Vernetzung ist alles |
29.03.2017 09:37 Uhr |
Von Jennifer Evans, Berlin / Geht es in der Gesundheitspolitik um die Zukunft, steht eine bessere digitale Vernetzung im Fokus. Das betonte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vergangenen Mittwoch beim netzpolitischen Dialog im Museum für Kommunikation in Berlin. Wie weit aber Digitalisierung in der Medizin gehen darf, darüber gab es unterschiedliche Meinungen.
Das Tempo in Sachen Digitalisierung ist nicht in allen Bereichen des Gesundheitswesens gleich. Darin waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde in Berlin einig. Start-ups etwa seien engagiert und wollten in den Multimillionenmarkt der Gesundheitsanwendungen von Apps, Wearables und Telemedizin einsteigen, so Internet-Unternehmer Sascha Lobo. Demgegenüber stünde der klassisch deutsche Investor, der erst Beweise und Garantien für sein angelegtes Geld brauche. »Zusätzlich hemmt das deutsche Beharrungsvermögen viele Start-ups«, ist Lobo überzeugt.
Prüfung sinnvoll
Gesundheitsminister Hermann Gröhe befürwortet eine Telemedizin nach klar definierten Regeln. Kritikern kommt dabei oft die Innovationsfreude zu kurz.
Foto: Imago/Christian Thiel
Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung, sieht das anders. Die sorgfältige Prüfung neuer Anwendungen sei mit Blick auf die Sicherheit durchaus sinnvoll. Immerhin tragen die Kassen eine Verantwortung: »Es geht ja auch um die Gelder der Versicherten.«
Johannes Wimmer, der die digitale Patientenkommunikation an der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf steuert, sieht ein großes Problem in der mangelnden Aufklärung der Ärzte. »Viele wissen nicht, welche Apps bei einer bestimmten Therapie sinnvoll sind oder welche sie ohne Gefahr ihren Patienten empfehlen können«, sagte er. Gröhe verwies in diesem Zusammenhang auf das kürzlich vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gegründete Innovationsbüro. Dessen Ziel ist es, dass vielversprechende Innovationen nicht an Informationsdefiziten der Unternehmen oder bürokratischen Hürden scheitern. »Da wird die Spreu vom Weizen getrennt«, so Gröhe. Ob eine Anwendung womöglich als Medizinprodukt gelte, sei vielen Firmen nicht klar. Außerdem biete das Bundesgesundheitsministerium die Möglichkeit, sich neue Ideen über den Innovationsfonds finanzieren zu lassen. Wimmer sieht aber vor allem die Fachgesellschaften in der Pflicht, Qualitätsempfehlungen auszusprechen.
Digitale Lösungen bringen nach Ansicht der Diskutanten in allen Bereichen des Gesundheitswesens Vorteile. Leider sei aber noch nicht jeder Arzt in der Lage, seinem Patienten diese Möglichkeit zu bieten. Gute Erfahrungen in der Praxis machte Wimmer mit der Kontrolle chronischer Wunden über Fotos, die der Patient dem Arzt schickt. Nur bei Bedarf bestelle der Mediziner diesen dann noch in die Sprechstunde. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Patienten mehr Selbstverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen, wenn sie ihre Daten selbst sammelten. Das bekräftigten auch die anderen Dialogteilnehmer. Die Betroffenen hinterfragten dann sogar ihre klinischen Parameter und versuchten selbst – sofern möglich – in ihren Lebensstil einzugreifen, ohne dass der Arzt ihnen erst dazu raten müsse.
Die Digitalisierung schafft Pfeiffer zufolge eine Transparenz, die gut für die Medizin ist. Ein Heilsversprechen für alle Probleme sei die Telemedizin aber nicht, warnt sie. Gröhe betonte: »Jede digitale Therapie braucht zunächst eine Erstdiagnose durch den Arzt«.
Zu eng gedacht
Während der Minister eher ein Regelwerk für die im E-Health-Gesetz verankerte Telemedizin vor Augen hat, ist dies Lobo viel zu eng gedacht. Der digitale Markt könne Gesundheitsprobleme neu lösen. »In der deutschen Telemedizin kommt mir zu kurz, dass die klassischen Muster nicht Eins-zu-eins übertragbar sind.« Nicht jeder erfolgreichen Diagnose müsse zwangsläufig ein Video-Chat mit dem Arzt vorausgehen. Es gibt nach Lobos Angaben vielversprechende Beispiele von Software-Anwendungen aus den USA, die über einen speziellen Algorithmus Facebook-Einträge untersuchen oder mithilfe von Stimmanalysen den psychischen Zustand eines Patienten feststellen können. Auf diese Weise seien mit großer Treffsicherheit bereits Depressionen oder gar Selbstmordversuche prognostiziert worden. Lobo plädiert dafür, umzudenken, bevor die Apples und Googles dieser Welt den deutschen Gesundheitsmarkt in der Hand hätten. Gerade große Firmen sind Lobo zufolge selten bereit, sich in feste Strukturen wie eine Telematik-Infrastruktur einzugliedern und machen stattdessen lieber ihre eigene Sache. /