Länger zielgerichtet therapieren |
01.03.2016 14:52 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Osimertinib ist ein neuer Tyrosinkinaseinhibitor (TKI), der bei Lungenkrebs-Patienten mit EGFR- Mutation eingesetzt werden kann, wenn der Tumor aufgrund einer bestimmten Mutation gegen andere TKI resistent geworden ist. Für Patienten in diesem fortgeschrittenen Stadium bedeutet das, dass ihnen die Chemotherapie länger als bisher erspart werden kann.
Der neue Wirkstoff ist bestimmt zur Therapie von Erwachsenen mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) und T790M-Mutation des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR). Bei einer Pressekonferenz am Rande des Krebskongresses in Berlin wurde Osimertinib, das Astra-Zeneca unter dem Handelsnamen Tagrisso® auf den Markt bringen wird, vorgestellt.
Methionin statt Threonin
Eine systemische Chemotherapie ist bei Krebs im fortgeschrittenen Stadium häufig unumgänglich. Der orale Tyrosinkinase-Hemmer Osimertinib kann den Zeitpunkt dafür bei Lungenkrebs-Patienten hinauszögern.
Foto: Imago/epd
»Die T790M-Mutation ist die häufigste Resistenzmutation gegen TKI. Sie liegt bei etwa 60 Prozent der Patienten vor, bei denen es zu einem Versagen der TKI-Therapie gekommen ist«, erklärte Professor Dr. Wilfried Eberhardt vom Universitätsklinikum Essen. An einer Stelle des EGFR hat dabei ein Austausch von Aminosäuren stattgefunden: Threonin ist durch Methionin ersetzt. Diese Änderung führt dazu, dass TKI der ersten und zweiten Generation nicht mehr an den Rezeptor binden können.
Osimertinib wird wie die anderen TKI oral gegeben. Es bindet selektiv und irreversibel an den EGFR mit T790M-Mutation und unterbindet dessen dauerhafte Aktivierung. Die empfohlene Dosis beträgt 80 mg oder eine Filmtablette einmal täglich. Für Fälle, in denen schwere Nebenwirkungen eine Dosisreduktion erforderlich machen, steht auch eine Zubereitung mit 40 mg pro Filmtablette zur Verfügung.
Die Basis für das beschleunigte Zulassungsverfahren bildete das AURA-Studienprogramm mit zwei kombinierten Phase-II-Studien und einer Phase-I-Expansionsstudie. Darin erhielten insgesamt 474 Patienten den neuen Wirkstoff bis zum Fortschreiten der Erkrankung. Die objektive Ansprechrate betrug 61,2 bis 70,7 Prozent und das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) 9,7 Monate. »Damit ist das PFS in etwa dem der Erst- und Zweitgenerations-TKI vergleichbar. Bei diesen kommt es etwa nach acht bis 16 Monaten zu einem Fortschreiten der Erkrankung«, sagte Professor Dr. Michael Thomas von der Thoraxklinik Heidelberg.
In vier Phase-III-Studien sowie einer Phase-Ib-Studie untersucht Astra- Zeneca die Substanz weiter in verschiedenen Patienten-Subgruppen als Mono- oder Kombitherapie. Auch der Einsatz bei Patienten, die zuvor keine TKI-Therapie erhalten haben, wird getestet – immer unter der Voraussetzung eines positiven T790M-Nachweises. Denn die Mutation entsteht zwar meist infolge des Selektionsdrucks durch TKI-Therapie. Bei wenigen Patienten liegt sie aber auch schon von vorneherein vor.
Besser verträglich
Zu den Nebenwirkungen von Tagrisso gehören Diarrhö, Hautausschlag und Thrombo- beziehungsweise Leukozytopenie. Auch eine Verlängerung des QTC-Intervalls ist möglich. Alles in allem ist das Sicherheitsprofil von Osimertinib dem anderer TKI vergleichbar. Thomas betonte aber, dass es in den Zulassungsstudien kaum zu schweren Toxizitäten der Grade 3 oder 4 gekommen sei. Insgesamt hält er die neue Substanz daher für besser verträglich als die älteren TKI.
»Die Leitlinien empfehlen mittlerweile bei Patienten mit EGFR-Mutation TKI als Erstlinientherapie. Sie sind der Platin-basierten Chemotherapie in Bezug auf die Ansprechrate, das progressionsfreie Überleben und das Nebenwirkungsprofil überlegen«, sagte Eberhardt. Dass mit Tagrisso nun eine Substanz zur Verfügung stehe, mit der sich bei Versagen der Erstlinie die TKI- Therapie fortsetzen lasse, sieht er als große Verbesserung im Interesse der Patienten. Das Fernziel sei, Patienten mit einer sequenziellen TKI-Therapie möglichst lange peroral zu behandeln, wie das heute schon mit großem Erfolg bei der chronisch-myeloischen Leukämie gelänge.
Doch dort ist man bei NSCLC noch lange nicht. »Momentan sieht es so aus, dass alle Patienten irgendwann eine Chemotherapie brauchen«, sagte Eberhardt. Mit Osimertinib lässt sich jedoch der Zeitpunkt, an dem es soweit ist, ein Stück weit nach hinten verschieben. /