Phytotherapie in Europa |
25.03.2014 16:45 Uhr |
Von Barbara Steinhoff / Der Einsatz pflanzlicher Arzneimittel hat hierzulande eine lange Tradition und nach wie vor einen größeren Stellenwert als in anderen europäischen Ländern. Bevor die EMA in London die Zuständigkeit auch für Phytopharmaka übernahm, hatten außer Deutschland nur Frankreich und Belgien Pflanzenlisten oder Leitfäden zur Beurteilung pflanzlicher Arzneimittel erstellt. Ein Auszug aus der aktuellen »Pharmakon«-Ausgabe 2/2014 »Komplementäre Therapierichtungen«.
Aus der heutigen Sicht ist die Phytotherapie als eine naturwissenschaftliche Therapierichtung zu verstehen, die Vielstoffgemische, wie sie typischerweise in einer Pflanze vorliegen, als Arzneimittel einsetzt und für die die in der pharmakologischen, toxikologischen und klinischen Forschung gebräuchlichen wissenschaftlichen Methoden angewendet werden können. Phytotherapie ist damit keine alternative Therapierichtung, sondern Bestandteil der in Europa gebräuchlichen Schulmedizin.
Unterschiedliche Anforderungen
Der Unterschied zur Therapie mit chemisch-synthetischen Arzneimitteln besteht darin, dass anstelle der für andere Arzneimittel geforderten Wirksamkeitsbelege andere Unterlagen vorgelegt werden, so wie es der Gesetzgeber im europäischen und nationalen Rechtsrahmen vorsieht. Für traditionelle pflanzliche Arzneimittel als Bestandteil einer modernen Phytotherapie gilt dies ebenfalls, allerdings mit spezifischen, der traditionellen Anwendung dieser Produktgruppe entsprechenden Anforderungen an die Unterlagen zur Wirksamkeit.
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Mit der kompletten Neugestaltung des deutschen Arzneimittelgesetzes im Jahre 1976 wurde der Phytotherapie zusammen mit der Homöopathie und der Anthroposophie die Anerkennung einer »Besonderen Therapierichtung« zuteil. Es war politischer Wille des Gesetzgebers, den Therapiepluralismus zu fördern und diesen auch im Rahmen der für die Zulassung anzuwendenden Bewertungskriterien abzubilden. Auf Basis des Paragrafen 25 Absatz 7 AMG wurden entsprechende Sachverständigenkommissionen (C, D und E) eingerichtet, ein Schritt, der seinerzeit einzigartig in Europa war. Die für die Phytotherapie zuständige Kommission E hat bis zum Jahr 1994 weit mehr als 300 Monographien zur Anwendung, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit pflanzlicher Zubereitungen erstellt. Im Rahmen einer Gesetzesnovellierung wurde im Jahr 1994 diese Aufbereitungstätigkeit eingestellt, und die Kommission E erhielt die Aufgabe, bei der Beurteilung der Anträge der pharmazeutischen Unternehmer mitzuwirken.
In anderen europäischen Ländern gab es mit Ausnahme von Leitfäden beziehungsweise Pflanzenlisten in Frankreich beziehungsweise Belgien keine entsprechenden Systeme, die Beurteilungskriterien in Form von Monographien etabliert haben. Die französische Behörde hatte in den 1980er-Jahren einen Leitfaden für die Antragsteller entwickelt, in welchem für über 200 Arzneipflanzen Indikationen, Kombinationsmöglichkeiten und Anforderungen an die vorzulegenden Unterlagen beschrieben waren. Belgien hatte ein ähnliches, allerdings nicht ganz so umfassendes Listensystem entwickelt.
Sonderfall Standardzulassung
Erwähnenswert sind als deutsche Sonderregelung auch die nach Paragraf 36 AMG »standardzugelassenen« Arzneitees, die in erster Linie durch Apotheken, aber auch durch pharmazeutische Unternehmer vertrieben werden. Einer individuellen Zulassung bedarf es für diese Tees nicht, sofern sich ihre Herstellung, Kontrolle und Kennzeichnung im Rahmen einer vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verabschiedeten und publizierten Standardzulassung befindet.
Nachdem es lange Zeit auf europäischer Ebene, abgesehen von einer Leitlinie zur Qualität, keine behördlichen Bewertungskriterien für pflanzliche Arzneimittel, insbesondere keine solchen für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gab, wurde 1997 die Herbal Medicinal Products Working Party (HMPWP), anfangs als Ad-hoc-Gruppe und später als permanentes Gremium, eingerichtet. Damit gewannen augenscheinlich pflanzliche Arzneimittel im europäischen regulatorischen Umfeld immer mehr an Bedeutung. Einen Meilenstein stellte dann schließlich die Inkraftsetzung der Richtlinie 2004/24/EG über traditionelle pflanzliche Arzneimittel dar, die unter anderem die Einrichtung des Herbal Medicinal Products Committee (HMPC) als eigenständigen Ausschuss der europäischen Arzneimittelagentur EMA vorsah.
Als deutsche Zulassungsbehörde verfügt das in Bonn ansässige BfArM über eine eigene große Abteilung »Besondere Therapierichtungen und Traditionelle Arzneimittel«, die im Vergleich mit anderen europäischen Gesundheitsbehörden einzigartig sein dürfte. /
Komplementäre Therapierichtungen sind der Themenschwerpunkt der aktuellen Ausgabe von »Pharmakon«, der Zeitschrift für Mitglieder der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG). Sie enthält neben dem hier vorgestellten Beitrag von Dr. Barbara Steinhoff unter anderem Artikel über Homöopathie, Anthroposophie, TCM und Ayurveda. »Pharmakon« erscheint sechsmal jährlich. Jede Ausgabe hat einen inhaltlichen Schwerpunkt, der in mehreren Beiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven aufbereitet wird. Ein kostenloses Abonnement ist in der DPhG-Mitgliedschaft inbegriffen. Die Zeitschrift ist auch als Einzelbezug erhältlich. Weitere Informationen finden Interessierte auf pharmakon.info.