern vier Strukturen die Barrierefunktion und Stabilität des Stratum corneum. Faszinierende Einblicke ins Innere der Hautbarriere.
Die menschliche Haut besteht aus drei Schichten, der Epidermis, Dermis und Subcutis, sowie den Hautanhangsgebilden wie Haarfollikel, Talg- und Schweißdrüsen. Die Aufgabe der Epidermis ist es, die äußerste Hautschicht als Hautbarriere ein Leben lang kontinuierlich zu erneuern.
Diese Hautbarriere, auch Hornschicht genannt, ist die Grenzfläche des Organismus zu seiner Umwelt und dient als Barriere sowohl für Fremdstoffe von außen als auch für Wasser und kleine Moleküle von innen nach außen. Somit muss die Hautbarriere den Körper einerseits vor äußeren invasiven und irritierenden Einflüssen schützen und gleichzeitig den Wasserhaushalt für die lebensnotwendige Homöostase aufrecht erhalten. Diese in sich widersprüchlichen Funktionen übernimmt eine hoch komplex organisierte und äußerst anpassungsfähige, biologisch tote, jedoch dynamische 10 bis 15 µm dünne Hautschicht. Diese Hornschicht (Stratum corneum, SC) besteht aus geschickt angeordneten, abgestorbenen verhornten Keratinozyten, sogenannten Corneozyten, und bildet eine der effizientesten Barrieren in der Biologie.
Bislang kann man eine große Zahl von Arzneistoffen nicht dermal oder transdermal anwenden, da diese das Stratum corneum der menschlichen Haut nicht überwinden können. Lediglich Wirkstoffe mit einer ausreichenden Lipophilie sind in der Lage, in und durch die Hornschicht zu penetrieren. Aus diesem Grund unternahmen Forscher erhebliche Anstrengungen, um die Struktur des SC sowohl auf morphologischer als auch molekularer Ebene zu erforschen. In den letzten Jahren wurden dabei äußerst interessante Resultate erzielt, die neue Einblicke in die Struktur der Hautbarriere erlauben. Diese Erkenntnisse können als Basis für neue Konzepte zur Beeinflussung der Wirkstoffpenetration in und durch die menschliche Haut dienen.
Abbildung 1: Etabliertes Ziegelstein-Mörtel-Modell des Stratum corneum (SC)
In wohlgeordneten Schichten
Das menschliche SC besteht in Abhängigkeit vom Körperareal aus 15 bis 20 Zellschichten. Diese sind aus Corneozyten und interzellulären Lipiden aufgebaut. Um die Struktur des SC besser verstehen zu können, entwickelte Peter Elias, San Francisco, das »Ziegelstein-Mörtel«-Modell (1). Dabei stellen die toten Hornzellen, die mit dem Stützprotein Keratin gefüllt sind, die »Ziegelsteine« und die interzellulären Lipide den »Mörtel« dar (Abbildung 1).
Die interzellulären Lipide bestehen aus drei Hauptfraktionen: Ceramide (etwa 30 Prozent), freie Fettsäuren (etwa 30 Prozent) sowie Cholesterol und dessen Derivate. Dabei kommt die Sphingolipidfraktion der Ceramide, die nach ihrer Lipophilie in neun Untergruppen eingeteilt wird, in dieser Vielfalt nur im SC vor (2). Besonders wichtig scheinen die langkettigen Ceramid-Fraktionen zu sein, da hier eine ω-Hydroxyfettsäure im Ceramid-Grundkörper mit Linolsäure verestert ist. Dadurch entsteht eine C36-Seitenkette, die bis in die nächste Lipiddoppelschicht hineinragt. Daher spricht man auch von der »Nagelfunktion« der Ceramide. Phospholipide, die die Hautbestandteile der Biomembranen im menschlichen Körper darstellen, spielen im SC dagegen keine Rolle (3).
Abbildung 2: Angenommene Penetrationswege durch das SC
Wichtig für die Barrierefunktion des SC ist der hohe Ordnungsgrad der interzellulären Lipide, die den »Mörtel« bilden. Die SC-Lipide bilden Doppelschichtstrukturen (Bilayer) aus, die zwischen 4 bis 5 nm dick sind (4). Eine zweite Bilayerstruktur mit einer Dicke von etwa 13 nm, die von den langkettigen Ceramiden, zum Beispiel Cer (EOS) und Cer (EOP) (E = Ester der Linolsäure, über eine O = Omega-Hydroxyfettsäure verestert mit einem S = Sphingosin- oder P = Phytosphingosin-Grundkörper), gebildet werden soll, wird derzeit in der Literatur diskutiert (5). Über diese Bilayer können Wirkstoffe in und durch das SC diffundieren und penetrieren (Abbildung 2).
Das Ziegelstein-Mörtel-Modell erklärt jedoch nicht, warum das SC äußerst widerstandsfähig gegen mechanischen Stress und den inneren Gewebedruck ist. Auch kann es weder etwas über die Kohäsion der Schichten untereinander noch über die Dynamik und den Stoffaustausch aussagen. Daher war es notwendig, diese bedeutende Hautstruktur mit modernen mikroskopischen Verfahren naturnah zu untersuchen und den Kontext der einzelnen Komponenten im natürlichen Zusammenhang zu erfassen. Diese Studien wurden vor allem von der Beiersdorf AG und anderen Strukturforschungsgruppen in den USA und Europa vorangetrieben. Jetzt muss das Ziegelstein-Mörtel-Modell revidiert werden. Nach den neuen Resultaten werden die Barrierefunktion und die Stabilität des SC auf vier Ebenen realisiert:
durch hakenähnliche Strukturen der Corneozyten,
durch die Corneodesmosomen,
die Bilayer des SC und
die Tight Junctions (Schlussleisten).
Was das SC zusammenhält
Der Fortschritt der elektronenmikroskopischen Techniken (6, 7) führte zu völlig neuen Einsichten in die Morphologie der Hornschicht. Weiterführende Arbeiten zeigen eindrucksvoll, dass haken- oder klammerähnliche Strukturen der Corneozyten erheblich zur mechanischen Stabilität und damit zur Barrierefunktion beitragen (Abbildung 3).
3 A: Transmissionslektronenmikroskopische Aufnahme der äußeren Schichten des SC mit Corneodesmosomen (Pfeile)
3 B: Rasterelektronenmikroskopische Draufsicht auf einen Corneozyten im mittleren SC mit klammerartigem Haken
4 A: Übersicht
4 B: Desmosomenverteilung im oberen SC (D: Desmosomen)
4 C: Desmosomenverteilung im unteren SC (Pfeil: Draufsicht auf klammerartige Struktur)
4 D: Tight Junctions (Schlussleisten) im Übergangsbereich der lebendigen Epidermis zum SC
Die zweite Voraussetzung für die mechanische Stabilität ist die Existenz von punktförmigen molekularen Verbindungsstellen von Zelle zu Zelle. Diese Zell-Zell-Verbindungen werden noch in den lebenden Hautschichten gebildet und dienen der Aufrechterhaltung und Gestaltung des Zell-Gewebeverbands. Beim Übergang von der lebenden (Stratum granulosum, Abbildungen 4 A und 5 A) zur toten Hautschicht (Stratum corneum, Abbildungen 4 B bis E und 5 F bis K) werden diese makromolekularen Verbindungsstellen nicht abgebaut, sondern mit weiteren Proteinen ergänzt und stabilisiert. Diese Corneodesmosomen bestehen aus einem dichten Rasen von Transmembranproteinen (Tabelle 1), die im Interzellulärraum ineinandergreifen und so die Corneozyten miteinander »vernieten« (Abbildungen 5 F bis K). Diese »Nieten« tragen wesentlich zur Kohäsion der Corneozyten bei, sind aber nicht das mechanisch stärkste Element.
Abbildung 5: Querbrüche (A bis E) und Querschnitte (F bis K) durch die Hautbarriere und ihre Verbindungselemente
5 A: Querbruch vom SGr bis in die sechste Schicht des SC (SC1 bis SC6)
5 B: Aufsicht auf die Unterseite von Corneozyten der unteren SC-Schicht
5 C bis E: Effekte von überschüssigem Wasser, das sich interzellulär linsenförmig einlagert, was die Barrierestruktur auseinandersprengt
5 F bis K: TEM-Bilder von Querschnitten durch Desmosomen (F, G) und Corneodesmosomen (H bis K) zeigen deutlich, dass in allen Schichten des SC noch verbindende filamentöse Strukturen vorhanden sind.
Im Durchschnitt findet man ein Corneodesmosom pro Quadratmikrometer, das heißt es existieren etwa 400 bis 600 Corneodesmosomen pro Corneozyt und Seite. Abbildung 5 B zeigt Oberflächen von ganzen Corneozyten mit punktförmiger Textur. Die Corneozyten können dadurch ein komplexes und dichtes Netzwerk ausbilden. In diesem intercorneozytären Netzwerk, das in den Zellen über die Keratinfasern zusammengehalten wird, sorgen auf zellulärer Ebene haken- und klammerähnliche Corneozytenstrukturen (zwischen benachbarten Corneozyten, Abbildung 3 und 5 C bis E) zusammen mit den Corneodesmosomen für die erforderliche mechanische Stabilität. Erst dadurch entsteht zwischen den abgestorbenen Hautzellen ein stabiles Strukturgerüst für die lamellare Organisation der hoch geordneten interzellulären Lipidschichten.
Strukturen im SC | Assoziierte Filamente | Transmembranäre Glycoproteine | Plaque-Proteine |
---|---|---|---|
Desmosomen | Intermediäre Filamente (Keratinfilamente) | Desmogleine 1-3 Desmocoline 1-3 | Plakoglobin Desmoplakin VII Plakophiline 1-3 |
Corneodesmosomen | Intermediäre Filamente (Keratinfilamente) | Corneodesmosin | Plakoglobin Desmoplakin VII Plakophiline 1-3 |
Tight Junctions (Schlussleisten) | Mikrofilamente (F-Aktin) | Occludin Claudine 1-15 | Plaque-Protein Zonula occludens 1-3 Symplekin Cingulin |
Bei übermäßiger Wasseraufnahme lagert sich das Wasser als Linsen zwischen die Corneozyten (Abbildung 5 D und E) und sprengt zunächst die Ebenen der Corneozyten, die mit Corneodesmosomen belegt sind, auseinander, bevor die hakenähnlichen Verzahnungen reißen (Abbildung 5 C, Pfeile stabile Verzahnungen, Pfeilköpfe gerissene Verzahnung). Der Abbau der Corneodesmosomen spielt bei der Desquamation eine außerordentliche Rolle. Störungen im Auf- und Abbau der Corneodesmosomen führen zu Krankheiten wie palmoplantare Keratodermie und hypohidrotische ektodermale Dysplasie.
Vor Kurzem wurde eine Barrierestruktur in humaner adulter Haut entdeckt und beschrieben, die zuvor nur in embryonaler Haut bekannt war (8). Diese wird aus Tight Junctions (Schlussleisten) am Übergang von der lebenden zur toten Hautschicht gebildet (Abbildung 4 D). Derzeit wird spekuliert, dass diese zusätzliche Barriere als molekularer Filter für große Moleküle sowie als Strukturelement zur Polarisierung der Zellen dient. Diese entsteht durch eine unterschiedliche Zusammensetzung und Organisation der Membranen der äußersten Stratum-granulosum-Zellen an den Stellen, an denen die Schlussleisten zu finden sind, im Vergleich zum Rest der Zelle. Die Polarisierung begünstigt den Export der Hautlipide in den interzellulären Raum nach außen hin zum Stratum corneum und verhindert, dass die Hautlipide nach innen abgegeben werden.
Molekulare Dimensionen
kalorimetrische Methoden wie DSC (Differential Scanning Calorimetry),
spektroskopische Methoden wie FT-Raman- und FT-IR (Fourier-transformierte Infrarot)-Spektroskopie und
Röntgenstreuung.
Die Technik der Neutronendiffraktion, kombiniert mit innovativen Präparationsmethoden, stellt einen neuen Ansatz zur intensiven Untersuchung der molekularen Struktur der SC-Lipide dar. In enger Kooperation nutzten Physiker vom Kernforschungsinstitut in Dubna, Russland, und Pharmazeuten aus Halle diese Techniken. Die Arbeiten erfolgten an SC-Lipidgemischen, die zunächst aus Ceramid NP, Cholesterol, Cholesterolsulfat und Palmitinsäure bestanden. Aus den Lipiden wurden Bilayer auf einer Quarzoberfläche präpariert und diese dann mithilfe der Neutronendiffraktion hinsichtlich ihrer molekularen Architektur charakterisiert (9).
Abbildung 6: Molekularer Aufbau der SC-Bilayer
Erstmalig konnten so die molekularen Dimensionen sowohl der hydrophilen und der lipophilen Strukturen der SC-Bilayer als auch die Dicke der Wasserschicht zwischen den Kopfgruppen der Bilayer bestimmt werden. Dabei zeigte sich, dass die Dicke der unpolaren Region 2,8 nm und die der polaren Region 1,92 nm beträgt (Abbildung 6). Demgegenüber ist die Wasserschicht lediglich 0,16 nm dick. Dies bedeutet, dass sich im Interzellulärraum des SC sehr wenig Wasser (weniger als eine Monolage) befindet und somit auch wenig Raum und Wasser für die Diffusion hydrophiler Arzneistoffe zur Verfügung steht. Diese Resultate legen das Fundament, um sowohl den Einfluss der einzelnen Lipidfraktionen als auch von Substanzen zu untersuchen, die die Lipidpackung und somit die Penetration gezielt beeinflussen (Penetrationsmodulatoren).
Laufende Untersuchungen beschäftigen sich mit dem Einfluss der langkettigen Ceramide wie Cer (EOS) und Cer (EOP) auf die Struktur der SC-Lipide. Die Forscher wollen herausfinden, ob die 13 nm-Struktur der SC-Bilayer tatsächlich auftritt oder ob es sich nur um ein Artefakt handelt, der während der Präparation entsteht. Zudem wird der Einfluss der Kettenlänge der freien Fettsäuren auf die Struktur der Bilayer untersucht, da neuere Arbeiten zeigen, dass die C24-Fettsäure Lignocerinsäure den Hauptbestandteil dieser SC-Lipidfraktion darstellt.
Wege durch die Hornschicht
Allgemein gehen die Wissenschaftler davon aus, dass Wirkstoffe interzellulär in und durch das menschliche SC penetrieren (Abbildung 2). Nach den neuen Erkenntnissen kann man jedoch drei Penetrationswege postulieren (Abbildung 7). Dabei ist der transzelluläre Weg sehr unwahrscheinlich, da die Substanzen abwechselnd durch lipophile und hydrophile Schichten penetrieren oder diffundieren müssten. In Anbetracht der hohen Zahl an Corneodesmosomen pro Corneozyt ist aber ein Penetrationsweg über die corneodesmosomalen Strukturen, die einzelne Corneozyten molekular miteinander verbinden, denkbar (hydrophile Route). Ebenso ist es möglich, dass lipophile Wirkstoffe die Hautbarriere durch laterale Diffusion entlang der lipophilen Kohlenwasserstoffketten der SC-Lipide überwinden können (interzelluläre, unpolare/lipophile Route).
Abbildung 7: Transportwege durch das SC nach den neuesten Erkenntnissen zur Struktur dieser Hautbarrierere; 1: interzellulärer Weg; 2: transzellulärer Penetrationsweg, sehr unwahrscheinlich; 3: corneodesmosomaler Weg
Nur Wirkstoffmoleküle mit ausreichender Lipophilie, zum Beispiel Glucocorticoide, können erfolgreich für die dermale Therapie und Wirkstoffe wie die organischen Nitrate und Estradiol für die transdermale Therapie eingesetzt werden. Extrem lipophile Stoffe wie Betamethasonvalerat und Dithranol kumulieren in den lipophilen Bilayern des Stratum corneum und bilden hier ein Depot, was bei der Anwendung beachtet werden muss.
Durch die Arbeiten zur molekularen Struktur der SC-Lipide konnte die polare/hydrophile Route nachgewiesen werden, deren Existenz in der Literatur bisher noch kontrovers diskutiert wird. Vermutlich sind jedoch nur kleine hydrophile Moleküle wie Harnstoff oder Propylenglykol in der Lage, über die polare Route zu diffundieren.
Der sehr geringe Wassergehalt in der Lipidbarriere im mittleren Teil des SC könnte auch die dortige reduzierte Proteaseaktivität erklären. Erst in den obersten Schichten des SC können diese Enzyme aktiv werden, wenn der Wassergehalt über die Atmosphäre wieder zunimmt. Die Desquamation durch tryptische und chymotryptische Proteasen kann daher erst in den obersten Schichten stattfinden.
In der Literatur gibt es Hinweise, dass den transglandulären Penetrationswegen über die Hautanhangsgebilde (Haarschäfte und Drüsenausführgänge) weit größere Bedeutung zukommt als bisher angenommen (10). Dies eröffnet ein neues interessantes Forschungsfeld.
Enhancer für die apolare Route
Da natürlicherweise lediglich Wirkstoffe mit ausreichender Lipophilie durch das SC penetrieren können, wird seit vielen Jahren nach Möglichkeiten gesucht, die Arzneistoffaufnahme zu verbessern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Dies gilt sowohl für die dermale als auch für die transdermale Therapie. Die meisten der in Tabelle 2 aufgeführten Methoden befinden sich noch im Stadium der Forschung und müssen kritisch bewertet werden, zum Beispiel der Einsatz von Mikronadeln als Array und der Radiowellen. Diese Methoden erzeugen »Löcher« im µm-Bereich, die erst nach 20 bis 30 Stunden verheilen.
Beeinflussung der Penetration | Therapeutische Nutzung: dermal | Therapeutische Nutzung: transdermal | In der Forschung |
---|---|---|---|
Enhancer | X | X | X |
galenische Vehikelsysteme (Mikroemulsionen) | X | X | |
mit Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Partikel („piece gun“) (14) | X | X | |
Iontophorese und andere elektrochemische Methoden | X | ||
Radiowellen | X | ||
Ultraschall | X | ||
Mikronadeln als Array | X |
Dagegen werden in der topischen Therapie seit vielen Jahren erfolgreich Substanzen verwendet, die die Penetration von Wirkstoffen verbessern (11). Wie effektiv diese Penetrationsenhancer sind, hängt entscheidend von ihren physikochemischen Eigenschaften ab. Diese bestimmen, über welchen Penetrationsweg die Wirkstoffe durch das SC gelangen, über die polare oder die apolare Route.
Die meisten der bisher eingesetzten Enhancermoleküle beeinflussen den lipophilen Penetrationsweg, in der Regel durch eine Fluidisierung der SC-Lipide (Tabelle 3). Hierzu gehört eine Reihe von pharmazeutischen Hilfsstoffen wie Ölsäure und die flüssigen synthetischen Wachse, die seit Langem in der Dermopharmazie eingesetzt werden. Die Ölsäure fluidisiert die SC-Lipidbilayer und erhöht somit die Penetration von Wirkstoffen über die unpolare Route. Andere Substanzen wie das Azon, das noch nicht in kommerziellen Zubereitungen verwendet wurde, können aufgrund ihrer chemischen Struktur sowohl die Penetration über die lipophile als auch die Diffusion über die hydrophile Route beeinflussen. Das trifft auch auf Dimethylsulfoxid zu, das jedoch in höheren Konzentrationen wegen seiner guten Lösungseigenschaften zur Aufhebung der Barrierefunktion durch Mazeration der SC-Lipide führt.
Enhancer | Penetrationsverbesserung via polare Route | Penetrationsverbesserung via apolare Route |
---|---|---|
Ölsäure | X | |
Terpene | X | |
Glycolipide | X | |
mittelkettige Triglyceride | X | |
synthetische Wachse (Isopropylmyristat) | X | |
verzweigtkettige Fettalkohole (Eutanol G) | X | X |
Harnstoff | X | |
Propylenglycol | X | |
Azon | X | X |
Dimethylsulfoxid | X | X |
Die große Herausforderung besteht in der Entwicklung von Enhancermolekülen für die polare Route, weil bisher nur sehr wenige kleine Moleküle bekannt sind, die durch die polaren Strukturen des SC diffundieren können. Solche Penetrationsförderer könnten es ermöglichen, auch Problemarzneistoffe wie pharmakologisch effektive Peptide, die bisher nur parenteral verabreicht werden können, oder Nukleinsäuren (unter dem Aspekt der Gentherapie) im Sinne eines dermal oder transdermal drug delivery therapeutisch einzusetzen.
Die Penetration verzögern
Erstaunlicherweise haben Penetrationretarder oder -reducer bisher sehr wenig Beachtung gefunden. Darunter versteht man Substanzen, die die Penetration von Stoffen durch die Haut herabsetzen oder verhindern. Dies soll durch Verstärkung der Barrierefunktion des SC erreicht werden und wäre in der Kosmetik außerordentlich wichtig, zum Beispiel beim Einsatz von Lichtschutzfiltersubstanzen, deren Eindringen in die Haut verhindert oder reduziert werden könnte. Weiterhin wären Penetrationsreducer auch für die Behandlung von Krankheiten wie Psoriasis, bei denen die Barrierefunktion des SC beeinträchtigt ist, von unschätzbarem Wert.
Mit dem Ziel, die Barrierefunktion der Hornschicht zu verbessern, werden in der Kosmetik und Hautpflege natürliche und synthetische Ceramide eingesetzt. Unklar ist jedoch, ob die topisch aufgetragenen Ceramide überhaupt in das SC penetrieren, da es sich um sehr rigide Lipide handelt.
In den letzten Jahren wurde gezeigt, dass kolloidale Vehikelsysteme wie Mikroemulsionen (ME) exzellente galenische Carrier sind, um Wirkstoffe durch die Haut zu transportieren (12). Mikroemulsionen sind optisch isotrop, durch eine sehr geringe Grenzflächenspannung thermodynamisch stabil und hoch dynamisch. Sie bestehen aus einem Tensid, einem Cotensid, einer Öl- und einer Wasserphase. Die Radien der kolloidalen Phase liegen zwischen 10 und 50 nm. ME-Systeme sind von O/W bis W/O variierbar. Durch das Tensidsystem kann man bestimmen, ob eine wässrige (hydrophile) Phase (W/O-ME) oder eine ölige (lipophile) Phase (O/W-ME) kolloidal vorliegt. Es hat sich gezeigt, dass die O/W-ME bei dermaler Anwendung die Penetration eines eingearbeiteten Arzneistoffs enorm fördert (13). Dieser sollte sich in der öligen kolloidalen Phase befinden. Die W/O-Mikroemulsionen, in deren wässriger kolloidaler Phase Peptide und Nukleinsäuren inkorporiert werden können, befinden sich noch im Stadium der Forschung.
Diese Vehikelsysteme werden bisher lediglich punktuell eingesetzt, zum Beispiel in der Hautpflege (mit Zinkpyrion), in der Dermopharmazie (mit Clotrimazol) und in der Medizin (orale Anwendung von Ciclosporin A). Damit solche Systeme künftig breit in Dermopharmazie und Kosmetik eingesetzt werden können, muss es gelingen, den Tensidgehalt zu minimieren (unter 20 Prozent) sowie milde hautfreundliche Tensidsysteme für ME zu entwickeln.
Forschungsarbeiten der letzten Jahre zeigen, dass die Integrität und mechanische Stabilität des Stratum corneum, der Hauptbarriere der menschlichen Haut, auf vier Ebenen realisiert wird: durch hakenähnliche Strukturen der Corneozyten, durch Corneodesmosomen und Lipidbilayer des SC sowie durch Tight Junctions (Schlussleisten) am Übergang von der lebenden zur toten Hautschicht. Der Fortschritt der elektronenmikroskopischen Techniken führte zu völlig neuen Einblicken in die Morphologie dieser Hautschicht. Mithilfe der Neutronendiffraktion wurde der molekulare Aufbau der SC-Lipidschichten inklusive des Wassers im Detail aufgeklärt. Diese Arbeiten bilden eine exzellente Basis zur Konzeption neuer Penetrationsmodulatoren sowie neuer effektiver Vehikelsysteme.
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Roger A. Wepf studierte Biologie an der ETH in Zürich und erhielt 1988 das Diplom. 1992 wurde er in Zellbiologie/Biophysik an der ETH promoviert. Danach arbeitete er am EMBL (European Molecular Biology Laboratory) in der Physikalischen Methodenentwicklungsgruppe in Heidelberg als Postdoktorand und leitete von 1996 bis 1997 eine Nachwuchsgruppe im Zellbiologieprogramm am EMBL. Anschließend war Dr. Wepf bei Beiersdorf in Hamburg tätig, zunächst als Leiter der analytischen Mikroskopie, ab 2004 der Forschungsabteilung. Seit 2006 leitet er das Elektronenmikroskopie-Zentrum der ETH Zürich (EMEZ). Seine Hauptarbeitsgebiete umfassen elektronenmikroskopische Techniken und Präparationsmethoden für lebensnahe und native Strukturforschung; im Vordergrund steht die Nano-Bio-Gewebeorganisation mit dem Schwerpunkt „Menschliche Haut”.
Reinhard H. H. Neubert studierte Pharmazie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU), wurde 1978 mit einem biopharmazeutischen Thema promoviert und habilitierte sich 1987 im gleichen Fach an der MLU. 1992 erhielt er den Ruf auf eine Professur für Biopharmazie/Arzneiformenlehre an der MLU. Von 1992 bis 1998 war er Dekan des Fachbereichs Pharmazie und von 2000 bis 2006 Prorektor für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs und internationale Beziehungen. 2004 erhielt er ein Ehrendoktorat an der Medizinischen Universität Poznan. Seit 2006 ist Professor Dr. Dr. h.c. Neubert Direktor des Instituts für Pharmazie der MLU. Bisher hat er über 300 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht und 45 Doktorarbeiten betreut. Seine Hauptarbeitsgebiete umfassen Strukturuntersuchungen an Stratum-corneum-Lipiden, die Entwicklung kolloidaler Arzneiformen und analytische Methoden auf Basis der Kapillarelektrophorese und HPLC-MS-Kopplung.
Anschriften der Verfasser:
Dr. Roger Wepf
Elektronenmikroskopie-Zentrum ETH Zürich (EMEZ)
Wolfgang-Pauli-Straße 14
CH-8093 Zürich
Professor Dr. Dr. Reinhard H. H. Neubert
Martin-Luther-Universität
Institut für Pharmazie
Wolfgang-Langenbeck-Straße 4
06120 Halle/Saale