Arzneimittel aus Luft |
| 26.02.2013 06:37 Uhr |
Von Cornelia und Peter Imming / Sauerstoff, Stickstoff und Helium sind Gase mit kleiner Atom- oder Molekülmasse und großer Bedeutung, oft auch Wirkung. Als medizinische Gase dienen sie zur Beatmung und zur Therapie. Neuerdings werden medizinisch auch Gase eingesetzt, die auf den ersten Blick als Kuriosa oder Mordversuche erscheinen, beispielsweise Xenon, Stickstoff- und Kohlenmonoxid.
Menschen wollen und müssen auch im narkotisierten Zustand bei Operationen atmen. Hierbei helfen medizinische Gase. Zudem haben manche Gase eigene Effekte, die medizinisch vorteilhaft sind, zum Beispiel eine analgetische Wirkung (Lachgas). Moleküle wie Stickstoff- und Kohlenmonoxid (NO, CO) fungieren als körpereigene Botenstoffe und wirken vasodilatierend bei Lungenhochdruck. Man unterscheidet Atemgase im Klinik- und Homecare-Bereich, Gase zur Narkose, Anästhesie und zur Diagnostik. Abbildung 1 zeigt einige dieser kleinen Moleküle mit großem Effekt.
Als Gase werden auch Inhalationsnarkotika eingeatmet, die Flüssigkeiten sind, freilich mit hohem Dampfdruck. Früher verwendete man Ether (erstmals 1840) und Chloroform (erstmals 1847). Moderne Inhalationsnarkotika wie die halogenierten Ether Isofluran und Sevofluran vereinen die Nichtbrennbarkeit des Chloroforms mit der etwas besseren Leberverträglichkeit des Ethers. Der partielle Austausch von Chlor gegen Fluor verbessert die Verträglichkeit weiter. In diesem Beitrag werden nur »echte« medizinische Gase vorgestellt.
Gewinnung aus Umgebungsluft
Die meisten medizinischen Gase werden in Luftzerlegungsanlagen durch die Kombination von Linde-Verfahren und Georges-Claude-Verfahren gewonnen. Was bedeutet das?
Die gefilterte Umgebungsluft wird mit einem Kompressor auf etwa 6 bar verdichtet. Dabei erwärmt sich die Luft, wird mit Wasser vorgekühlt und durch einen Adsorber gereinigt. An der verdichteten und vorgekühlten Luft führt man durch Entspannung weiter abgekühlte Gasströme vorbei und kühlt sie so auf -175 bis -180 °C herunter. Durch ein Expansionsventil wird die Luft in eine große Rektifikationskolonne entspannt und kühlt dadurch weiter bis zur teilweisen Verflüssigung ab. Sauerstoff sammelt sich flüssig am Boden der Rektifikationssäule, Stickstoff gasförmig oben. Sie werden dort jeweils entnommen. Über weitere Kolonnen und Reinigungsschritte werden die Edelgase Helium, Xenon und Argon abgetrennt.
Stickstoffoxide werden großtechnisch aus Ammoniak-Verbindungen gewonnen, Kohlenstoffoxide aus festen, flüssigen oder gasförmigen Kohlenstoffquellen (Kohle, Erdöl, Erdgas). Helium wird hauptsächlich aus heliumreichen Erdgasquellen gewonnen. Eine Heliumgewinnung durch Kryodestillation aus Luft ist zwar technisch möglich, da es aber nur in Spuren vorkommt, ist dies unrentabel (5).
Nach der Reinigung werden die Gase in verflüssigter Form in großen Tanks gelagert oder in Gasflaschen oder in für den Patienten bestimmte Versorgungseinheiten abgefüllt.
Atemgase im Klinik- und Homecare-Bereich
Als Atemgase im Klinik- und Homecare-Bereich werden medizinischer Sauerstoff und medizinische Luft sowie vereinzelt Helium und medizinischer Stickstoff eingesetzt.
Fast 15 Millionen Patienten werden jährlich in den Kliniken mit medizinischem Sauerstoff beatmet. Es gibt drei Monographien in der Pharmacopoea Europaea (Ph. Eur.): Sauerstoff, Sauerstoff 93 Prozent, eine für radioaktiven Sauerstoff (15O) und eine Gehaltsbestimmungsmethode für Sauerstoff in Gasen. Geliefert wird entweder Flüssigsauerstoff, der in große Tanks gefüllt wird, oder gasförmiger Sauerstoff in Druckgasflaschen.
Sauerstoff 93 Prozent wird durch adsorptive Reinigung mit Zeolithen hergestellt. Diese Methode nützt vor allem Militärlazaretten. So können diese Institutionen Sauerstoff zur Beatmung aus der Umgebungsluft nach Arzneibuch herstellen und sind nicht auf die Anlieferung von Sauerstoff-Druckgasflaschen angewiesen.
Zur Inhalation und Beatmung wird medizinischer Sauerstoff durch geeignete Verdampfungs- und/oder Beatmungsanlagen in 30- bis 100-prozentiger Konzentration verwendet.
Neuere Studien haben gezeigt, dass eine Erhöhung des Sauerstoffanteils in der Einatmungsluft von 30 auf 80 Prozent die subkutan gemessene Sauerstoffspannung verdoppelt. In der Folge halbierte sich die Rate an postoperativen Wundinfektionen. Parallel stiegen bestimmte proinflammatorische Zytokine an; ob das einen vorteilhaften Schutzmechanismus oder eine überschießende Abwehrreaktion einleitet, konnte nicht unterschieden werden (6). Mit weiteren Studien hofft man zu belegen, dass durch erhöhte Sauerstoffspannung bei Operationen Gewebehypoxien vermieden, Wundheilungsraten erhöht und ischämische Komplikationen sowie Übelkeit und Erbrechen reduziert werden können (7).
Medizinischer Sauerstoff für ambulante Patienten
Für die Apotheke ist die Abgabe von medizinischem Sauerstoff an Patienten zu Hause bedeutsam. Gut eingestellte und geschulte Patienten mit chronisch respiratorischer Insuffizienz (8) können nicht-invasiv und invasiv zu Hause beatmet werden. Bei pulmonaler Insuffizienz reicht reine Sauerstoffzufuhr. Bei ventilatorischer Insuffizienz muss aktiv beatmet werden; hier wird der Luft oftmals Sauerstoff beigefügt (9, 10, 11).
Auch Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder schwerem Asthma können für ihre Langzeit-Sauerstofftherapie (LTOT) Sauerstoff und Geräte über die Apotheke beziehen. Patienten profitieren von einer LTOT, wenn sie eine COPD im Stadium IV und einen sehr niedrigen Sauerstoffpartialdruck unter 55 mmHg haben oder wenn sie an pulmonaler Hypertonie oder peripheren Ödemen leiden. Studien ergaben, dass Patienten, die schon im Ruhezustand hypoxisch sind, mit LTOT im Mittel zwei Jahre länger leben.
Im Homecare-Bereich waren die Sauerstoffkonzentratoren lange Zeit die einzige Möglichkeit, Sauerstoff zuzuführen. Der Einsatz der LTOT bei COPD, schwerem Asthma und Schlafapnoe erforderte jedoch andere Beatmungssysteme, die die Mobilität der Patienten erhalten (Tabelle). Da nur bei mindestens 16-, am besten 24-stündiger LTOT Erfolg zu erwarten ist, wurden Kombinationen von Stand- und mobilem Gerät mit kryoverflüssigtem Sauerstoff entwickelt. Das mobile Gerät kann am Standgerät befüllt werden. Geräte mit eingebauten Sparventilen und sogenannte Sauerstoff-Demand-Systeme, die die Sauerstoffzufuhr elektronisch an den Atemrhythmus anpassen, verlängern die Reichweite auf das 8- bis 10-Fache.
| System | Fassungsvermögen | Reichweite bzw. Füllvolumen O2 (L), 1,013 bar, 15°C | Vor- und Nachteile |
|---|---|---|---|
| Konzentrator | Kompressor, der aus der Umgebungsluft Sauerstoff auf 90 bis 95 Prozent konzentriert | Stationär, dauerhaft; zur Befüllung mobiler Sauerstoffflaschen (0,8 bis 2 L) | Vorteil: dauerhaft, kostengünstig, kein Nachfüllen; Nachteil: großes Gerät, 30 bis 50 kg, benötigt Stromanschluss, stationär, lauter Kompressor (30 bis 50 Dezibel) |
| Gasdruckflaschen | Nennvolumen (L): 2,0 bis 50,0 Fülldruck (bar): 200 Füllmasse (kg): 0,5 bis circa 13 | circa 400 bis 10 000 | Vorteil: kein Stromverbrauch, kein Geräusch, mobil; Nachteil: muss regelmäßig ausgetauscht werden, relativ kleiner O2-Vorrat |
| Flüssigsauerstoff: ortsfeste Tanks (Tankverdampferanlagen) | verschiedene Größen von 1500 bis 60 000 L | 1 280 000 bis circa 77 000 000 | Vorteil: Großverbraucher- Kryo-Sauerstoffanlagen, Volumenersparnis |
| Vorratstanks für den Homecare-Bereich mit kälteverflüssigtem Sauerstoff (-183 °C) | Nennvolumen (L): 150 bis 600 Füllmasse (kg): 170 bis circa 650 | 132 000 bis circa 500 000 | Vorteil: Volumenersparnis; aus Vorratstank kann Flüssigsauerstoff in mobile Geräte umgefüllt werden |
| mobile Geräte für unterwegs mit kälteverflüssigtem Sauerstoff (-183 °C) | Nennvolumen (L): 2 bis etwa 5 Füllmasse (kg): 2 bis ca 5,7 | 2350 bis circa 6000 | Vorteil: Patient bleibt mobil, auch auf Reisen, Mobilitätsradius mit Sparventil bis zu 20 Stunden |
Geht der Patient auf Reisen, bieten die Firmen die Lieferung eines Flüssigsauerstofftanks bis ans Urlaubsziel im europäischen Ausland an. Zusätzlich hat jede Firma viele »Tankstellen«, wo mobile Systeme aufgeladen werden können. Für den Transport des mobilen Systems gilt die Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt (GGVSEB).
Medizinische Luft
Medizinische Luft (Ph. Eur.) zur therapeutischen Beatmung von Patienten zählt zu den Funktionsarzneimitteln. Meist wird sie in Krankenhäusern durch Kompressoren aus der Umgebungsluft erzeugt, gereinigt, getrocknet und in ein Leitungsnetz eingespeist. Dies darf laut AMG ohne Herstellungserlaubnis erfolgen, wenn der Träger des Krankenhauses nach dem Gesetz über das Apothekenwesen Arzneimittel abgeben darf. Ansonsten liegt die arznei-/apothekenrechtliche Verantwortung bei der Krankenhaus- beziehungsweise krankenhausversorgenden Apotheke. Die Qualitätsprüfung erfolgt nach Arzneibuch, die Prüfung der für die Herstellung benötigten Anlagen nach anerkannten technischen Standards (2).
Medizinische Luft liefern Gasehersteller auch in Druckgasflaschen. Sie kommt zum Einsatz bei künstlicher Beatmung, zum Beispiel bei Koma- Patienten, als Treibgas bei Inhalation mit Verneblung, zur Versorgung von immunsupprimierten Menschen nach Organtransplantation oder bei schweren Brandverletzungen.
Synthetische medizinische Luft (95 bis 105 Prozent) (Ph. Eur.) besteht aus Stickstoff und Sauerstoff (21 bis 22,5 Prozent).
Medizinischer Stickstoff
Medizinischer Stickstoff (Ph. Eur.) wird durch Kryodestillation aus Umgebungsluft gewonnen. Sein Siedepunkt beträgt -196 °C, liegt also 13 °C tiefer als Sauerstoff, wodurch die Gase trennbar sind. In den Handel kommt er als Flüssigstickstoff in Tanks und Dewargefäßen oder als Gas in Druckgasflaschen. In Technik und Lebensmittelindustrie dient Stickstoff zur Kühlung oder Schockfrostung.
Flüssiger Stickstoff wird in der Kryotherapie verwendet, um Hautveränderungen wie Warzen und aktinische Keratosen zu entfernen (»vereisen«). Weitere Verwendung findet er zur Kryokonservierung von Blut, Fortpflanzungszellen (Eizellen und Sperma) sowie anderen biologischen Proben und Materialien inklusive Spenderorganen und deren Transport. Bei dieser Zweckbestimmung handelt es sich um ein Medizinprodukt.
Gasförmiger Stickstoff wird als Hilfsstoff zur Herstellung medizinischer Luft verwendet.
Die Ph. Eur. enthält außerdem die Monographie »Sauerstoffarmer Stickstoff«. Diese Qualität wird als Inertgas (Hilfsstoff) bei der Herstellung und Lagerung von Arzneimitteln eingesetzt, die gegenüber Sauerstoff oxidationsempfindlich sind.
Helium
Helium wurde 1868 als Linie im Chromosphärenspektrum der Sonne entdeckt (12) und 1892 auf der Erde in der Lava vom Vesuv nachgewiesen (13). 1895 isolierten mehrere Forschergruppen es zeitgleich und bestimmten seine Masse (14). 1903 fand man es als Beimischung in großen unterirdischen Gasvorkommen in den USA (15). Weitere Vorkommen sind in Kanada, Polen, Russland (Sibirien), Algerien und Katar.
Aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften hat Helium viele Anwendungsmöglichkeiten. Es ist inert, hat einen niedrigen Siedepunkt, niedrige Dichte, geringe Löslichkeit und hohe Wärmeleitfähigkeit. Etwa 22 Prozent der geförderten Menge werden zur Kühlung supraleitender Magnete von MRT- und NMR-Geräten eingesetzt (16). Helium dient als Pack- und Trägergas in der Lebensmittelindustrie, als Lecksuchspray in Druckgasanlagen, in der Schweißtechnik, im Tauchsport, in Raumfahrt und Raketentechnik und seit 1921 in der Ballonfahrt (17). Allein der Ballon für Felix Baumgartners Space-Jump am 14. Oktober 2012 besaß ein Fassungsvermögen von 834 500 m3 Helium (18).
Bereits 1934 beschrieb Barach den Einsatz von Helium in Atemgasen zur Behandlung von Asthma und obstruktiven Lungenerkrankungen wie COPD (19, 20). Seit den 1980er-Jahren wird es in der pädiatrischen Notfallbehandlung bei Asthma- und Krupp-Anfällen als Gasgemisch mit 21 Prozent Sauerstoff (Heliox 21) eingesetzt. Eine Arzneimittelzulassung gibt es allerdings nur in Großbritannien.
Für medizinische Gase gab es bis zur Arzneimittelgesetz (AMG)-Novelle vom September 2005 keine durchgehende Anwendung der arzneimittelrechtlichen Regelungen. Bau- und Schweißtechnikbetriebe, chemische Industrie und Krankenhaus bekamen oft das gleiche Produkt. Seit der AMG-Novelle 2005 (1) mussten alle industriell oder gewerblich hergestellten Gase zur direkten Anwendung am Menschen bis zum 1. September 2008 als Fertigarzneimittel zugelassen oder zumindest die Zulassung beantragt sein. Für medizinische Gase, die als Medizinprodukt eingestuft werden, musste eine CE-Kennzeichnung erlangt werden. Seitdem gelten höhere Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Herstellung, Prüfung, Umfülltechnologien und Vertrieb von medizinischen Gasen, den Gastankanlagen und ihren Gerätschaften.
Die rechtliche Einstufung eines medizinischen Gases als Arzneimittel oder Medizinprodukt erfolgt gemäß seiner Zweckbestimmung (2). Für druckverdichteten Sauerstoff und Lachgas gibt es Standardzulassungen. Gasförmiger Sauerstoff in speziellen Druckgasflaschen und kryogen (durch Kältetechnik) hergestellter Flüssigsauerstoff benötigen je eine eigene Zulassung. Fast alle Gase wurden als Monographie in die Pharmacopoea Europaea (Ph. Eur.) aufgenommen und ihre Herstellung und Prüfung in GMP-Leitlinien festgelegt (3). Alle benötigten Gerätschaften, zum Beispiel Beatmungsgeräte, Flüssigsauerstoffbehälter und Ventile, sowie alles Zubehör, zum Beispiel Beatmungsmaske, Sauerstoffbrille und Schläuche, sind Medizinprodukte.
Gasflaschen sind jeweils einem Gas/Gasgemisch zugeordnet und mit einer Farbcodierung nach internationalen Standards versehen. Da es sich um wiederverwendbare Behältnisse handelt, werden eine Qualifizierung vor jeder Befüllung, ein Minimalrestdruckventil und Rückverfolgung des Einzelprodukts gefordert.
Medizinische Gase dürfen aufgrund besonderer Anforderungen an Transport (Gefahrgut) und Lagerung direkt an das Krankenhaus oder einen Arzt geliefert werden. Wie alle Fertigarzneimittel müssen die Vorräte auf den Stationen oder anderen Teileinheiten eines Krankenhauses regelmäßig geprüft werden. Diese Forderung wurde mit der neuen Apothekenbetriebsordnung auf apothekenpflichtige Medizinprodukte erweitert (4).
Helium wirkt selbst nicht bronchodilatatorisch oder entzündungshemmend. Die Wirkung beruht auf seinen physikalischen Eigenschaften. Es erhöht die Gasdurchflussrate durch Verringerung der Turbulenzen im oberen Lungenbereich und führt zu einem laminaren Luftstrom, sodass die Adhäsion anderer Gaspartikel an der Trachealwand herabgesetzt wird. Aufgrund seiner viermal höheren Strömungsgeschwindigkeit als Luft kann Helium verengte Atemwege leichter passieren. Seine Konzentration sollte über 70 Prozent liegen. Der Helium-Einsatz soll die Zeit bis zum Eintritt der Wirkung des Bronchodilatators überbrücken und die Atmung erleichtern. In Deutschland ist Heliox 21 dafür nicht zugelassen, da die vorliegenden Studien nach aktuellen Anforderungen als nicht aussagekräftig genug eingestuft werden (21, 22, 23, 24). Weitere Studien werden abgewartet.
Lachgas in der Anästhesie
Die klassische Anwendung von Gasen in der Medizin findet man in der Anästhesie.
Lachgas (Distickstoffmonoxid, N2O) hat narkotische, mäßig bis stark analgetische und schwach sedative Wirkung. Aufgrund seines niedrigen Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten von 0,47 löst es sich schlecht im Blut; dadurch flutet es im Gehirn schnell an und ab. Da Lachgas ausschließlich über die Lunge ausgeschieden wird, ist die Konzentration im Ausatemstrom messbar und mit der Körperkonzentration korrelierbar. So kann die Dosierung bei jedem Atemzug überwacht und angepasst werden. Lachgas hat nur geringe Nebenwirkungen. Dennoch sollte die Inhalation acht Stunden nicht überschreiten, da es den Vitamin-B12- und Folsäure-Stoffwechsel durch Hemmung der Methioninsynthase beeinträchtigt.
Sehr gut geeignet ist es für die chirurgische Ambulanz, Gastroenterologie (Koloskopie) (25, 26), Unfallchirurgie, bei Zahnextraktionen, Geburten ohne Epiduralanästhesie, Traumen und oralen Operationen, in der Orthopädie, plastischen Chirurgie und Urologie. Zur Verfügung stehen in Deutschland Produkte mit 100 Prozent Lachgas sowie Fertigmischungen mit 50/50 Lachgas/Sauerstoff (Livopan®, Abbildung 2).
Ein besonderes Anwendungsgebiet ist der Einsatz in der Kindernotfallmedizin (27, 28). Die Inhalation des Lachgas/Sauerstoff-Gemischs stellt eine noch wenig genutzte Alternative zur oralen, rektalen oder intravenösen Gabe eines Analgetikums oder Sedativums dar. Die Anwendung ist nebenwirkungsarm, die Compliance der kleinen Patienten groß. Bunte Masken oder Duftstoffe in den Masken bieten zusätzliche Ablenkung (Abbildung 3).
Kontraindikationen ergeben sich aus dem Diffusionsverhalten von Lachgas. Dem Konzentrationsgefälle folgend dringt es in luftgefüllte Höhlen ein. Bei Ileus, Pneumothorax, Mittelohr-, neuro- und herzchirurgischen Eingriffen und nach kürzlich durchgeführten Gasinjektionen am Auge ist es kontraindiziert.
Weiterhin wird Lachgas in der Raketentechnik und zur Beschleunigung von Ottomotoren verwendet. In der Lebensmittelindustrie dient es als Aerosolgas, besonders bei Milchprodukten, zum Beispiel zum Aufschäumen von Schlagsahne. Gefährlich ist es, das im Handel befindliche Tuning-Gas für Motoren zu inhalieren, da die Reinheit des Lachgases nicht gegeben ist und die Zusätze toxisch sind.
Xenon: Narkose de luxe
Ein weiteres Edelgas mit medizinischer Anwendung ist Xenon. Es wurde 1898 von Ramsay und Travers entdeckt (29), 1939 erkannte Albert R. Behnke seine anästhetische Wirkung. Die erste Operation unter Xenon-Narkose gelang Stuart C. Cullen 1951 (30). Das Gas ist in der Atmosphäre mit etwa 0,09 ppm enthalten, auch in manchen Mineralien und Erdgasen in geringem Anteil. Gewonnen wird es durch Kryodestillation aus Luft. Seit 2005 ist es in Deutschland als Narkosegas zugelassen.
Stickstoffmonoxid wurde 1772 von Joseph Priestley entdeckt. Ende der 1970er-Jahre erkannte Ferid Murad die physiologischen Wirkungen. Robert F. Furchgott fand heraus, dass das Endothel einen Faktor produziert, der zur Erschlaffung der Gefäßmuskulatur führt. Etwa zeitgleich mit Louis J. Ignarro konnte er diesen Faktor als NO identifizieren. NO wird durch NO-Synthasen (NOS) aus der Aminosäure L-Arginin und Sauerstoff hergestellt. Dass ein gasförmiges und so winziges Molekül als Signalüberträger in ganz verschiedenen Prozessen agiert, war für die Wissenschaft ein völlig neues Konzept. NO leitet Signale von Nervenzelle zu Nervenzelle weiter, wirkt durch Vasodilatation blutdrucksenkend und ist wichtig für die Immunabwehr. 1992 kürte die renommierte Zeitschrift Science NO zum »Molekül des Jahres«, 1998 wurde den drei Forschern der Nobel-Preis verliehen. 1999 (USA) und 2001 (Europa) wurde NO als erstes Gas als Arzneimittel (INOmax®) zugelassen. Die Druckgasflasche enthält 400 oder 800 ppm (0,04 oder 0,08 Prozent) NO als wirksamen Bestandteil, der Rest ist Stickstoff.
Xenon ist ein nahezu ideales Narkosegas. Es ist inert, hat einen noch niedrigeren Blut-Gas-Verteilungskoeffizienten als Lachgas, kann daher gut überwacht und gesteuert werden. Die Patienten sind nach der Narkose sofort wieder »voll da«. Bei Verwendung geschlossener Systeme kann Xenon nach Abtrennen des Kohlendioxids aus der Ausatemluft zurückgewonnen und neu zugeführt werden. Xenongas ist teuer: Ein Liter kostet etwa 10 Euro, bei einer zweistündigen Operation braucht man 15 bis 20 Liter. Besonders geeignet ist es für Hochrisikopatienten, bei sehr langen Operationszeiten sowie für Patienten, die sofort nach der Operation ansprechbar und deren neuronale Reize, zum Beispiel nach einer Gehirnoperation, sofort testbar sein sollen.
Weitere Verwendung findet Xenon als Füllgas in vielen Lampen. Der gezündete Lichtbogen erreicht eine Temperatur von etwa 6000 K und ist mit Tageslicht vergleichbar.
Stickstoffmonoxid zur Therapie
Neben den Gasen Sauerstoff, Helium und Lachgas wurde vor 20 Jahren ein weiteres Gas für den therapeutischen Einsatz entdeckt. Stickstoffmonoxid (Kasten) ist ein farbloses Giftgas, das an der Luft mit Sauerstoff sehr schnell zu Stickstoffdioxid reagiert. NO ist schleimhautreizend; seine toxische Wirkung beruht auf Methämoglobin-Bildung (31).
Im Gegensatz zu intravenösen Vasodilatatoren wie Nitroglycerin führt inhaliertes NO nur im pulmonalen Kreislauf zu einer Vasodilatation. Dadurch verbessert es die Oxygenierung des Blutes in der Lunge. Wegen der kurzen Halbwertszeit muss es kontinuierlich gegeben werden.
Zugelassen wurde NO (INOmax®) in Verbindung mit künstlicher Beatmung zunächst nur für Neugeborene mit hypoxisch respiratorischer Insuffizienz, die mit klinischen oder echokardiografischen Anzeichen von pulmonaler Hypertonie einhergeht (32). 2011 wurde die Zulassung erweitert auf alle Altersgruppen mit pulmonaler Hypertonie im Rahmen der Herzchirurgie. Ziel ist, den pulmonal-arteriellen Druck zu senken sowie die rechtsventrikuläre Funktion und Oxygenierung zu verbessern (33, 34).
Während der Inhalation müssen Dosierung und Dichtigkeit der Apparatur überwacht werden, auch um das klinische Personal nicht toxischen NO-Dosen auszusetzen. Bei Vermischung mit Sauerstoff kann das viel toxischere NO2 entstehen. Die Abgabegeräte müssen deshalb NO bei jedem Atemzug unmittelbar vor dem Einatmen dem Luft-Sauerstoff-Gemisch zumischen. Zusätzlich muss die inspiratorische NO- und NO2-Konzentration überwacht werden.
Kohlendioxid in der Endoskopie
Kohlendioxid wird aus natürlichen Quellen und als Abfallprodukt aus der technischen Verbrennung gewonnen und vielseitig in Technik und Medizin verwendet. Bei Entspannung von flüssigem CO2 entsteht Trockeneis. In Scheiben oder Pellets gepresst wird es vielseitig als Kältemittel eingesetzt, gasförmiges CO2 in der Getränkeindustrie oder als Löschmittel in Feuerlöschern.
In der modernen, minimal invasiven Chirurgie gilt medizinisches Kohlendioxid (Ph. Eur.) (Laparox®, Kohlendioxid medicAL®) als unverzichtbar. Es wird durch Insufflation (»Aufblasen«) zur künstlichen Erweiterung und Stabilisierung von Körperhöhlen bei laparoskopischen, hysteroskopischen, thorakoskopischen und arthroskopischen Untersuchungen sowie bei der Endoskopie eingesetzt. Anschließend resorbiert der Körper das Gas problemlos. Vorsicht ist geboten bei Patienten mit Lungenfunktionsstörungen oder Herzinsuffizienz. Insufflation von Gelenkhöhlen nach Frakturen birgt erhöhte Gasemboliegefahr. Bei Überdosierung kann es zur Schädigung der Körperhöhlen kommen, zu starke Resorption führt zu Hyperkapnie (zu hoher CO2-Gehalt im Blut) mit Gefahr einer Atemlähmung und Azidose. Bei ungewöhnlichen Arrhythmien und Herzgeräuschen muss an eine Gasembolie gedacht werden. Bei einer laparoskopischen Operation kann jederzeit ein Pneumothorax auftreten (35).
In der Kryochirurgie und -therapie wird Kohlendioxid als Vereisungs- oder Kühlmittel eingesetzt, ebenso zu Lagerung und Transport von Organspenden und Zellmaterial.
Gase zur Prüfung der Lungenfunktion
Gasgemische unterschiedlicher Zusammensetzung werden verwendet, um Diffusionskapazität, Lungenvolumen und pulmonalen Blutfluss zu bestimmen. Sie enthalten kleine Anteile von Kohlenmonoxid, Stickstoffmonoxid, Acetylen, Methan oder Helium in synthetischer Luft. Die beiden erstgenannten dienen als Marker für die Diffusionskapazität aus der Lunge in das Kapillarblut der Alveolen. Die Aufnahme erfolgt nur in den Abschnitten der Lunge, wo eine alveoläre Ventilation und Perfusion stattfindet. Bei parenchymatösen Lungenveränderungen sinkt die Diffusionskapazität und damit die Aufnahme.
Acetylen wird schnell ins Blut aufgenommen. Die Elimination aus dem eingeatmeten Gas wird als Parameter für die Bestimmung des Blutflusses eingesetzt.
Methan und Helium werden nicht in den Körper aufgenommen, sondern in der ganzen Lunge verteilt. Sie werden zur Messung des Lungenvolumens eingesetzt.
Ausblick
Bei einigen bekannten Gasen werden zurzeit die Indikationen ausgeweitet, andere Gase werden neu für die Therapie entdeckt. Beispielsweise wird untersucht, ob NO in der initialen Schlaganfallbehandlung eingesetzt werden kann, da spezifisch in hypoxischen Arealen die Sauerstoffversorgung verbessert wird.
Schwefelwasserstoff verlangsamt bei Mäusen die Stoffwechselvorgänge und lässt die Körpertemperatur absinken. Die Tiere befinden sich in einem winterschlafähnlichen Zustand, der reversibel und unschädlich ist. Überlegt wird, ob H2S für Langzeitsedierung, lange Operationen oder polytraumatisierte Patienten eingesetzt werden kann (36).
Kohlenmonoxid zeigt zytoprotektive und antiinflammatorische Effekte in geringen, nicht toxischen Dosen (37).
Alle drei Substanzen werden zurzeit in Tierorganversuchen auf ihre Eignung zum Organschutz bei Transplantationen getestet (38, 39). Dabei wird nicht nur die Persufflation des Organs direkt mit den Gasen untersucht, sondern auch NO-, CO- oder H2S-freisetzende Substanzen getestet. Zur Persufflation wird das Organ gekühlt (4 °C), mit Nährlösung über die Hauptader durchspült und dann mit einer Kanüle die Gasmischung (O2 mit CO, NO oder H2S) zugeführt. Dies ergibt eine bessere Sauerstoffversorgung der Zellen. Man hofft, damit Organschäden während Lagerung und Transport sowie ischämische Effekte nach der Transplantation zu verhindern. /
Cornelia Imming studierte Pharmazie in Marburg. Nach ihrer Approbation 1985 war sie in verschiedenen öffentlichen Apotheken tätig. Sie ist Autorin des Themengebiets »Pharmazie« der Römpp-Lexika.
Peter Imming studierte Pharmazie und Chemie in Marburg. Nach Stationen im In- und Ausland hat er seit 2004 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eine Professur für Pharmazeutische Chemie inne. Aktuelle Forschungsprojekte sind neue Tuberkulostatika, stabile Radikale für ESR-Diagnostik sowie Arzneistoffmetabolite als Akteure im Endocannabinoid- und Endovanilloid-System.
Institut für Pharmazie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Wolfgang-Langenbeck-Str. 4, 06120 Halle (Saale), E-Mail: peter.imming(at)pharmazie.uni-halle.de