Detailwissen für die Beratung |
08.04.2015 10:25 Uhr |
Von Daniela Hüttemann, Neumünster / Den BAK-Leitfaden zur Beratung bei Abgabe der Pille danach hat wohl jedes Apothekenteam gelesen. Wenn es ums Detail geht, tritt aber immer mal wieder die eine oder andere Frage auf, zum Beispiel wie es um den Zyklus steht oder was bei Übergewicht und Pillenpannen zu beachten ist.
Die Freigabe der Pille danach aus der Rezeptpflicht ist ein guter Anlass, sich noch einmal mit den Einnahmemodalitäten der verschiedenen oralen hormonellen Kontrazeptiva zu beschäftigen. Dazu regten der Apotheker Dr. Christian Ude und der Gynäkologe Privatdozent Dr. Sören von Otte bei einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Schleswig-Holstein in Neumünster an.
Ob das Vergessen einer Pille wirklich eine Panne ist, hängt vom Präparat ab.
Foto: Imago/Imagebroker/ Michael Weber
»Sie müssen beurteilen können, wann eine Pillenpanne wirklich eine Pillenpanne ist«, so Ude, der in Darmstadt eine Apotheke führt und einen Lehrauftrag an der Universität in Frankfurt am Main hat. Darunter fällt zum Beispiel das einmalige Vergessen einer reinen Gestagen-Pille (»Minipille«) ohne ovulationshemmende Wirkung oder eine Verlängerung der Pillenpause um einen oder mehr Tage auch bei kombinierten oralen Kontrazeptiva. Ein einmaliges Vergessen einer Estrogen- Gestagen-Kombipille von weniger als zwölf Stunden ist dagegen unproblematisch. »Fragen Sie die Patientin nach dem Namen ihrer Pille«, so Ude. »Im BAK-Leitfaden und der ABDA-Datenbank steht, wie es um den Konzeptionsschutz bei Vergessen steht und was zu tun ist.« Das gilt auch für hormonelle Verhütungspflaster oder -ringe. Laut einer Umfrage verlangen übrigens nur 10 Prozent der Anwenderinnen ein Notfallkontrazeptivum aufgrund einer Pillenpanne. In 55 Prozent der Fälle fand ungeschützter Geschlechtsverkehr statt oder das Kondom versagte bei 34 Prozent.
Fertiles Fenster verschiebt sich
Wichtig für die Kundin ist der Hinweis, dass die Einnahme der Pille danach, egal ob Levonorgestrel oder Ulipristalacetat, je nach Stand im Zyklus den Eisprung nicht immer verhindert. Ulipristalacetat wirkt im Gegensatz zu Levonorgestrel auch noch, wenn das luteinisierende Hormon, das zur Freisetzung der Eizelle führt, bereits angestiegen ist. Dann verschiebt sich das fertile Fenster unter Umständen nur nach hinten, über die Lebensdauer der Spermien hinaus, die bei drei bis fünf Tagen liegt. Auch wenn die normale Pille während dieses Zyklus weitergenommen wird, bietet sie keinen zuverlässigen Schutz mehr und muss durch zusätzliche, nicht hormonelle Verhütungsmethoden wie Kondome ergänzt werden, betonten beide Referenten. »Aus Gründen der Zyklusstabilität sollte die Patientin ihre reguläre Pille jedoch weiternehmen«, riet von Otte, der in Kiel das universitäre Kinderwunschzentrum leitet.
Konnte eine Schwangerschaft erfolgreich verhütet werden, tritt die nächste Regelblutung nach Einnahme von Ulipristalacetat häufig rund zwei Tage später ein. Dies sei ebenfalls eine wichtige Information für die Anwenderin. Auch nach Notfallverhütung mit Levonorgestrel kann sich die Periode verschieben und in ihrer Intensität anders ausfallen. Bleibt die Regel ganz aus, sollte die Frau zum Gynäkologen gehen. Sollte der Eisprung bereits stattgefunden haben, sind die Notfallkontrazeptiva zwar nicht mehr wirksam, fügen einer befruchteten Eizelle jedoch auch keinen Schaden zu. »Levonorgestrel und Ulipristalacetat sind im Gegensatz zu Mifepriston keine Abtreibungspillen«, betonte von Otte.
Auf keinen Fall sollten Apotheker Spekulationen beginnen, ob die Patientin sich gerade im fertilen Fenster befindet oder nicht. Dies sei aufgrund der großen Schwankungsbreite nicht mehr als ein Blick in die Kristallkugel, so von Otte. Ausschlaggebend für die Abgabe und Auswahl eines Notfallkontrazeptivums sei allein, ob der ungeschützte Geschlechtsverkehr weniger als 72 Stunden (Levonorgestrel) oder 120 Stunden (Ulipristalacetat) zurückliegt. Der ungefähre Tag im Zyklus ist irrelevant, auch wenn laut Checkliste der BAK nach dem ersten Tag der letzten Regel gefragt werden soll. Dabei geht es darum, eine bestehende Schwangerschaft als relative Kontraindikation auszuschließen. Hat die letzte Periode zum üblichen Zeitpunkt in üblicher Stärke und Dauer stattgefunden? »Hier sind drei Ja-Antworten Pflicht, sonst ist eine Grenze der Selbstmedikation erreicht und die Patientin muss zum Arzt«, so Ude. Ein Schwangerschaftstest in der Apotheke sei dagegen nicht notwendig.
Streit ums Übergewicht
Umstritten unter Fachleuten ist die Wirksamkeit der Pille danach bei Frauen mit Übergewicht. Nach Bewertung der Europäischen Arzneimittelagentur vom Juli 2014 können sowohl Levonorgestrel als auch Ulipristalacetat unabhängig vom Körpergewicht oder Body-Mass-Index eingenommen werden. Das findet sich auch so in den Fachinformationen und dem BAK-Leitfaden wieder. Frauenärzte-Verbände und -Fachgesellschaften zweifeln diese Einschätzung jedoch an und sprechen von einem möglichen Versagen von Levonorgestrel ab einem Körpergewicht von 75 kg und Ulipristalacetat ab 90 kg.
Was bedeutet das für die Beratung in der Apotheke? Das Gewicht einer Frau lasse sich nicht zuverlässig per Augenmaß abschätzen und man könne die Patientin in einer ohnehin sensiblen Beratungssituation schließlich schlecht bitten, sich in der Apotheke auf die Waage zu stellen, gibt Ude zu bedenken. Bis jetzt sei nicht bewiesen, dass die Wirkung der Notfallkontrazeptiva in einem klinisch relevanten Maß bei Übergewicht nachlasse. Bei deutlichen Zweifeln könne man die Patientin an den Arzt verweisen, der eine Kupferspirale einsetzen kann. Die doppelte Dosis der Pille danach sollte man dagegen nicht empfehlen, so die Referenten. /
Ein Leitfaden zur »Notfallkontrazeption – Materialien zur Beratung und Dokumentation«, steht unter www.govi.de zum Download bereit. Das PDF von den Autoren Dr. Christian Ude und Patricia Kühnel bietet unter anderem kurz gefasstes Hintergrundwissen für die Beratung, eine rechtliche Bewertung durch die Rechtsanwältin Kühnel sowie einen Vorschlag für ein strukturiertes Beratungsgespräch in zehn Punkten.
Notfallkontrazeption – Materialien zur Beratung und Dokumentation 2015,
PDF zum Download, 35 Seiten
ISBN: 978-37741-1287-2; 12,90 Euro