Die COPD, die keine ist |
01.04.2015 09:20 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Ein angeborener Mangel des Serinprotease-Inhibitors α-1-Antitrypsin kann zu Atemnot, Husten und bereits in relativ jungen Jahren zu einem schweren Lungenemphysem führen. Die Symptome gleichen gerade bei Rauchern denen der chronischen obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), weshalb der Proteinmangel oft übersehen wird. Dabei gibt es Möglichkeiten der Substitution.
α-1-Antitrypsin, das auch als α-1-Proteinase-Inhibitor (PI) bezeichnet wird, ist ein protektives Protein, das hauptsächlich in der Leber synthetisiert wird. Von dort gelangt es über das Blut unter anderem in die Lunge, wo es die neutrophile Elastase hemmt. Dieses von neutrophilen Granulozyten freigesetzte Enzym spielt im Rahmen der Immunantwort eine wichtige Rolle, da es die Peptidbindungen von Aminosäuren spaltet und so eingedrungene Krankheitserreger unschädlich macht.
Abbau von Lungengewebe
α-1-Antitrypsin hält normalerweise die neutrophile Elastase in Schach. Fehlt diese Kontrolle ganz oder teilweise, baut die Elastase Lungengewebe ab und ein Lungenemphysem entsteht.
Foto: Shutterstock/Lightspring
Da die Elastase aber nicht zwischen Fremd und Eigen unterscheiden kann, muss sie durch α-1-Antitrypsin kontrolliert werden. Fehlt diese Kontrolle oder funktioniert sie nicht richtig, zerstört die Elastase auch körpereigenes Gewebe und ein Lungenemphysem entsteht.
Das Gen, das für α-1-Antitrypsin kodiert, heißt SERPINA1 und liegt auf Chromosom 14. Von ihm wurden mittlerweile mehr als 100 verschiedene Varianten identifiziert. Etwa ein Drittel davon führt zu einem mehr oder weniger herabgesetzten α1-PI-Serumspielgel oder zu einem Funktionsverlust des Moleküls. Ein Totalausfall der α1-PI liegt beim Genotyp Null vor; Betroffene sind zu 100 Prozent im Alter von 30 Jahren an einem Lungenemphysem erkrankt. Ein hohes Risiko haben auch Menschen vom Genotyp PiZZ; sie tragen die sogenannte Z-Mutation auf beiden Chromosomen und haben eine 50- bis 100-prozentige Erkrankungswahrscheinlichkeit. In ihrem Blut findet sich α-1-Antitrypsin nur in Konzentrationen von 2,5 bis 7 µmol/l (20 bis 45 mg/dl). Zum Vergleich: Gesunde Menschen vom Genotyp PiMM haben 20 bis 48 µmol/l (150 bis 350 mg/dl) α1-PI im Blut.
Schätzungen über die Zahl behandlungsbedürftiger Patienten in Deutschland reichen von 3500 bis 8000. Wie viele es wirklich sind, weiß niemand so genau, denn entsprechende Patienten werden viel zu selten gezielt getestet. Das machte Professor Dr. Felix Herth von der Thoraxklinik Heidelberg auf einem von CSL Behring gesponserten Symposium am Rand des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin in Berlin deutlich. Laut internationalen und nationalen Leitlinien soll bei allen Patienten mit COPD oder symptomatischem Asthma und ungenügend reversibler Atemwegsobstruktion der α1-PI-Serumspiegel bestimmt werden. »In der Praxis wird das aber sehr häufig nicht gemacht«, beklagte Herth.
α-1-Antitrypsin substituieren
Neben der symptomorientierten Pharmakotherapie, die der bei COPD entspricht, steht in Europa mit Prolastin® (Hersteller Grifols) ein humanes α1-PI-Präparat zur Substitution zur Verfügung. Es wird wöchentlich in der Dosis 60 mg pro kg Körpergewicht über 30 Minuten infundiert. Patienten müssen vor dem Start dieser Therapie aufhören zu rauchen, da Zigarettenrauch den Wirkstoff inaktiviert. CSL Behring wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte ein weiteres Substitutionspräparat auf den Markt bringen. In den USA ist es als Zemaira® bereits seit 2003 zugelassen, hier wird es aber anders heißen.
Gegenüber Prolastin hat Zemaira den Vorteil, dass es in der Hälfte der Zeit, also in 15 Minuten infundiert wird. »Das kann für Patienten schon relevant sein«, sagte Herth. Darüber hinaus ist die Reinheit von Zemaira laut Hersteller höher als die von Prolastin, was sich in einer höheren spezifischen Aktivität niederschlage. Die empfohlene Dosis ist dieselbe: 60 mg pro kg Körpergewicht.
Lungendichte als Endpunkt
Die Lungenfunktion von Patienten mit α-1-Antitrypsin-Mangel nimmt im Verlauf immer weiter ab.
Foto: Imago/Blickwinkel
Herth stellte die Ergebnisse der RAPID-Studie vor, einer placebokontrollierten, doppelblinden, randomisierten Phase-III/IV-Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit von Zemaira, an der 180 Patienten mit nachgewiesenem α1-PI-Mangel und Lungenemphysem in den USA, Kanada, Australien und Europa beteiligt waren. Die Studie hatte der Hersteller 2003 gestartet, als er mit seinem Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) gescheitert war. Der wichtigste Endpunkt war die Abnahme der Lungendichte, gemessen mittels CT-Scan.
Klinisch relevant bei α1-PI-Mangel sei zwar die Abnahme der Lungenfunktion, gemessen als Einsekundenkapazität (FEV1). »Da die Krankheit langsam fortschreitet, müssten entsprechende Studien aber fünf Jahre dauern, damit man bei der FEV1 einen signifikanten Unterschied sieht«, so Herth. »Das würde bedeuten, dass man im Placebo-Arm Patienten mit einem nachgewiesenen Mangel fünf Jahre lang eine Therapie vorenthält.« Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA habe daher die Lungendichte-Messung per CT als Endpunkt anerkannt. Diese könne 2,5-fach sensitiver die Progression eines Emphysems nachweisen als die FEV1.
Singnifikanter Unterschied
In der RAPID-Studie sank die Lungendichte der Teilnehmer unter Zemaira jährlich um 1,45 g/l und damit signifikant weniger als unter Placebo (-2,19 g/l). Die Studiendauer betrug 24 Monate. Am Ende dieser Zeit konnten alle Patienten über weitere zwei Jahre mit Zemaira behandelt werden. In dieser Extensionsstudie zeigten ehemals mit Placebo behandelte Teilnehmer einen vergleichbaren Verlauf wie die Verum-Gruppe der RAPID-Studie, das heißt der Rückgang der Lungendichte verlangsamte sich. Der bis dahin erlittene Verlust an Lungengewebe konnte aber nicht rückgängig gemacht werden. »Es kommt also darauf an, die Substitutionstherapie so früh wie möglich zu starten«, sagte Herth. /