Eine Belastung des gesamten Lebens |
24.01.2018 10:22 Uhr |
Angsterkrankungen im Kindes- und Jugendalter erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter massiv. »Sie machen Karriere« und können zu Zwangserkrankungen, einer Depression, Panikstörung oder Substanzmissbrauch führen, berichtete Professor Dr. Andreas Warnke vom Universitätsklinikum Würzburg.
Angst zu haben, ist für Kinder normal und sinnvoll: Säuglinge fürchten sich vor Fremden und lauten Geräuschen, Kleinkinder vor Dunkelheit und dem Alleinsein und Schulkinder vor Ablehnung oder Misserfolgen. »Einen pathologischen Wert bekommt die Angst, wenn der Patient sie nicht mehr im Griff hat«, so der Psychiater. Eine Störung liegt vor, wenn die Angst übermäßig ausgeprägt, unangemessen in Bezug auf das Objekt oder die Situation und chronisch ist und den Betroffenen beziehungsweise seine Angehörigen im Alltag wesentlich beeinträchtigt. Bei Jugendlichen sind etwa 10 Prozent von einer behandlungsbedürftigen Angsterkrankung betroffen, bei Kindern weniger, sagte Warnke.
Spezifische und unspezifische Ängste
Kinder mit Angststörungen neigen zur Somatisierung. Das erschwert die Diagnose und die Therapie.
Foto: Fotolia/Guido Grochowski
Man unterscheidet Phobien, die sich auf bestimmte Situationen oder Objekte beziehen, wie die Arachnophobie (Angst vor Spinnen) von den Angststörungen, die keinen spezifischen Auslöser haben. Zu Letzteren zählt die generalisierte Angststörung. Bei betroffenen Kindern sei die Angst »frei flottierend«, sie neigten zu ständigem Grübeln und zur Somatisierung, weshalb Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen häufig sind. Diese würden zum Teil mit Antidepressiva, Stimulanzien, Schmerz- und Schlafmitteln behandelt, berichtete Warnke. »Das klingt albern, ist aber Realität.« Statt der körperlichen Symptome müsse aber die Angst therapiert werden.
Eine häufige Störung im Kindes- und Jugendalter ist laut Warnke die Schulangst. Bei dieser liege, zum Beispiel bedingt durch schlechte Noten oder Ausgrenzungserfahrungen der Mitschüler, eine Panik vor der Schulsituation vor. Von dieser abzugrenzen sei die Schulphobie, bei der eine Trennungsangst hinter der Weigerung des Kindes steckt, zur Schule zu gehen. Hier sei nicht die Schule das eigentliche Problem und man müsse bei der Behandlung mit der gesamten Familie arbeiten.
Für alle Formen der Angsterkrankungen gilt: Unternimmt man nichts gegen die Angst, verstärkt sich das Vermeidungsverhalten, das Gefühl der Hilflosigkeit nimmt zu, soziale Kontakte werden eingeschränkt und zum Teil wird der Ausweg in Alkohol- oder Medikamentenkonsum gesucht. Manche Betroffene werden depressiv, »weil sie sich jeden Tag scheiternd erleben«, so der Psychiater. Daher ist eine Therapie der Angsterkrankung nötig, um diesen Prozess zu durchbrechen. Diese besteht laut Warnke vor allem in Psychotherapie und Psychoedukation. Bei Kindern werden immer auch die Eltern beraten und mittrainiert. Dem Patienten selbst helfen vor allem eine Verhaltenstherapie und ein Expositionstraining. Bei Letzterem übt der Betroffene unter kontrollierten Bedingungen, Angstsituationen oder -reize auszuhalten, um zu lernen, dass diese gemeistert werden können.
Medikamente zweitrangig
Die Pharmakotherapie spielt laut Warnke in der Therapie von Angststörungen im Kindes- und Jugendalter eine untergeordnete Rolle. Sie ist nur dann gerechtfertigt, wenn Psychoedukation und Verhaltenstherapie keinen ausreichenden Erfolg zeigen. Dann kommen in erster Linie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zum Einsatz. Laut Leitlinie der Behandlung von Angststörungen bei Erwachsenen sind selektive Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) Mittel der zweiten und trizyklische Antidepressiva Mittel der dritten Wahl. Für diese beiden Wirkstoffgruppen lägen aber für Kinder nicht ausreichend Daten vor. Gut wirksam gegen Angst seien Benzodiazepine, die aber wegen des Suchtpotenzials nicht empfohlen werden. Sie kommen nur in Ausnahmefällen in der Akutbehandlung etwa bei Panikstörungen zum Einsatz.