Zusammenhang wahrscheinlich |
16.02.2016 16:03 Uhr |
Von Annette Mende / Ist die Zunahme der Fälle von Mikrozephalie bei Neugeborenen in Brasilien tatsächlich auf die Verbreitung des Zika-Virus zurückzuführen? Diese Frage kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher beantwortet werden. Die Hinweise darauf verdichten sich aber.
Ein wissenschaftlich wasserdichter Nachweis, dass die Infektion von Schwangeren mit dem Zika-Virus zu Mikrozephalie der Babys führen kann, ist schwierig zu führen. Neben dem zeitlichen Zusammenhang – sechs Monate nachdem sich der Erreger in Brasilien verbreitete, begann die Fallzahl von Neugeborenen mit Mikrozephalie anzusteigen – sprechen aber noch weitere Argumente für einen Kausalzusammenhang.
So konnten der Erreger selbst oder Antikörper gegen ihn mittlerweile im Fruchtwasser, im Gehirn oder in der Rückenmarksflüssigkeit bei mindestens 20 Feten oder Neugeborenen mit Mikrozephalie nachgewiesen werden. Zuletzt berichteten Wissenschaftler der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) im CDC-Nachrichtenorgan »Morbidity and Mortality Weekly Report« von vier solchen Fällen. Die Gruppe um Dr. Roosecelis Brasil Martines wies das Virus im Gehirn zweier Neugeborener und zweier totgeborener Feten mit Mikrozephalie nach (DOI: 10.15585/mmwr.mm6506e1er).
Viren in Feten
Die Fälle stammen aus dem brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Norte. Alle vier Mütter hatten im ersten Trimester der Schwangerschaft Symptome einer Zika-Infektion gezeigt, zum Zeitpunkt der (Fehl-)Geburt jedoch nicht mehr.
Das Zika-Virus kann bei einer Infektion der Mutter über die Plazentaschranke auf das Ungeborene übergehen.
Foto: dpa
Die beiden totgeborenen Feten kamen nach 11 beziehungsweise 13 Schwangerschaftswochen zur Welt, die beiden reif Geborenen starben innerhalb von 20 Stunden nach der Geburt. Bei ihnen waren sowohl der Virus-Nachweis als auch die histopathologischen Veränderungen auf das Gehirn beschränkt. Dazu gehörten Kalkablagerungen, Knötchen von Mikroglia, Gliose, Zelldegeneration und Nekrose. Bei den beiden Feten fand sich virale RNA im Plazentagewebe. Eine Infektion mit dem Dengue-Virus konnte in allen vier Fällen ausgeschlossen werden.
Ein Beweis für einen Kausalzusammenhang zwischen der Infektion und dem Defekt ist das zwar nicht, aber ein starker Hinweis. Weitere Untersuchungen sind also nötig, auch um die Frage zu beantworten, in welcher Phase der Schwangerschaft eine Zika-Infektion welche Auswirkungen hat. Ein vulnerabler Zeitraum könnten die ersten beiden Schwangerschaftsmonate sein, in denen sich die wichtigen Strukturen des Gehirns ausbilden.
Das brasilianische Gesundheitsministerium plant laut einem Bericht des Nachrichtenportals »Nature News« derzeit solche großen Studien (DOI: 10.1038/530142a). Aber epidemiologische Daten sind streng genommen auch kein Beweis dafür, dass die Infektion Geburtsdefekte verursacht. Denn andere verwandte Viren dringen zwar ebenfalls in das Gehirn von Feten ein, hinterlassen aber keine beziehungsweise selten Schäden. Um einen Zusammenhang zu beweisen, müsste der Pathomechanismus aufgeklärte werden. Hierfür versuchen Forscher nun Tiermodelle zu entwickeln.
Neben diesen offenen Fragen ist auch das Ausmaß des Mikrozephalie-Anstiegs noch ungewiss. Bis zum 2. Februar 2016 waren von 4783 Verdachtsfällen 1113 untersucht worden, in 404 Fällen lag tatsächlich eine Mikrozephalie vor. Doch womit vergleicht man das? Ebenfalls im »Morbidity and Mortality Weekly Report« der CDC wiesen Forscher um die brasilianische Genetikerin Dr. Lavinia Schüler-Faccini Ende Januar darauf hin, dass die bisher für Brasilien zugrunde gelegte Prävalenz von 0,5 Fällen pro 10 000 Lebendgeburten höchstwahrscheinlich zu niedrig ist (DOI: 10.15585/mmwr.mm6503e2). Eigentlich sei mit 1 bis 2 Fällen pro 10 000 Neugeborene zu rechnen. Dass aufgrund des geschärften Problembewusstseins nun mehr Fälle entdeckt werden als zuvor, ist wahrscheinlich richtig, doch scheint das allein den Anstieg nicht vollständig zu erklären.
Was auch immer die Nachforschungen zum Zusammenhang zwischen dem Zika-Virus und Mikrozephalie ergeben: Die betroffenen Kinder und ihre Familien – die häufig zur ärmeren Bevölkerungsschicht zählen – brauchen besondere Unterstützung. Denn Mikrozephalie geht mit neurologischen Symptomen einher, zu denen Entwicklungsverzögerungen und Krampfanfälle zählen können.
Laut einer kürzlich im Fachjournal »JAMA Ophthalmology« veröffentlichten Arbeit sind auch spezifische Augenschäden bei betroffenen Kindern in Brasilien beobachtet worden (DOI: 10.1001/jamaophthalmol.2016.0284). Dazu gehören Pigmentstörungen der Retina und Schäden am Sehnerv, wie die Autoren Dr. Lee Jampol und Dr. Debra Goldstein berichten. Sie empfehlen, Neugeborene mit Mikrozephalie routinemäßig auf solche Augenschäden zu screenen. /