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Multiple Sklerose

Neues zum Pathomechanismus

24.01.2018  10:39 Uhr

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen bei jungen Erwachsenen. An ihr erkranken etwa 50 von 100 000 Menschen. Die Progression verläuft in Schüben. Auslöser ist eine Fehlleistung des Immunsystems, sagte Professor Dr. Stefanie Kürten von der Universität Würzburg.

Bei MS greifen Immunzellen Zellen in Rückenmark und Gehirn an, graue Substanz geht zugrunde, weiße Substanz wird demyelinisiert. Es entstehen Entzündungsherde, die unterschiedlich schwere Läsionen erzeugen. Oftmals beginnt die Symptomatik mit Kribbeln in den Extremitäten. Später kommen Schwierigkeiten beim Gehen hinzu. In schweren Fällen kann der Patient auf einen Rollstuhl angewiesen sein. Es gibt zwar wirksame Medikamente, eine Heilung gibt es bislang aber nicht. »Die Ursachen sind weitgehend unbekannt«, sagte die Medizinerin. Als Auslöser werden eine genetische Prä­disposition, Umweltfaktoren sowie die Beteiligung der Darmmikrobiota vermutet.

 

Fokus auf B-Zellen

 

Bislang galt MS als eine primär von ­T-Zellen vermittelte Erkrankung. »Heute geraten die B-Zellen immer mehr in den Fokus«, sagte Kürten. Diese pro­duzieren offenbar pathogene Anti­körper, außerdem sezernieren sie verstärkt proinflammatorische Zytokine. »95 Prozent der Patienten weisen Antikörper im Liquor auf.« Solange die Zielstruktur der Autoimmunreaktion bei MS noch nicht bekannt sei, sei keine Antigen-spezifische Antikörpertherapie möglich. Daher werde global gegen B-Zellen vorgegangen. Hierzu dient zum Beispiel der Anti-CD20-Antikörper Ocrelizumab (Ocrevus®), der B-Zellen markiert, sodass sie vom Immunsystem beseitigt werden. Der humanisierte monoklonale Antikörper ist in Deutschland seit wenigen Tagen zur Behandlung der primär progredienten sowie der schubförmig verlaufenden MS zugelassen.

 

Eine neue These sei, dass das ente­rische Nervensystem an der Patho­genese der MS beteiligt ist, berichtete die Medizinerin. Dabei handelt es sich um ein in der Darmwand lokalisiertes intrinsisches Nervengeflecht, das sich entlang des gesamten Magen-Darm-Trakts zieht. Es besteht im Wesent­lichen aus zwei ganglionierten Nervengeflechten, dem zwischen den beiden äußeren Muskelschichten gelegenen Plexus myentericus und dem Plexus submucosus, der direkt der Mucosa anliegt. An MS-Modellmäusen habe man den Plexus myentericus untersucht. Dieser war bei chronisch kranken Tieren vollkommen degeneriert, berichtete Kürten. Auch bei MS-Patienten könnte dies zutreffen, denn immerhin weisen zwei von drei eine gestörte Darmfunktionalität auf. Bei Patienten mit Kolonkarzinom wurde in einer Unter­suchung ebenfalls das enterische Nervensystem betrachtet. Dieses war bei MS-Patienten stark degeneriert, bei Patienten mit Kolonkarzinom, aber ohne MS dagegen nicht. »Die Befunde deuten darauf hin, dass der Darm der Ausgangspunkt einer Multiplen Skle­rose sein kann und die Erkrankung sich dann deutlich später erst im Gehirn manifestiert«, so Kürten.

 

Biomarker fehlen noch

 

Trotz bisheriger Erfolge ist Kürten mit dem aktuellen Stand der Behandlungsoptionen nicht zufrieden. »Es ist uns noch immer nicht klar, wann und ­warum ein Patient von einer bestimmten Therapie profitiert, und wann nicht.« Dies liegt auch daran, dass Biomarker bei MS bislang noch dünn gesät sind. Anhand von selektiven Markern wäre einfacher zu erkennen, welcher Patient auf welche Therapie gut anspricht.

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