»Ein Schritt in die richtige Richtung« |
18.02.2015 09:54 Uhr |
Von Daniel Rücker und Sven Siebenand, Frankfurt am Main / Täglich werden Tausende Patienten aus dem Krankenhaus entlassen. Die Rückkehr in die ambulante Versorgung ist für sie eine ernsthafte Hürde. Apotheker Jan-Niklas Francke und Gesundheitsökonom Professor Hilko Meyer hoffen, dass die Bundesregierung mit den Entwürfen zum Versorgungsstärkungsgesetz und dem E-Health-Gesetz das Prozedere vereinfacht.
PZ: Wie läuft heute die Entlassung eines Patienten aus dem Krankenhaus ab?
Francke: Patienten werden oft sehr kurzfristig entlassen. Sie erhalten dann in der Regel vom Krankenhaus einen Entlassbrief, aber nur selten ein Rezept für die benötigte Medikation. Es gibt in nur wenigen Krankenhäusern Ambulanzen, die Rezepte für Kassenpatienten ausstellen. Das liegt an fehlenden Ermächtigungen zur ambulanten Versorgung, aber auch an der begrenzten Zeit der Ärzte.
Wenn der Patient entlassen wird, will er schnell nach Hause und nicht mehr warten, bis der Arzt, der schon längst beim nächsten Patienten ist, noch einmal für ihn Zeit hat. Daraus entsteht immer wieder dasselbe Problem: Der Patient benötigt Medikamente, hat aber kein Rezept. Seine Stammapotheke will ihn natürlich versorgen, kann es aber ohne Entlassverordnung nicht. Wenn die Entlassung am Freitag oder Samstag geschieht, dann fällt es schwer, einen Arzt zu finden, der die benötigten Medikamente verordnet. Es ist nicht böser Wille, der das Entlassmanagement erschwert. Die zentralen Probleme sind mangelndes Wissen im Krankenhaus über die Abläufe in der ambulanten Arzneimittelversorgung und Zeitmangel.
PZ: Warum kann die Krankenhausambulanz nicht die Arzneimittel verordnen?
Francke: Das kann sie schon. In der Regel haben die Ärzte aber keine Zeit, vor der Entlassung stationär aufgenommener Patienten Probleme wie Rabattverträge oder Packungsgrößen mit der Stammapotheke des Patienten zu besprechen. Die Ärzte im Krankenhaus kennen die Packungsgrößen in der ambulanten Versorgung nicht, sie haben keinen Überblick über Rabattverträge, wissen oft gar nicht, dass es diese gibt. Wenn sie dann trotzdem ein Rezept ausstellen, ist dieses oft fehlerhaft und sorgt in der Apotheke für Probleme, weil es aus Sicht der Krankenkassen nicht ordnungsgemäß ausgestellt ist und das Risiko von Retaxationen besteht. Hinzu kommt, dass Klinik- und Apotheken-EDV nicht miteinander kommunizieren, um auf mangelnde Verfügbarkeit oder Abrechnungsbesonderheiten hinzuweisen. Das alles sind Hürden, die eine reibungslose Versorgung erheblich erschweren.
Meyer: Die fehlende Schnittstelle zwischen Apotheken-EDV, Arzt-EDV und Krankenhaus-EDV ist alles andere als trivial. In beiden Versorgungsbereichen sind die Prozesse mittlerweile so komplex, dass ein Arbeiten ohne EDV kaum noch möglich ist. Gegenwärtig arbeiten alle Sektoren mit Insellösungen, die in keiner Weise mit anderen Systemen kompatibel sind.
PZ: Jeden Tag werden in Deutschland Tausende Patienten aus dem Krankenhaus entlassen. Warum gibt es für diesen Prozess überhaupt keine verbindliche Struktur? Das ist doch überhaupt nicht nachvollziehbar.
Meyer: Das ist eine gute Frage, auf die es allerdings keine befriedigende Antwort gibt. Die Anschlussversorgung steht zwar seit 2007 im Gesetz und der Patient hat seitdem einen Anspruch auf Versorgungsmanagement. Leider wurde in dem Gesetz aber nicht geregelt, wer dafür verantwortlich ist. Deshalb kommen wir hier nicht voran. Die größten Hürden sind dabei die Sektorengrenze und die strikt voneinander getrennten Budgets. Bei dieser sogenannten Silo-Budgetierung versucht jeder, seinen Bereich zu optimieren. Dabei kann nichts Vernünftiges herauskommen. In anderen EU-Staaten, etwa Dänemark oder den Niederlanden, funktioniert das Entlassmanagement deutlich besser. Dort gibt es diese strikten Grenzen auch nicht.
PZ: Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz soll das Entlassmanagement klarer geregelt werden. Was erwarten Sie davon?
Francke: Die Ermächtigung des Krankenhauses zur Ausstellung einer Entlassverordnung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Das bedeutet aber nicht, dass damit auch die Probleme an der Sektorengrenze gelöst sind. Hier muss es Lösungen geben, die dem Patienten unnötige Bürokratie und unnötige Wege ersparen. Dazu gehört auch die Bevorratung mit N1-Packungen. Diese haben wir in den Apotheken nicht in ausreichender Menge von allen relevanten Wirkstoffen vorrätig. Solche Probleme lassen sich aber lösen, wenn die Apotheke und das Krankenhaus vor der Entlassung miteinander kommunizieren, wenn möglich ein oder zwei Tage vor der Entlassung des Patienten.
Meyer: Ein Problem ist allerdings, dass nach dem aktuellen Stand der Gesetzgebung für die Entlassverordnung durch das Krankenhaus alle Regeln der vertragsärztlichen Versorgung gelten. Für sich allein können das die Krankenhäuser gar nicht. Ohne den Austausch mit den öffentlichen Apotheken, die das Entlassrezept beliefern, wird es große Reibungsverluste geben.
PZ: Ist dann die Hoffnung auf Besserung des Entlassmanagements berechtigt?
Francke: Ich habe die Hoffnung, dass der im E-Health-Gesetz vorgesehene elektronische Medikationsplan eine Hilfe ist. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Ärzte im Krankenhaus bereits bei der Aufnahme eines Patienten über dessen Gesamtmedikation informiert werden. Arzneimittelbezogene Probleme, beispielsweise ausgelöst durch Interaktionen mit nichtverschreibungspflichtigen Arzneimitteln, werden den Krankenhausärzten schneller ersichtlich. Falls es während des stationären Aufenthalts zu Medikationsänderungen kommt, werden diese im Medikationsplan dokumentiert und ambulante Ärzte erkennen in der Folge den Grund einer Umstellung. Sämtliche Medikationsdaten liegen allen Leistungserbringern im Medikationsplan strukturiert vor, sodass ein Entlassmanagement auf gleichem Wissensstand realisierbar ist. Das wäre eine deutliche Vereinfachung.
Meyer: Aber nur, wenn die Politik noch eindeutig regelt, welche Kompetenzen Ärzte, Apotheker und Krankenhäuser beim Medikationsplan haben werden. Bislang ist dies noch ziemlich unklar. Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, wenn nun ein weiterer Anlauf unternommen wird, um das Entlassmanagement zu verbessern.
PZ: Bislang ist vorgesehen, im Gesetz eine Möglichkeit für Krankenhäuser zu verankern, mit dem Entlassmanagement Dritte zu beauftragen. Was halten Sie davon?
Meyer: Der Gesetzentwurf beschränkt die Wahrnehmung von Aufgaben des Entlassmanagements auf ärztliche Leistungserbringer. Auch bei der Entlassmedikation muss in jedem Fall verhindert werden, dass private Dritte eingeschaltet werden dürfen. Das wäre die schlechteste Lösung. Es muss klar sein, dass der Patient die freie Apothekenwahl hat. Es darf auch keine finanziellen Zuwendungen der Apotheken an das Krankenhaus geben. Stattdessen muss es aber dem Apotheker gestattet sein, sich in der Akutversorgung mit dem Krankenhaus abzusprechen. Ich denke dabei nicht an exklusive Vereinbarungen, sondern an Übereinkünfte der Krankenhäuser mit den Apotheken der Region.
Die Apotheker sollten sich beim Entlassmanagement schnell positionieren, statt zu hoffen, dass Dritte sich an apothekenrechtliche Verbote halten. Es gibt bereits einige Interessengruppen, die sich dafür interessieren, zum Beispiel die Medizinprodukte-Industrie. Deren Verband, der BVMed, hat bereits vehement gefordert, Homecare-Unternehmen in das Entlassmanagement einzubeziehen.
PZ: Wie sieht die ideale Lösung für Krankenhausentlassungen im Bereich Arzneimittel aus?
Francke: Optimal wäre, wenn der Krankenhausarzt mit dem Hausarzt und dem Apotheker die Entlassmedikation abstimmt. Dabei muss er die Wirtschaftlichkeit der Medikation berücksichtigen. Außerdem sollten Medikationsänderungen begründet sein und die Rahmenbedingungen der Arzneimittelrichtlinie beachtet werden. Das sollte 48 Stunden vor der Entlassung des Patienten geschehen.
Am Tag vor der Entlassung spricht dann der Krankenhausapotheker oder der behandelnde Arzt mit dem Patienten über dessen Medikation. Er erklärt ihm, was sich womöglich geändert hat. Am Tag der Entlassung bekommt der Patient dann sein Entlassrezept, das er in einer Apotheke einlösen kann, ohne weitere Umwege gehen zu müssen. In der nächsten Ausbaustufe mit einem funktionierenden Entlassmanagement und einem frühzeitig abgestimmten Medikationsplan könnte ein vom Patienten ausgewählter Apotheker die Medikation schon vorbereiten. Der Patient muss sie am Tag der Entlassung nur noch abholen oder lässt sie sich bei Einschränkung seiner Mobilität bis nach Hause liefern.
So könnte der Prozess insbesondere nach längeren Krankenhausaufenthalten aussehen, wenn es uns gelingt, den zeitlichen Ablauf einzuhalten. Wenn der Apotheker beim Hausarzt oder im Krankenhaus rückfragen muss, gibt es Verzögerungen. Dies kann in Notfallsituationen durchaus relevant sein. Grundsätzlich ist es also wichtig, Ansprechpartner zu benennen, an die sich die öffentliche Apotheke bei Rückfragen wenden kann.
PZ: Wären diese Probleme nicht einfach zu lösen, wenn in jedem Krankenhaus ein Arzt oder Apotheker als Entlassmanager installiert wird?
Francke: Natürlich wäre das sinnvoll. Bislang gibt es diese Position aber nicht und Krankenhäuser würden sich möglicherweise wegen der Kosten weigern, eine solche zusätzliche Stelle zu schaffen. Hinzu kommt, dass eine Person für ein Krankenhaus sicher nicht reicht. Der Arzt, der den Patienten behandelt hat, wird als Ansprechpartner für Rückfragen erreichbar sein müssen. Allerdings möchte der Arzt im Krankenhaus mit der Verordnung so wenig Aufwand wie möglich haben.
Der Einsatz von Klinikapothekern ist an dieser Stelle auch fraglich. Es gibt in Kliniken oft zu wenige Apotheker, die ihrerseits mit zahlreichen Funktionen ausgelastet sind. Aus meiner Sicht wird das Entlassmanagement nur dann funktionieren, wenn die öffentlichen Apotheken stark eingebunden werden. Offizinapotheker sind für diese Aufgabe prädestiniert, genauso wie Hausärzte. Sie haben die pharmazeutische oder medizinische Kompetenz und gleichzeitig kennen sie den Patienten und seine Medikation oftmals sehr genau.
Meyer: Ich halte die Einbindung der öffentlichen Apotheken in das Entlassmanagement des Krankenhauses auch für extrem wichtig. Ich plädiere für eine gesetzlich definierte Vertragsoption im Apothekengesetz, die unbefugte Dritte zuverlässig von der Arzneimittelversorgung ausschließt und den Rahmen der zulässigen Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und Apotheker bei der Entlassmedikation definiert. Dazu gehören das Regionalprinzip und die Wahrung der freien Apothekenwahl. Im bisherigen Gesetzentwurf sind die öffentlichen Apotheken nicht ausreichend berücksichtigt. Es ist aber ganz eindeutig, dass sie eine Schlüsselrolle haben müssen. Die Politik sollte die Rolle der Apotheker unbedingt noch stärker einbeziehen. Gerade in ländlichen Regionen mit einer geringen Arztdichte wäre dies sinnvoll. /
Hilko Meyer ist seit 1997 Professor für Recht an der Frankfurt University of Applied Sciences. Seine Schwerpunkte liegen im Europarecht und im Recht des Gesundheitswesens.
Jan-Niklas Francke ist Leiter der Rosen-Apotheke in Emmelshausen. Er hat berufsbegleitend den Masterstudiengang Management und Vertragsgestaltung in der Gesundheitswirtschaft an der Fachhochschule Frankfurt absolviert und in seiner Masterarbeit die Arzneimittelversorgung nach Krankenhausentlassungen untersucht.