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Frauen schlechter versorgt als Männer

28.02.2006  12:11 Uhr

Frauen schlechter versorgt als Männer

von Katrin Schomber, Berlin

 

Frauen erhalten zum Teil eine suboptimale medizinische Betreuung, denn viele Therapien sind auf Männer zugeschnitten. Der neu gegründete »19,6 Millionen Klub« mit Sitz in Hamburg will sich für eine geschlechtergerechte Medizin einsetzen.

 

Zum ersten Weltkongress für Gender-Medizin präsentierte sich der 19,6 Millionen Klub in Berlin: Sein Ziel ist die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung von Frauen mittleren Alters nach Vorbild des vor acht Jahren gegründeten 1,6 Millionen Klubs in Schweden. Der Name der Organisation stammt daher, dass 19,6 Millionen Frauen über 45 Jahre in Deutschland leben.

 

Biologisch bedingte Unterschiede zwischen Männern und Frauen werden in medizinischer Forschung und Praxis zu wenig berücksichtigt, sagte Professor Dr. Vera Regitz-Zagrosek, Kardiologin und Direktorin des Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin an der Charité Berlin. Vor allem bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen orientiere sich die Medizin am männlichen Krankheitsbild: »Frauen sind hier eindeutig benachteiligt, sie werden später und unvollständig behandelt«, kritisierte Regitz-Zagrosek. Weiterführende Angiographien sowie die Medikation mit Statinen und Thrombozytenaggregationshemmern würden seltener durchgeführt. Dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen die häufigste Todesursache sind, sei den Frauen selbst oft nicht bewusst. Die Symptome eines Herzinfarktes wären auch andere als bei Männern: Der typische Brustschmerz sei seltener, Frauen verspürten eher Schmerzen im Bauch. Die Einlieferung ins Krankenhaus erfolgt später als bei Männern, weil die Gefahr »Herzinfarkt« nicht erkannt wird. Bei neurologischen Erkrankungen und Diabetes ergäben sich ebenfalls Defizite in der Versorgung von Frauen.

 

In klinischen Studien mit neuen Arzneimitteln sind Frauen absolut unterrepräsentiert, sagte Professor Dr. Karin Schenck-Gustafsson, Direktorin des Zentrums für Geschlechterforschung am Karolinska-Institut in Stockholm. Frauen erleiden somit häufiger und andere unerwünschte Arzneimittelwirkungen als Männer. Standarddosierungen seien für einen 70 kg wiegenden Mann mittleren Alters berechnet, nicht aber für eine 70-jährige Frau mit 50 kg Körpergewicht. Frauen stellen sich zum Beispiel selten für Herz-Kreislauf-Studien zur Verfügung: Hier will der Klub (www.19.6millionenklub.de) dazu beitragen, diese Gefährdung ins Blickfeld der Frauen zu rücken und Aufklärungsarbeit zu leisten. Außerdem soll das Bewusstsein der Mediziner für die weibliche Perspektive geschärft werden, sowohl in der Forschung als auch bereits in der Ausbildung von Ärzten und Ärztinnen.

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