Die Spur führt nach China |
08.04.2008 17:37 Uhr |
Die Spur führt nach China
Von Ulrike Holzgrabe
Die Globalisierung hat dazu geführt, dass circa 80 Prozent der Wirkstoffe und 40 Prozent der Fertigprodukte in Europa und USA aus China und Indien importiert werden. Obgleich es in beiden Ländern hervorragende Produktionsstätten gibt, kommt es immer häufiger zu kleineren und auch größeren Problemen.
In den 1980er-Jahren gab es Todesfälle durch Tryptophan aus Japan und zu Beginn dieses Jahrzehnts Probleme mit Gentamicin aus China. Beide Vorkommnisse ereigneten sich in den USA. Im Februar gab es bereits circa 800 Berichte an die FDA über sehr ernst zu nehmende Krankheitsfälle, verursacht durch »allergisches« Heparin. An dem in China produzierten Heparin sind in den USA derzeit 19 Menschen gestorben. In Deutschland wurden circa 80 Fälle allergischer Reaktionen, allerdings keine Todesfälle, dem BfArM berichtet, die dazu geführt haben, dass Rotexmedica einige Chargen »Heparin-Rotexmedica Injektionslösungen« zurück-gerufen hat.
Überarbeitung der Monographien
Die Sachlage hat dazu geführt, dass sich die Bundesbehörde und das BMG damit befasst haben, und die Europäische Arzneibuchkommission mit Sitz in Straßburg beschlossen hat, die relativ alten Monographien von Heparin-Natrium sowie Heparin-Calcium schnellstmöglich zu überarbeiten, um eine bessere Qualitätskontrolle zu gewährleisten. Kapillarelektrophoretische und hoch moderne NMR-spektroskopische Methoden werden dabei eine wichtige Rolle spielen.
Was ist passiert? Baxter International, ein großer Produzent von Heparinprodukten bezieht sein Ausgangsmaterial von der vermeintlich zuverlässigen Firma »Scientific Protein Laboratories« in China, die wiederum die Rohstoffe bei einem Großhändler einkauft, der die Ware von verschiedenen kleinen Produzenten bezieht. Kleine Produzenten werden kaum auditiert, wie die FDA bereits im November auf einer Pressekonferenz zugegeben hat. In den vergangenen sechs Jahren wurden nur 64 von 700 registrierten Wirkstoffherstellern inspiziert, ganz zu schweigen von nicht registrierten kleinen chinesischen Herstellern. Und genau dies ist auch hier der Fall.
70 Prozent des in China produzierten Heparins werden in kleinen Familienbetrieben in der Provinz Jiangsu, nördlich von Shanghai, hergestellt, wo ganze Dörfer Heparin-Produktionssstätten sind, wie die New York Times am 16. Februar 2008 berichtete. In baufälligen und unbeheizten Hütten verarbeiten Teams von vier bis acht Menschen, bekleidet mit Schürzen und weißen Schuhen, Schweinedärme zu Heparin.
Das von Baxter verarbeitete Heparin führte nach parenteraler Anwendung bei nahezu eintausend Patienten zu schwerwiegenden, für einen allergischen Schock typischen Nebenwirkungen wie Herzrasen, Übelkeit, Erbrechen, massive Hypotonie und Atemnot bis hin zu Todesfällen. Die meisten Zwischenfälle des unfraktionierten Heparins wurden aus Dialysezentren berichtet. Baxter hat daraufhin die Chargen Ende Februar vom Markt genommen. Erste Untersuchungen der FDA besagen, dass das Heparin mit bis zu 20 Prozent mit dem Glucosaminoglycan Chitosansulfat verunreinigt ist. Dem Chitosansulfat, das normalerweise nur peroral als Schlankheitsmittel eingesetzt wird und in dieser Form nicht bioverfügbar ist, werden die oben genannten Nebenwirkungen zugeschrieben. Es ist zurzeit nicht klar, wie es zu dieser Kontamination des Heparins gekommen ist.
Verdächtige Chargen vom Markt
Baxter hat 13 Tonnen Heparin nach Deutschland, 11 Tonnen nach Frankreich und circa 10 Tonnen in die USA geliefert. Bemerkenswerterweise stammen die Chargen, die nach Europa exportiert worden sind, aus einer anderen Quelle. Nichtsdestoweniger wurden ähnliche Nebenwirkungen berichtet. Zurzeit ist unklar, ob die europäischen Chargen ebenfalls Chitosansulfat enthalten oder andere Heparin-artige Produkte. Die verdächtigen Chargen wurden vom Markt genommen; sie werden jetzt mit den oben genannten Analysenmethoden untersucht.
Mit der Marktrücknahme scheint die Gefahr, die vom Heparin ausgeht, erst einmal gebannt zu sein, auch wenn man den Fall noch intensiv untersuchen muss. Damit ist aber das eigentliche Problem nicht gelöst. Produkte aus China führen immer wieder zu Problemen.
Erst kürzlich veröffentlichten die panamesischen Behörden den Abschlussbericht über eine Massenvergiftung mit 174 erkrankten und 115 verstorbenen Patienten, die einen Hustensaft eingenommen hatten, der statt Diphenhydramin das Frostschutzmittel Diethylenglykol enthielt. Auch dieser Hustensaft stammte von einem nicht lizensierten und damit nicht kontrollierten Betrieb in China. Ebenso kam mit Diethylenglykol kontaminierte Zahnpasta aus China auf den Markt in den Vereinigten Staaten, Panama, Australien und in der Dominikanischen Republik. Es ist nicht auszuschließen, dass sich solche Fälle auch in Deutschland ereignen, wie das Beispiel Heparin zeigt.